Sonntag, 30. April 2017

Sempf, M. / Zahn, T.: Vom Hängen und Würgen


Es gibt doch tatsächlich Leute, die heute noch ausziehen, das Gruseln zu lernen. Nicht nur das es in Dresden soviel Gruseliges gibt, dass zwei Heftchen gedruckt wurden, die es Dresdnern und ihren Freunden und Anverwandten ermöglichen, eine besondere Stadtwanderung zu absolvieren. Jetzt haben sich drei Gestalten aufgemacht, gruselige Rechtsprechung an die Frau oder den Mann zu bringen.

Würden Sie sich einem experimentellen Archäologen anvertrauen, wenn der auf der Suche nach den Richtstätten in Dresden und Umgebung ist? Da scheint dessen Versuchung, praktische Studien mit den Begleitern zu machen nicht so weit hergeholt.

Aber Mario Sempf ist im wahren Leben ein freundlicher Geselle, der Geschichten und Geschichte halt etwas anders erzählt, als wir es vom Schulunterricht gewohnt sind.


Am 8. April hatte ein Buch Premiere, dass von der mittelalterlichen Jurisprudenz berichtet. Eigentlich aber nur von der Vollstreckung drastischer Strafen. Im Mittelalter und etwas darüber hinaus. Folgerichtig erzählt es ein Fachmann, der Dresdner Scharfrichter Melchior Wahl von Dreißigacker. Wie muss man sich den vorstellen? Groß, schlank, kahlköpfig, bärtig und absonderlich bekleidet. Er sieht ungefähr genauso aus, wie der Illustrator des Buches Thomas Zahn vom Hängen und Würgen – Dresdens schaurige Geheimnisse. Er zieht mit Ritter Johann Daniel alias Mario Sempfneuerdings durch die Gassen und erzählt jedem, der es wissen will von seinem Handwerk. Zum Beispiel davon, dass sein Richtschwert keine Spitze und vorn drei Löcher in der Klinge hat. Ritter Johann Daniel ist gewaltsam ums Leben gekommen, das wird schon in Dresden zum Gruseln erzählt. Aber alleine wollten sie nicht los, sie nehmen noch eine Magd mit. Das ist die Rosine Rehn aus Oelsa, welche ihr Haupt durch das Schwert verlor. Warum?


Stadtrundgang


Sie hatte versucht, ihr uneheliches Kind zu erwürgen, jetzt sollte sie „gesäckt“ werden. In einen Sack gesteckt, mit `nem Hund, `ner Katze und `nem Hahn und dann ab ins Wasser mit den Vieren. „Gnädiger Weise“ aber durfte sie dann mit dem Schwerte gerichtet werden. Und die zieht nun mit den beiden Gestalten los? Aber im echten Leben ist Katharina Salomo Verlegerin des Dresdner Buchverlages und im verlegen und anpreisen des im blutigen Rot gehaltenen Buches sehr, sehr rührig.


Schandgeige im Experiment


Wenn man das Buch gelesen und möglichst noch diesen oder jenen Stadtrundgang oder gar eine Fahrt im Oldtimerbus mit den Dreien absolviert hat, gelegentlich gibts auch was zu schmausen, dann kennt man sich aus. Man weiß endlich, wie Lips Tullian, Räuberhauptmann, hingerichtet wurde, und wo, und warum. Wussten Sie, dass die Hochgerichte oft gemauert waren und eine Knochengrube hatten? Weil die Gehenkten hingen blieben bis nur noch Gerippe übrig war? Irgendwann riss vielleicht auch der Strick.

Viel aufgeschrieben haben die Scharfrichter wohl eher nicht, auch wenn dieser oder jener doch ziemlich gebildet waren. Allerdings führte zumindest einer doch ziemlich umfangreich Statistik. Auch legten viele Wert auf gutes Benehmen. Des Nachts wurden sie von den Bürgern aufgesucht, wenn es galt, ausgerenkte Gelenke wieder zu richten. Auf dem Buchrücken steht, dass sich Mario Sempf auf eigene Experimente und Feldversuche stützte. (Nein, die köpfen ihre Verlegerin dann doch nicht.) Aber er entdeckte Akten und Gerichtsprotokolle wieder, sah sich Ausgrabungen an und betrieb Archivforschungen. „So wirft er ein anderes Licht auf das Rechts- und Strafverständnis jener Zeit und eröffnet dem Leser einen Blick auf die Stadt, wie sie zuvor kaum jemand kannte. Eine Gänsehaut - Lektüre mit Anspruch.“ (Buchrücken)

Übrigens, wie man den berühmten Strickt dreht, oder fachmännisch seilert, das lernt man von Mario alias Johann Daniel auch. Ich weiß es jetzt und habe den „Seilers Tochter“ auf dem Bild selbst hergestellt.


Wie fertigt man den Galgenstrick?


Gelernt habe ich das auf der Buchvorstellung am 08.04.2017. Neben dem Seilern gab es eine „Fachausstellung“ zu Geräten und Orten. Nicht alles war nur Modell, oder doch? Die Verlegerin las aus dem Buch und wurde vom Autoren fachlich unterstützt. Der scharfrichtende Illustrator passte auf, dass alles recht zuging.


enthauptete Verlegerin?

Haben Sie Mut und schauen Sie, ob Sie eine Führung zur Einweisung in das Hängen und Würgen erhalten. Am Ende wissen Sie alles über die „Hals- und Blutgerichtsbarkeit“, über das „trockene und blutige Richten.“ Der Kriminalbiologe Dr. Mark Beneke, der ein Vorwort schrieb, meinte: „Es geht ans Eingemachte und das ist erkennbar wörtlich zu nehmen.“ Im Vorwort der Rechtsarchäologin Dr. Maria Genesis lernt der Leser, dass es die Richtstättenarchäologie wirklich gibt. Welch grausige Studienrichtung.

 A Propos Nachschlagewerke: Schaut mal in der Wikipedia nach der Wickiana.

Mario Sempf hat schon in Skandinavien nach Trollen gesucht. Man sieht ihn auch gelegentlich als Germane mit Frame und Schild im Museum. Da er der Zweitgeborene eine Zwillingspaares ist, suchte er sich wohl einen etwas anderen Beruf. Man schaue einfach mal hier rein.

Thomas Zahn ist von Hause aus Airbrusher. Seine Werke begleiten den Blogger hier schon viele Jahre. Dass er nun des Sempf Marios Bücher illustriert, ist ein Glück. Dass beide sich gelegentlich in der Öffentlichkeit mit Schwertern hauen und anderem Gerät, passt durchaus zu dieser Annäherung an eine Art von Strafvollstreckung, welche glücklicherweise Vergangenheit ist.


Malender Scharfrichter


Menschen in Dresden: Mario Sempf erzählt Dresdens schaurige Geheimnisse
Vom Hängen und Würgen: salomo publishing / Dresdner Buchverlag
► Vom Hängen und Würgen hat eine eigenen Blog
Stadtrundfahrt nach dem Motto "Dresden zum Gruseln
Miriquidi .- Abenteuer

DNB / Dresdner Buchverlag / Dresden 2017 / ISBN: 978-3-941757-69-1 / 191 S.


© KaratekaDD






1 Kommentar:

  1. Es freut einen doch, wenn Autoren so reagieren. (Ich will nicht verhelen, dass wir uns inzwischen auch gut kennen und uns schon oft unterhalten haben.)

    Mario Sempf:
    "Das ist ja ein unfassbar genialer Bericht... geworden,... und sagt eigentlich genau all das aus, was ich hätte nicht besser und eindrücklicher sagen können! Dazu sehr farbgewaltige und einleuchtende Fotos, die das Thema "illustrieren". Aber tatsächlich ist das der einzige Weg Geschichte "lebendig" zu machen! Und das bei diesem doch eher tödlichen Thema... Es gehört allerdings zu unserer Geschichte, auch der Dresdner. Es geht auch nicht darum sich an Gewalt zu berauschen - ganz im Gegenteil: wer das Buch gelesen und an einer Stadtführung teilgenommen hat, der wird so manches hinterfragen und vielleicht sogar seine eigene Stadt fortan mit anderen Augen sehen. Und natürlich war und ist Gewalt Teil unseres Lebens. Vielen Dank für die geniale Rezension!
    ...
    Und es ehrt uns sehr, dass Du Dir die Zeit genommen hast, dass Thema nicht nur auf das "Grausige" zu reduzieren sondern das herauszustellen, um was es uns bei all der aufwendigen Recherche geht: um authentische spannende Geschichten."

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