Dienstag, 14. Juni 2016

Adam Zamoyski: 1815 - Napoleons Sturz und der Wiener Kongress

Eine Rezension von TinSoldier


Was will man mehr?

Erzählende Geschichte ist faszinierend, weil unterhaltsam wie ein Roman und lehrreich wie ein Geschichtsbuch.


Foto: Umschlagcover

Adam Zamoyski versteht es, uns nach seinem hervorragenden Buch "1812 - Napoleons Feldzug in Russland" ein weiteres Mal auf eine spannende und faszinierende Reise in die Vergangenheit mitzunehmen. Seine Art der Darstellung ist weder trocken noch schulmeisterlich, sondern lebendig, spannend und (wie immer) hervorragend recherchiert.
Wer also zu jenen gehört, denen in der Schule die Freude an geschichtsträchtigen Themen genommen wurde, der sollte es einmal mit einem (diesem?) Buch von Zamoyski versuchen, und wird dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit die Erfahrung machen, dass Geschichte lebendig, spannend, lehrreich und unterhaltsam  sein kann!
Genug der Vorschusslorbeeren - was erwartet uns?




Ein Beispiel:


Von dem Fürsten von Metternich, einer der führenden Politiker seiner Zeit, dürfte wohl jeder von uns zumindest dem Namen nach schon einmal gehört haben. Bei Zamoyski wird er ( wie viele andere Größen jener Zeit) so plastisch und und mit seinen persönlichen Eigenarten beschrieben, dass man glauben könnte, es handele sich um die Beschreibung lebendiger Personen aus unserer Gegenwart:

"Im Laufe seines Lebens fand er Zutritt in die Schlafzimmer einiger der bemerkenswertesten Schönheiten seiner Zeit. Hatte er Erfolg gehabt, wurde er oft von

Caroline Murat
Bildquelle: Wikimedia Commons
sentimentaler Verliebtheit überwältigt. Er ergoß dann seine Gefühle in rührselige Briefe oder stellte sie auf merkwürdige Art zur Schau - 1810, während einer Affäre mit Napoleons Schwester Caroline Murat, trug er ostentativ ein aus ihrem Haar geflochtenes Armband."

Das erinnert uns doch irgendwie an den jungen Thomas Anders mit seinem NORA-Kettchen, oder?

Wie auch immer, jedenfalls sind es diese und andere
Details, die Zamoyskis Schilderung der historischen Ereignisse und der beteiligten Protagonisten bereichern und uns unter der Patina der seither vergangenen 200 Jahre ein lebendiges Bild erkennen lassen.

Der Wiener Kongress begann im September des Jahres 1814 und hatte die politische Neuordnung Europas nach dem Sieg über Napoleon zum Ziel.
Heute würde man so etwas als "Gipfeltreffen" der europäischen Staatsoberhäupter bezeichnen, an dem die alliierten Siegermächte über Frankreich teilnahmen.



Der Kongress tanzt
Ufa-Film 1931
Quelle: Youtube





Allerdings war es ein sehr langwieriges Gipfeltreffen, denn es dauerte bis zum 09. Juni 1815, also an die zehn Monate, in denen nicht nur verhandelt, sondern auch viel getanzt wurde.







Der Kongress tanzt
Quelle: Youtube

Der Kongress tanzt entwickelte sich dann auch zu einer treffenden Beschreibung dessen, was neben der politischen Arbeit diese zehn Monate in der Wiener Hofburg, in den Salons der Oberschicht und in den Wiener Ballsälen geschah.
Es war ein riesiges, politisch wie gesellschaftlich bedeutsames Ereignis in jener Zeit, an dem ca. 200!! Staaten mit ihren Diplomaten und Staatsoberhäuptern beteiligt waren und das bis in die heutige Zeit nachwirkt.

Der Ufa-Film von 1931 mit dem Titel: Der Kongress tanzt zeichnet sicher eine eine rührselige verbrämte Sicht der Ereignisse. Aber auch das war Zeitgeist , wenn auch nicht jener von 1815, sondern der von 1931.





Fürst Klemens Wenzel Lothar von Metternich
um 1835/40
Portrait eines unbekannten Meisters
Bildquelle: Wikimedia Commons
Der Wiener Kongress war aber mehr als ein 10 Monate andauerndes Ballvergnügen, er setzte den Grundstein für die Neuordnung Europas nach dem unrühmlichen Ende der napoleonischen Aera.
Neuordnung??
Nun, Neuordnung bedeutete in diesem Falle allerdings auch, wenn nicht überwiegend, Restauration, also die Wiederherstellung dessen, was mit Napoleons Herrschaft über Europa beendet worden war. Dies bezog sich natürlich auch und vor allem auf territoriale Fragen.
Gleichzeitig war man bestrebt, eine politische Ordnung für Europa zu finden, die das europäische Gleichgewicht wieder herstellte, um den Frieden langfristig, um Freiheit und Wohlstand zu sichern.
Und siehe da: Klingt das nicht überaus aktuell nach genau jenen Themen, mit denen wir uns heute wieder mehr denn je in Europa beschäftigen?
Mit einem Unterschied:


Zar Alexander I. war der mächtigste
Gegenspieler Napoleons
Quelle: Wikimedia Commons
1815 wollte man noch keine europäische Einheit, sondern eine politische Ordnung, die auf den überkommenen Monarchien und Staatsgebilden beruhte und die den damaligen Herrscherhäusern ihre Machtansprüche sicherte. Denn hatte man nicht gerade erst Napoleons Herrschaft über Europa beendet und dafür einen hohen Blutzoll gezahlt?
An dieser Stelle wird deutlich, dass das politische Europa von 1815 noch nicht bereit war für ein geeinigtes Europa. Wie denn auch?
Die Ordnung, die aus dem Kongress hervorging, erwies sich nicht allzu lange als stabil.
Erwähnt sei, dass Preußen umfangreiche territoriale Zugeständnisse gemacht wurden als Entschädigung der unter Napoleon erlittenen Gebietsverluste. Preußen wurde also wieder stark und diese Feststellung ist bedeutsam für die Entwicklungen in den Jahrzehnten nach 1815.




Napoleon Bonaparte
starb am 05. Mai 1821 auf der Insel
St. Helena im Südatlantik
Bildquelle: Wikimedia Commons
Historische Entwicklungen müssen über lange Zeiträume betrachtet werden, denn fast nie laufen sie geradlinig und ohne Umwege auf ein Ziel oder Ergebnis zu. So auch hier.
Auch Napoleon Bonaparte war nicht motiviert gewesen von dem europäischen Gedanken, sondern vielmehr davon, Frankreich die Vorherrschaft in Europa und in der Welt zu sichern.
Die Demütigungen, die er den Europäern, insbesondere den deutschen Staaten, namentlich Preußen, zufügte, wirkten lange nach und begründeten die deutsch-französische "Erbfeindschaft", welche auch eine der Triebfedern war, die 1871 erneut zur militärischen Auseinandersetzung zwischen Preußen und Frankreich führte. Diesmal endete es mit einem deutschen Sieg und der Reichsgründung von 1871. 
So war Deutschland als letzte Nation in Europas Mitte zum Nationalstaat geworden. Die nächsten 40 Jahre waren geprägt vom Bestreben der bereits 1815 maßgeblichen Mächte Frankreich, Österreich, Russland und dem preußisch dominierten Deutschen Kaiserreich, teils unter Säbelrasseln die eigenen Machtsphären auszudehnen oder zu erhalten. Der Deutsche Kaiser begab sich zudem in ein unsinniges Wettrüsten mit England, das durch die deutschen Bestrebungen zur Aufrüstung der Marine seine traditionelle Vormachtstellung auf den Weltmeeren gefährdet sah. 
Die zunehmende Instabilität der von nationalistischen Bestrebungen auf dem Balkan geschüttelten österreichischen Donaumonarchie erwies sich dann als Zünder, der das Pulverfass Europa 1914 zur Explosion brachte.
Der verheerende erste Weltkrieg führte zu einem Desaster für das Deutsche Kaiserreich, das bereits den Samen für den Weltkrieg II in sich trug.
1945 lag Europa erneut in Trümmern. Es folgten lange Jahre des kalten Kriegs und der deutschen Teilung.
Glasnost und die deutsche Wiedervereinigung sind nach dem Fall des "eisernen Vorhangs" bedeutsame Ereignisse der jüngeren Gegenwartsgeschichte. Und ausgerechnet Deutschland, das Land, das Europa sowie Ost und West über lange Zeit entzweite, ist heute zu einem Vorreiter der europäischen Einigung geworden. 
So zieht sich gleichsam ein roter Faden vom Wiener Kongress bis in die Gegenwart!

Noch während der Wiener Kongress tagte, geschah in Frankreich erneut Bemerkenswertes:

Napoleon floh aus der Verbannung:
Am 26. Februar 1815 verließ er seine Verbannungsinsel Elba und betrat für kurze Zeit erneut die politische Bühne. Die Nachricht schlug in Wien und anderswo ein wie eine Bombe.
Was folgte, nannte man später "die Herrschaft der hundert Tage".
Die Konsolidierung seiner Macht aber erforderte Zeit. Und eine Armee, an deren Aufstellung und Ausbildung er denn auch sofort ging.
In Wien ging unterdessen der Kongress weiter und endete am 09. Juni mit der Unterzeichnung der Schlussakte durch die europäischen Mächte.
Ich verzichte darauf, die Ergebnisse der Konferenz und die "neue" Ordnung Europas hier im Detail darzustellen, denn ich könnte es nicht annähernd so gut wie Zamoyski.
Wen dies interessiert, der lese das Buch. Es lohnt sich.

Aber es gab noch etwas zu erledigen.



Und so folgte nach der Schlussakte der finale Schlussakt: 

Die Schlacht bei Belle Alliance
(heute besser bekannt als "die Schlacht bei Waterloo")




Die Schlacht bei Waterloo
Bildquelle: Wikimedia Commons


Neben Napoleon waren die Hauptprotagonisten ein Engländer und ein Preuße:



General Duke of Wellington
Seine Armee bestand zu einem großen Teil
aus Holländern und Deutschen
Bildquelle: Wikimedia Commons

Als am späten Nachmittag die Schlacht für Wellingtons Truppen auf "Messer´s Schneide" stand, soll er gerufen haben:


"Ich wollte, es wäre Nacht oder die Preußen kämen!"



Aber wo waren die Preußen?


Die waren noch auf dem Anmarsch und mussten sich, 2 Tage vor der Schlacht bei Waterloo, zunächst bei Ligny der kräftemäßig überlegenen französichen Armee stellen. Hierbei wurde der 72-jährige Blücher fast getötet, als ihn bei einem Angriff, den er persönlich anführte, sein tödlich getroffenes Pferd unter sich begrub.

"Marschall Vorwärts":
Generalfeldmarschall 
Gebhard Leberecht von Blücher.
Bildquelle: Wikimedia Commons

Nach harten Kämpfen wurden die Preußen geschlagen, aber ihnen gelang der geordnete Rückzug. Das war der Anfang vom Ende Napoleons:

Blüchers Truppen marschierten nun in Eilmärschen gen Waterloo und trafen dort im rechten Moment ein, um die Schlacht zu entscheiden.

Mit den vereinten Kräften der Engländer und Preußen wurde Napoleon bei Waterloo vernichtend und endgültig geschlagen.

Er beendete sein Leben in der Verbannung auf der kleinen Atlantikinsel St. Helena.





« la vieille garde meurt, mais elle ne se rend pas » (deutsch: „Die (alte) Garde stirbt, aber sie ergibt sich nicht“) !



General Pierre Cambronne
Bildquelle: Wikimedia Commons
Dieser Ausspruch wird dem Befehlshaber der "Alten Garde", jener berühmten Elitetruppe Napoleons, dem französischen General Cambronne zugeschrieben, als er nach verlorener Schlacht zur Übergabe aufgefordert wurde.

In manchen Quellen wird allerdings behauptet, Cambronne habe angesichts des drohenden Todes durch eine in unmittelbarer Nähe aufgefahrene britische Batterie lediglich « Merde » („Scheiße“, danach auch « le mot de Cambronne » genannt) gebrüllt.
Er leugnete aber sein ganzes Leben, diesen Ausspruch von sich gegeben zu haben. Auch die Quellenlage darüber ist uneins. So bezeichnet Meyers Konversations-Lexikon den Ausspruch als "patriotische Erfindung".
(Quelle: Wikipedia).




Waterloo: Teil I

Waterloo: Teil II


Waterloo: Teil III
Waterloo, Teil IV
Quelle der Videos: Youtube

Soweit zu den dramatischen Ereignissen von Waterloo.
Diese nehmen im Buch Zamoyskis allerdings weniger als 2 Seiten ein und sind im Zusammenhang mit dem Wiener Kongress denn eher als Randnotiz zu betrachten.



Dieses Buch hat mir (wieder einmal) klar gemacht:

Was wir (die wir keine studierten Historiker sind) über geschichtliche Ereignisse heute wissen, ist in aller Regel nur die Spitze des Eisberges.
Das ist schade, weil wir vieles mangels tiefer gehender Kenntnisse über Hintergründe, politische und gesellschaftliche Zusammenhänge, Entwicklungen, die beteiligten Persönlichkeiten (und ihre persönlichen Befindlichkeiten) nicht mehr so recht nachvollziehen und verstehen können. Die Lebensumstände der damaligen Menschen, ihre Erziehung, ihre Motive und Absichten, sind uns nicht klar. Geschichte bleibt für uns deshalb meistens abstrakt und in vielen Fällen sind uns Ereignisse von damals schlichtweg nicht mehr nachvollziehbar, weil wir Geschichte im Normalfall überwiegend nur als chronologisch geordnete Einzelereignisse betrachten, die wir aber nicht in einen ganzheitlichen Kontext stellen.
Genau dies aber wäre notwendig, wenn wir historische Zusammenhänge und Kausalitäten erkennen und verstehen wollen, anstatt bloße Geschichtsdaten und die mit ihnen verknüpften Jahreszahlen auswendig zu kennen.  
Denn darauf beschränken wir uns leider im Normalfall:
Ein paar Namen und Jahreszahlen auswendig zu lernen, weil es zur Allgemeinbildung gehört.
Es ist aber ein großer Irrtum, anzunehmen, dass uns historische Ereignisse, die lange zurückliegen, heute nicht mehr interessieren müssen. Dies nicht nur, weil Manches von damals bis heute fortwirkt,
sondern weil wir aus den Erfahrungen der Geschichte manches lernen können für die Entscheidungen, die unsere Gegenwart und unsere Zukunft beeinflussen!

Adam Zamoyski versteht es, in seinen Büchern die Geschichte zum Leben zu erwecken. Er zeigt uns Kausalzusammenhänge auf und beleuchtet die Ereignisse auch von Seiten, die sich unserem Blick bisher entzogen haben. Und er macht uns klar: Wir müssen Geschichte immer aus ihrer Zeit heraus betrachten, um zu verstehen, warum die Dinge sich so und nicht anders entwickelten.   


Wer Geschichte lebendig erleben möchte, der sitzt bei Zamoyski in der ersten Reihe!





Zum Schluss noch ein Literaturhinweis:


Wer sich für tolle Geschichtsdarstellungen interessiert, dem empfehle ich die tollen Bücher "Preußen - Aufstieg und Niedergang 1600 - 1947" von Christopher Clark 

sowie


"Die Schlafwandler - Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog" vom gleichen Autor.
Beide Bücher werde ich demnächst hier eingehender vorstellen. 




Anmerkung: Die verwendeten Bilder sind gemäß Wikimedia Commons sämtlich Gemeinfrei

Adam Zamoyski:
1815 - Napoleons Sturz und der Wiener Kongress
aus dem Englischen von Ruth Keen und Erhard Stölting
704 Seiten
Verlag C.H.Beck









2 Kommentare:

  1. Den Russland Feldzug hatte ich vor einigen Wochen bei einem Kommilitonen in der Hand und habe etwas drin geschmökert. Irgendwann kommt auch mal wieder die Zeit für solche Sachen.

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  2. Passt nicht ganz zum Thema, aber wenn ich mir die Filmszene aus DER KONGRESS TANZT ansehe, dann fällt mir ein, wieviel Zeit man vor Jahrzehnten beim Filmdrehen hatte. Ich meine Zeit für eine Szene oder eben gar ein "ellenlanges" Lied. Aber es war der erste Musikfilm der UFA überhaupt.

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