Samstag, 18. Juni 2016

Lorenz, Erik: Die Geschichte des Sitting Bull



Abb 1

Tatanka-Yotanka. Mit diesem Namen kam ich ungefähr im Jahre 1971 in Berührung. Der Große Geheimnismann der Dakota verbannte Mattotaupa, Kriegshäuptling der Bärenbande, einer Oglala Abteilung der Teton-Dakota und Vater von Harka Steinhart Nachtauge aus den Jagdgründen der Dakota. Ich glaube, ich habe den Geheimnismann gehasst – so als Achtjähriger…
Dass der weitläufig eher unter seinem englischen Namen Sitting Bull bekannte Tȟatȟáŋka Íyotake ein Häuptling und Medizinmann der Hunkpapa Lakota war, das war völlig uninteressant. Viel wichtiger war, dass er Jahre später dem Harka Steinhart Nachtauge Wolfstöter Büffelpfeilversender Bärenjäger, als Krieger genannt Stein mit Hörnern, seinen neuen Namen Tokei-ihto gab und ihn wieder in den Stammesverband der Dakota aufnahm. 


Doch dies ist die Handlung eines Romans, indem die beiden Großen, der Oglala Lakota Tȟašúŋke Witkó (Tashunka Witko oder Crazy Horse) und der Hunkpapa Lakota Tȟatȟáŋka Íyotake natürlich nicht fehlen durften. 


Abb 2 - Die Söhne der Großen Bärin und ihre Oberhäuptlinge

Der Romanzyklus Die Söhne der Großen Bärin [1] stammt von Liselotte Welskopf-Henrich und mit diesem Namen komme ich zu Erik Lorenz, durch den ich auf den Palisander Verlag aufmerksam wurde, denn Eric Lorenz schrieb mit Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer eine Biografie, die den Titel Hommage verdient hätte.

Doch nun genug der Schwärmerei, das Thema lautet ja Sitting Bull.

* * *

Die Geschichte des Sitting Bull hat Erik Lorenz das Buch genannt, welches von der Illustratorin Claudia Lieb wirklich eindrucksvoll gestaltet wurde. Da Biografien nur jemand liest, der sich „echt“ historisch für eine Person der Geschichte oder auch der Gegenwart interessiert, hat Erik Lorenz hier eine Erzählung vorgelegt, die sich an den tatsächlichen Überlieferungen der Nachkommen des großen Häuptlings Tatanka Iyotake orientiert. 

In dieser Erzählung erfährt der zehnjährige David von seinem Großvater die wahre Geschichte dessen, den der Junge bisher nur als mythische Figur kannte. Der Großvater erzählt vom Jungen Springender Dachs, vom Krieger, Sonnentänzer und Geheimnismann, vom Kriegshäuptling und Angehörigen einer Zirkus-Showgruppe. 

Springender Dachs war schon als Knabe ein nachdenklicher und überlegter Angehöriger der Hunkpapa. Der Großvater erzählt von dem Jungen, der vermeintlich langsam ist du gelegentlich verspottet wird:

„Springender Dachs begutachtet inzwischen einen Pfeil, den er aus seinem Köcher gezogen hat, fährt mit den Fingern über das Holz, sucht nach Unebenheiten und überprüft, ob der Schaft auch wirklich gerade ist. Er streicht über die Federn und wiegt den Pfeil in der Hand. Blaustern lacht und klopft ihm auf den Rücken. ‚Wenn du so weitermachst, wird man dich noch Langsam nennen, wenn du ein alter Mann bist.‘ Springender Dachs lächelt. Immer wieder zögert er in Situationen, in denen die anderen Jungen in seinem Alter ohne nachzudenken einfach handeln. Weil er erst alles sorgfältig in Gedanken abwägt, wurde er schon oft verspottet, denn viele halten seine Umsicht für Unvermögen oder gar Ängstlichkeit.“ [2]



Abb 3 - Bison oder Büffel
Der Junge darf sehr zeitig auf seine erste Büffeljagd mitreiten, den erlegten Bison schenkt er bedürftigen Familien, die das Jagdglück verlassen hatte oder deren Ernährer bei einem Kriegszug ums Leben kam. So eine Haltung ist hoch anerkannt.
Bereits mit vierzehn Jahren wird er auf einen Kriegszug mitgenommen und landet einen Coup.[3] Dies ist etwas, was man sich kaum vorstellen kann, wenn man kein Lakota im 19. Jahrhundert ist. Der Krieger der Krähenindianer, dem dies passiert, folgt dem Knaben wütend, reitet in die Lakotagruppe und stirbt durch den Pfeil eines anderen Kriegers.
Infolge dieser Begebenheit überträgt der Vater seinen eigenen Namen auf den Sohn. Dieser heißt nun Tatanka Iyotake. Selbst heißt der Vater nun Springender Bulle. So wird, was eher selten ist, ein vierzehnjähriger Bursche zum Krieger, der außerdem in den Bund der Starken Herzen aufgenommen wird. Dies zeigt jetzt, ungefähr im Jahr 1845 an, das dieser Indianer einmal ein bekannter Führer seines Volkes werden kann.[4] / [5]

Eric Lorenz zitiert Frances Densmore, Ethnologin und Verfasserin von Die Lieder der alten Lakota [6]

„Wenn von einem Manne bekannt war, dass er der Ehre der Mitgliedschaft im Bund der Starken Herzen vollkommen gerecht sein würde, musste dieser sich keinerlei Prüfungen mehr unterziehen. Er musste lediglich das Versprechen abgeben, tapfer zu sein bei der Verteidigung des Stammes, für die Armen und Bedürftigen zu sorgen und seinen guten tugendhaften Charakter weiterhin zu wahren.“ [7]

Mal abgesehen davon, dass diese im „europäischen“ Sinne an die Schwertleite bzw. den Ritterschlag erinnert: Wann je haben wir von armen und bedürftigen Stammesangehörigen gelesen? Für Familien, deren Ernährer durch Kriegszüge oder auf der Bisonjagd umgekommen waren, wurde im Stammesverband gesorgt und dies geschah durchaus auch indem ein Mann eine zweite Frau nahm und deren Kinder sinngemäß adoptierte. Auch Tatanka Iyotake hatte mehrere Frauen. Erzählt wird im Buch die Geschichte der Adoption eines jungen Assiniboine-Kriegers, Tatanka Iyotake nahm den tapferen Krieger nach einem Kampf mit dem feindlichen Stamm als jüngeren Bruder an. [8] Auch diese Handlung gibt ein Bild von der Kultur und dem Zusammenleben der Indianer, der Vergleich mit „Ritterlichkeit“ hätte den weißen Zuwanderern besser angestanden als der mit „Barbaren“.


Abb 4 - Der Sonnentanz
Natürlich ist dem Sonnentanz ein Kapitel gewidmet. Die Zeremonie war ein jährlich wiederkehrendes Ereignis. Oft traten mehrere Krieger zu dieser Ehrung, zu dieser Probe an, die auch religiöse Bestandteile hat. Die Reinigung im Schwitzzelt, die Besinnung auf sich selbst gehört dazu. Die bekannte Form, in der dann dem Sonnentänzer die Brust links und rechts durchstochen wird und er beim Tanz mit dem Blick in die Sonne an Stäben mit Lederriemen hängt, ist wohl die schwerere Art des Tanzes, bei der „einfacheren“ tanzt der Krieger vom Morgen bis in den nächsten Tag, bis er zusammenbricht. Bei der schwereren Art ist der Tanz noch nicht beendet, wenn die Stäbe das Brustfleisch zerreißen. Tatanka Iyotake tanzt danach noch weiter bis zum Mittag des nächsten Tages.[9] / [10] Es ist die härteste Prüfung, der sich ein Lakota stellen kann, manchmal geschah dies auch mehrere Male.

Den neuen Häuptling „umgibt eine Aura von Autorität, die aus seiner inneren Ruhe und seinem grüblerischen Charakter erwächst. Er ist stark und hat eine kräftige Brust, die die ehrenvollen Narben des Sonnentanzes zieren. Die Stammesmitglieder begegnen ihm mit Respekt.

Seine unergründlichen Augen sehen Dinge, die anderen entgehen. Ihm ist bewusst, dass sich alle Dinge, tot oder lebendig, in einem ewigen Kreislauf befinden und miteinander in Verbindung stehen. Der Büffel und der Adler, der Baum und der Busch, der Bach und das Gras, die Erde und der Fels, die Gestirne am nächtlichen Himmel, die Sonne, die Wolken, die vier Winde, sie alle sind eine Einheit, und sie alle sprechen zu ihm mit leiser Flüsterstimme. Und er hört genau hin, lauscht ihrem Wispern am Tage und in der Nacht, in seinen hellsichtigen Träumen, denn er will den Lauf der Dinge begreifen, will verstehen, was sie ihm sagen, will wissen, wie er seinem Stamm am besten dienen kann.“ [11]

In dieser Beschreibung spiegelt sich wieder, was echte Indianerfreunde an diesen Menschen fasziniert, eben nicht der „edle Wilde“, die „kriegerische Rothaut“, nicht nur der sattellose Reiter, der die lebensgefährliche Büffeljagd betreibt. In dieser Beschreibung zeigt sich auch, dass bestimmte Menschen dann zum Führer ihrer Völker werden, wenn sie eben solche Eigenschaften aufweisen. Tatanka Iyotake gehört zu diesen. Er ist nicht der strahlende Held, er ist der mutige, nachdenkliche, auch von Zweifeln geplagte Anführer von Tausenden, deren Zeit langsam zu Ende gehen wird. 

Hier endet auch der Teil 1 der Geschichte von Eric Lorenz, der Teil 2 leitet das Ende der freien Stämme der Prärieindianer ein.

* * *

Während eines großen Treffens mit anderen Stämmen melden Kundschafter eine große Schar der Langmesser, wie die Soldaten wegen ihrer Säbel genannt werden. Noch hat Tatanka Iyotake keine Ahnung, was die eigentlich wollen. Aber er erfährt von anderen Häuptlingen, dass diese wohl eine Strafexpedition unternehmen: Rache für einen Indianeraufstand weiter im Osten. Dies ist der Anfang. Vom Platz eines ersten Kampfes mit den Truppen General Sullys müssen sie fliehen. Der treibt sie in die Badlands, die sprichwörtlich werden für die Lakota und andere, die auf kargem, unfruchtbarem Land später ihr Dasein fristen werden. Kaum zu glauben, dass diese Gegend heute ein Nationalpark ist. In der Nähe bzw. darauf wird einmal die Pine Ridge Reservation liegen.

Der Vertrag von Fort Laramie, unterschrieben von bekannten Häuptlingen, nicht jedoch von Tatanka Iyotake, sichert „für alles Ewigkeit“ ein großes Gebiet zu. Auch Tatanka Iyotake hofft, dass dies stimmt. Aber seine Skepsis wird sich bewahrheiten. Ein weiterer Häuptling der Lakota hat den Vertrag nicht unterzeichnet: Tatanka Iyotake trifft auf Tashunka Witko. Die Lakota wählen sich erstmals einen Oberhäuptling. Tatanka Iyotakes Stellvertreter wird der jüngere Krieger, der als Crazy Horse bekannt werden wird.


Abb 5
Einige wenige ruhige Jahre folgen. Die Lakota jagen Büffel, überwintern in den heiligen Schwarzen Bergen. Doch dann kommen die Goldsucher. Der Strom der Wasichu [12] wird immer stärker. TatankaIyotake lehnt den Verkauf der Schwarzen Berge ab. Die Geschichte von den jungen Kriegern, die vor einem Lager, in dem sich die weißen Gegner verschanzt haben, ihren Mut beweisend, vor den Schüssen auf und abreiten, erzählt auch Ernie La Pointe in der Biografie über seinen Urgroßvater. Die Krieger fragen ihn, ob er denn mutlos wäre und Tatanka setzt sich in Gewehrschussweite seelenruhig hin. Nein, die Krieger sollen ihr kostbares Leben nicht sinnlos aufs Spiel setzen. 

Im Jahr 1975 erhalten die Lakota – Indianer und andere Stämme von der US-Regierung ein Ultimatum: Sie sollen bis zum 31. Januar 1876 auf den eingerichteten Reservationen erscheinen. Ein blutiger Sommer steht bevor. Erneut wird Tatanka Iyotake das Sonnentanzopfer bringen. Er setzt sich vor den Pfahl, 50 kleine Fleischstücke schneidet ihm sein Adoptivbruder, aus dem Körper. Danach tritt der Häuptling in die Sonne, er tanz durch die Nacht bis zum darauffolgenden Mittag.

Tatanka Iyotake spricht: „Eine Stimme sprach zu mir: ‚Blick unter die Sonne!‘. Und ich blickte unter die Sonne und sah Langmesser in großer Zahl auf ein Lager herabfallen. Sie glichen Heuschrecken, mit den Beinen in der Luft und ohne Ohren. Unter ihnen sah ich einige unseres Volkes, die ebenfalls mit den Beinen in der Luft herabfielen und keine Ohren hatten. Dann vernahm ich wieder die Stimme: ‚Ich gebe euch diese Langmesser, da sie keine Ohren haben, um zu hören. Sie werden sterben, aber ihr dürft nicht nehmen, was ihnen gehört.‘“[13]

Den Höhepunkt der folgenden Kämpfe ist die Schlacht am Little Bighorn. Es ist der 25. Juni 1876. Die vereinten Stämme vernichten die Truppen der 7th. Cavalry unter Lieutenant Colonel J.A. Custer. 

„Der Häuptling empfindet tiefe Genugtuung über den gewaltigen Sieg. Aber denkt auch an seine Vision, in der ihm der Triumpf über die Feinde vorhergesagt wurde, in der er aber auch gewarnt wurde, dass seine Leute die getöteten Wasichu nicht anrühren sollen. Dennoch haben sie es getan. Wird das Große Geheimnis sie bestrafen?“ [14]  Vielleicht nicht Wakan Tanka, aber die Wasichu selbst werden es tun. Bis in die heutige Zeit gibt es Amerikaner die Custers Zug für eine Heldentat halten. 

* * *

Abb 6 - Auf der Flucht
Eine neue Welt: So nennt Erik Lorenz den dritten Teil seines Buches. Es ist ein schmerzlicher Teil, denn in den nächste knapp 20 Jahren werden nicht nur Tatanka Iyotakes Hunkpapa sondern auch viele andere Stämme in die Reservationen getrieben werden.
Der Oberhäuptling trifft auf einen General namens Miles. Es ist Winter. Der General verlangt von ihm, sich auf die Reservation zu begeben. Doch Tatanka Iyotake lehnt ab: „Das Große Geheimnis hat mich als einen freien Indianer erschaffen, nicht als einen Reservationsindianer… Geht fort aus diesem Land. Was habt ihr hier zu suchen? ...“ [15]


 Es kommt zum Kampf. Auf der Flucht müssen die Hunkpapa Zelte, Pferde und Vorräte zurücklassen. Noch einmal treffen der „Sitzende Bulle“ und das „Verrückte Pferd“ aufeinander. [16] Hier erklärt Tatanka Iyotake seinem jüngeren Freund, dass er „in das Land der Großen Mutter“ – nach Kanada ziehen will. [17] Tashunka Witko will Bisonherden suchen. Er wird sich später zuerst auf einer Reservation einfinden und bei einem Handgemenge den Tod finden. Beim Übergang über den Missouri verliert die große Gruppe  von Tatanka Iyotake noch einmal eine Teil ihrer Habe. [18]



Abb 7 - Ein Freund in Kanada
Eine in meinen Augen sehr schöne Geschichte ist die der Freundschaft mit dem Major der Mounties, James Walsh, der versucht, Tatanka Iyotake und den Resten seines Stammes beim sesshaft werden zu helfen. Der Häuptling beschreibt den Major als „ganzen Mann, als vernünftigen Mann“… Er ließ mich begreifen, dass ich es bisher nur mit dem niedrigsten Abschaum seiner Rasse zu tun gehabt hatte.“ [19]  Im Gegenzug beschreibt Walsh so: „Er ist der klügste lebende Indianer, hat den Ehrgeiz Napoleons und ist tapferer, als für ihn gut ist. Von jedem Indianer auf der Prärie wird er respektiert und gefürchtet.  Im Kampfe nimmt es keiner mit ihm auf. Im Rat ist er allen überlegen. Jedes Wort, das er spricht, ist von Gewicht, wird zitiert und von Lager zu Lager weitergegeben.“ [20]

Doch kann ihm der Major letztlich nicht helfen: Für die große Stammesgruppe ist es nicht möglich, sich alleine durch die Jagd zu ernähren. Die großen Bisonherden gibt es nicht mehr und beim Umherstreifen geraten sie gelegentlich in Konflikt mit anderen Indianergruppen in deren Jagdgründen. Schweren Herzens kehren sie in die USA zurück.

Diese letzten zehn Jahre sind sehr schwierig für den Häuptling. Man führt Tatanka Iyotake und seine Familie durch das Land. Bismarck ist die erste Stadt, die er sieht. Auf einem Dampfschiff fahren sie den Missouri hinunter. Die Amerikaner interessieren sich durchaus für den Mann und empfangen ihn durchaus auch zuvorkommend. Er bekommt gezeigt, wie man das „eiserne Ross“ – eine Lokomotive – fährt, möchte aber nicht mitfahren, er hat es als „Feind“ erlebt und bekämpft. [21]

Die Freundlichkeit seitens der Blauröcke ist verlogen. Nicht in das Standing Rock Reservat bringen sie ihn, er wird als Kriegsgefangener nach Fort Randall gebracht. Zwei Jahre später beginnt der letzte Kampf mit nur noch einem weißen Mann: James McLaughlin ist der Vorsteher der Reservationsagentur. Bis zu Tatankas Tod, für den McLoughlin durchaus mitverantwortlich gemacht werden kann, werden sie gegen einander stehen, denn der Freiheitswille und die Traditionsbewusstheit des ehemaligen Oberhäuptlings sind weiterhin ungebrochen. Leider trifft die Einschätzung des kanadischen weißen Freundes nicht mehr umfassend zu. Andere Häuptlinge wenden sich von ihm ab, haben sich auch gelegentlich mit den Weißen auf den Reservationen arrangiert. 

Still ist es geworden, kaum noch Lieder, keine Geschichten mehr am Zeltfeuer. Heimlich jagen die Männer. Kinder wurden in ferne Schulen gebracht. So sieht es aus, das Leben in der Reservation, da kommt ein weißer Mann in die Hütte des Häuptlings: Buffalo Bill. Cowboy, Jäger, Scout. Hat im Bürgerkrieg gekämpft und beim Eisnbahnbau mitgemacht. Nun ist er Schausteller. Im Zirkus. Tatanka Iyotake geht mit ihm. Interessant: Erst der Bürgerkriegsgeneral Sherman muss sich für den Häuptling verwenden, damit er die Reservation verlassen kann. [22]

Es hält sich das Gerücht, dass der berühmteste Lakota auch in Europa an den Wild-West-Shows der Gruppe von William Cody (Buffalo Bill) teilgenommen hat, dies ist aber nicht wahr.[23] Tatanka Iyotake wird immer bekannter, verdient wohl auch eine Menge Geld, aber seine Ansprachen, mit denen er um Verständnis für die Indianer wirbt und Verbesserungen ihres elenden Reservationslebens erwirken will, kommen nicht an. Der „Custer Mörder“ will zurück zu seiner Familie. Cody bedauert dies. Ist er selbst ein Freund des Lakota? Vielleicht. [24]


 

Abb 8 - Indianergebiete
Tatanka Iyotake reist zurück in die Reservation. Die Feindschaft mit McLaughlin wird größer, denn des Häutlings Einfluss wächst wieder. Er reist auch noch einmal, nun doch mit dem Eisernen Pferd nach Washington, trifft mit anderen Häuptlingen den Präsidenten der USA, Cleveland, und verhandelt auch mit dessen Innenminister. Es ist die Tragik der indianischen Völker: Inzwischen haben einflussreiche Führer sich arrangiert und sind bereit, „ungenutztes“ Land zu verkaufen, zu „verrammschen“. 

„Es ist unser Land. Das letzte, das wir noch haben. Es gehört uns und unseren Kindern.“ [25] So versucht der Hunkpapa Lakota die anderen Häuptlinge noch einmal zu überzeugen. Doch viele haben aufgegeben. So beginnt das letzte Kapitel in der Geschichte der Lakota, zumindest das letzte Kapitel des Buches über Tatanka Iyotake. Das Christentum und die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tode, so unähnlich sind sich die Religionen nicht, sieht man vom Sohn Gottes ab. Die Toten und die Bisons, sie werden wiederkommen. Ein falscher indianischer Prophet wird zum Auslöser der Geistertanzbewegung. Tatanka Iyotake, der ja auch viele Geheimnisse kennt, ist skeptisch, gestattet aber seinen Getreuen auch vor seiner Hütte zu tanzen. Selbst macht er nicht mit. Er ist beeindruckt von der Macht dieses Propheten Wowoka, der predigt, dass das Geistertanzhemd vor Gewehrkugeln schützt. [26] 

Die Lakota vor Tatankas Hütte werden immer mehr. Der weißhaarige McLaughlin bekommt Angst. Er will die Geistertanzbewegung beenden. Doch Tatanka Iyotake sagt zu ihm:
„Der neue Glaube gibt den Lakota neue Hoffnung… Warum willst du ihn verbieten?... Du hast mir vor langer Zeit gesagt: Ich bin ein Indianer wie jeder andere. Du erkennst nicht an, dass ich ein Häuptling bin. Dann kannst du nicht erwarten, dass ich mein Volk in deinem Sinne führe. Aber fürchte dich nicht. Wir tun nichts, wir schaden niemandem, wir greifen niemanden an und erheben keine Waffen.“ [27]







Doch die Indianer sind letztlich uneins. Die Wiesenlerche erklärt ihm, es ist seine letzte Vision: „Dein eigenes Volk wird dich ermorden.“ [28]

* * *

„ ‚Das ist das letzte Bild, dass ich von Sitting Bull habe‘. Sagt Davids Großvater und streicht vorsichtig darüber. Es zeigt einen Mann mit einer überdimensional großen buntgefiederten Wiesenlerche.“ [29]



Abb 10 - Zitate


Der Großvater erzählt die Geschichte von Verrat und Mord zu Ende. Dem Jungen eröffnen sich bisher nicht bekannte Räume und er versteht vieles. So beendet Erik Lorenz sein Buch. Er beendet es typisch indianisch möchte man meinen. Die erzählten Geschichten gilt es zu bewahren. Jahrhunderte haben die indianischen Stämme die Märchen und Mythen weitergegeben.

 * * *

Abb 11
Erik Lorenz hat ein Geschichtenbuch, ein biografisches, geschrieben. Er bettet die Lebensgeschichte des bekannten Sitting Bull in eine Rahmenhandlung ein, die wiederum eine Geschichte ist. Die einzelnen Teile bestehen aus kurzen Geschichten, die nicht nur das Leben des Helden darstellen, sie vermitteln auch viel von der Kultur der nordamerikanischen Prärieindianer. Selbstverständlich bediente er sich entsprechender Literatur.  Besonders erwähnt sei hier noch einmal die Biografie, die Urenkel Ernie LaPointe im Jahr 2009 veröffentlichte und die der Traumfängerverlag im Jahr 2011 in Deutschland herausbrachte. Vieles findet sich hier wieder und der aufmerksame Leser wird feststellen, dass die Wirkung von Erik Lorenz Buch ebenso eine authentische ist. Nicht nur dies, auch die Geschichten, Mythen und Erzählungen von Zitkala-Ša (Roter Vogel erzählt) oder John Okute Sica (Das Wunder vom Little Bighorn), kann man wiedererkennen. 


Trotzdem ist das Buch keineswegs einfach „abgeschrieben“, es ist schlichtweg hervorragend neu erzählt. Eingangs sagte ich schon einmal, es ist nicht einfach eine weitere Biografie, als solche hätte die von LaPointe vollkommen genügt, einmal abgesehen davon, dass es in den USA eine unüberschaubare Menge von Büchern und Veröffentlichungen über Sitting Bull gibt. 

Es ist sehr gut lesbar, es lädt ein zum weiter schmökern. Es ist informativ, auch wegen der kleinen Einschübe, Erklärungen und Zitate, die die einzelnen Geschichten ergänzen. Und es ist wunderschön bebildert. Mit fortschreitendem Lesen haben mir die Illustrationen von Claudia Lieb immer besser gefallen; zugegebener Maßen fand ich sie zu Beginn gewöhnungsbedürftig. Diesen Eindruck kann ich heute keineswegs mehr aufrechterhalten. Mal sind sie eher stilistisch, an indianische Malereien erinnernd, mal detailreich, nie überladen und meist nur mit den Grundfarben auskommend.

Es gibt eine Menge von sogenannter Indianerliteratur. Weder der Palisander-Verlag noch dessen Autor Erik Lorenz sind die einzigen in Deutschland, die indianische Geschichte so erzählen. Aber sie erzählen sie auf eine besondere Art und Weise. Der Verlag hat sich dem Werk von Liselotte Welskopf-Henrich verschrieben. Dem folgend, kam auch die bereits erwähnte Biografie in Chemnitz heraus. Die Palette wird ergänzt durch ganz hervorragende Sachbücher und authentischer Erzählungen. Einige wurden schon genannt. Das Gesamtverzeichnis des Verlages führt diese gleich zu Beginn alle auf.

Die Begeisterung, mit der Verlagsleiter Dr. Frank Elstner und der noch recht junge Autor Erik Lorenz das hier besprochene Buch auf der Buchmesse in Leipzig im März 2016 vorstellten, lässt da im Laufe der Zeit noch mehr erhoffen.

Abb 12 - Buchmesse Leipzig - Buchvorstellung - Erik Lorenz und Frank Elstner


Da bleibt mir nun nur noch, erst einmal Danke zu sagen dafür, dass ich das Buch als Rezensionsexemplar erhielt und die Freude hatte, der Präsentation in Leipzig beiwohnen zu können. Auch waren die Gespräche mit Herrn Dr. Elstner und mit Erik Lorenz sehr interessant. Schön, Erik, dass wir uns kennenlernen konnten. 


* * *

Erik Lorenz. Geboren 1988 in Berlin publiziert auch Reiseliteratur. Er hat über Hongkong, Kambodscha, Laos geschrieben. Der asiatische Kontinent hat es ihm angetan.

Claudia Lieb, deren Webseite „nur“ ihr Werk, aber nichts über sie selbst erzählt, wurde 1976 in Erlenbach am Main geboren. Studiert hat die Angewandte Wissenschaften und Kommunikationsdesign. Sie lebt und arbeitet in München.[30]
Übrigens haben ihre Zeichnungen und Grafiken maßgeblich dazu beigetragen, dass dieses hier besprochene Buch überhaupt in Angriff genommen wurde. [31]

DNB / Palisander Verlag / Chemnitz 2016 / ISBN: 978-3-938305-95-9 / 224 Seiten
► Erik Lorenz Webseite
► Claudia Liebs Webseite

© KaratekaDD

Abbildungen und Quellen:






 Abbildungen:
Abb 1: Cover (Palisander Verlag)
Abb 2: Collage (URDD): mit Szenenfoto und Cover für Die Söhne der Grißen Bärin,
Abb 3: Collage (URDD): Illustration  von Seite 27 und 28/29; Bisonbulle aus https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:American_bison_k5680-1.jpg#filelinks; public domain
Abb 4: Sonnentanz. Illustration Seite 60
Abb 5: Cover Sitting Bull - Sein Leben und Vermächtnis von Ernie LaPointe 
Abb 6: Collage (URDD)  - Auf der Flucht - Illustrationen von Seite 161, 163, 165
Abb 7:  Collage (URDD) - Ein Freund in Kanada - Buchseite 168/169
Abb 8: Ausschnitt Illustration Seite 118 
Abb 9: Die Wisenlerche - Illustration con Seite 90
Abb 10: Collage (IRDD) Zitate von Ernie Lai Pointe, Seite 180; John Okute Sica, Seite 176; Tatanka Iyotake, Seite 182
Abb 11: Cover Roter Vogel erzählt, Zitkala-Ša (Palisander - Verlag)
Abb 12: Collage (URDD) Buchmesse Leipzig. Vorstellung  von Die Geschichte des Sitting Bull. Fotos von URDD

Quellen:
[1] Die Indianer oben auf dem Szenfoto des gleichnamigen Films allerdings stellen Tokei-ihto und Tashunka Witko dar, Tȟatȟáŋka Íyotake kommt im Film nicht vor, obwohl er im Roman selbst eine mehrfach entscheidende Rolle spielt.

[2] Lorenz, Erik: Die Geschichte des Sitting Bull; Palisander Verlag, Chemnitz 2016, ISBN:  978-3-938305-95-9; Seite 22

[3] Der Coup ist das Berühren eines gegnerischen Kriegers ohne ihn zu verletzen oder zu töten. Das ist wohl eine besonders mutige Tat, da sich der Ausführende ja in unmittelbare Lebensgefahr begibt und somit äußerst geschickt und wendig reagieren muss.

[4] Manchmal frage ich mich allerdings, ob nicht vielleicht schon Ernie LaPointe hier die Legende zumindest hinsichtlich des Alters des Burschen überbewertet.

[5] Vgl. Lorenz, Erik: Sitting Bull, Seite 35ff

[6] Die Ethnologin Frances Densmore schrieb zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Buch Die Lieder der alten Lakota. Dazu hat sie Lieder und Gesänge mit damaligen Mitteln auf Schallplatten aufgenommen. Im Palisander-Verlag erschien das Buch im März 2012.

[7] Densmore, Frances, in: Ebenda, Seite 49

[8] Vgl. Lorenz, Erik: Sitting Bull, Seite 70 ff

[9] Vgl. Ebenda, Seite 52 ff – Vom Sonnentanz erzählt auch Liselotte Welskopf-Henrich. Ihrem Held Stein mit Hörner wird dabei vom Geheimnismann das Brustfleisch tiefer eingeschnitten. Er soll als Lügner vor der Sonne sterben. Er tanz vom Morgen bis in die Nacht, bis ihm endlich die Befreiung gelingt. Dass die Tänzer weiter tanzten, war mir bisher völlig unbekannt. 

[10] Ein anschauliches Bild bietet die Miniserie INTO THE WEST.

[11] Vgl. Lorenz, Erik: Sitting Bull, Seite 62 ff

[12] Wasichu oder Wasicu (Waschitschun): Begriff für Geister, die weißen Männer. Die Lakota bezeichneten sich in ihrer Sprache als Menschen

[13] Vgl. Lorenz, Erik: Sitting Bull, Seite 134ff

[14] Vgl. Ebenda, Seite 151

[15] Vgl. Ebenda, Seite 160

[16] Ernie LaPointe erklärt in seiner Biografie über Sitting Bull, seinen Urgroßvater, dass Tȟatȟáŋka Íyotake soviel bedeutet wie „Ein Bisonbulle, der im Begriff ist, sich hinzusetzen“. Sitzender Bulle – Sitting Bull ist als nicht genau zutreffend. Für Tȟašúŋke Witkó gilt das ähnlich. „Sein Pferd ist verrückt“ oder Verrücktes Pferd“ – Crazy Horse – ist vielleicht die ungenaue Übersetzung für Geheimnispferd, der junge Tashunka Witko war ein berühmter Reiter, Pferdefänger und Pferdezähmer.

[17] Kanada – Das Land der Großen Mutter: Der Name kommt von der englischen Königin Victoria als Oberhaupt des britischen Commonwealth.

[18] Liselotte Welskopf-Henrich beschreibt in ihrem Roman Über den Missouri (6. Band des Zyklus Die Söhne der Grißen Bärin eine solche Szene, als die Bärenbande (Oglala – Lakota), geführt von Tokai-Ihto, den Missouri nach beim Eisbruch überschreiten muss.

[19] Vgl. Lorenz, Eric: Sitting Bull, Seite 169 – Überliefert von John Okute-Sica, dessen Buch, Das Wunder vom Little Bighorn ebenfalls im Palisander-Verlag verlegt wurde, und dessen Manuskript einst Liselotte Welskopf-Henrich von ihrer ersten Nordamerikareise mitgebracht hatte.

[20] Vgl. Ebenda, Seite 174

[21] Vgl. Ebenda, Seite 178

[22] Vgl. Ebenda, Seite 189/190 – Generalleutnant William Sherman nahm nach dem Bürgerkrieg selbst an den Indianerkriegen teil und ermöglichte den Navajos die Reservation in deren Stammland.

[23] Dies Frage stellte ich dem Autor auf der Buchmesse in Leipzig 2016. Er verneinte dies.

[24] Die Auffassungen dazu gehen im Vergleich von Lorenz Buch zu LaPointe´s Biografie auseinander. Lorenz stellt das Verhältnis als (fast) freundschaftlich dar, LaPointe betont die zur Schaustellung des „Mörders von Custer“

[25] Vgl. Lorenz, Erik, Sitting Bull, Seite 198.

[26] Geistertanz heißt der letzte Teil der Miniserie Into the West, der diese Zeit bis hin zum Massaker bei Wounded Knee erzählt.

[27] Vgl. Lorenz, Erik, Sitting Bull, Seite 202f

[28] Vgl. Ebenda, Seite 207 – Die Visionen mit den Wiesenlerchen werden auch von Ernie LaPointe erzählt

[29] Vgl. Ebenda, Seite 211ff

[30] Siehe Ebenda, Seite 4


[31] Dies erzählte Erik Lorenz auf der Buchmesse 2016 in Leipzig.


2 Kommentare:

  1. Vielen Dank für die detaillierte Buchbesprechung! Die Ausführlichkeit und Sorgfalt ist beeindruckend und erfreulich. Leser wie du geben mir als Autor das Gefühl, dass sich die Arbeit lohnt! Insbesondere freut mich auch, dass dir die Gestaltung des Buches zusagt, denn das war in der Tat unser erklärtes Ziel: Nicht hervorragende Biografien wie jene von LaPointe oder Yenne zu ersetzen, sondern das schönste denkbare Buch über diese spannende und vielseitige Persönlichkeit herauszugeben. Deshalb war die Mitarbeit der Künstlerin Claudia Lieb essenziell, ohne die – da erinnerst du dich (vermutlich von der Buchmesse) richtig – das Buch so nie entstanden wäre. Ich bin auf ein von ihr illustriertes Buch bei einer Ausstellung des Goethe Instituts in Hongkong gestoßen und war von ihrem einzigartigen Stil sofort begeistert. So nahm alles seinen Anfang ...
    Übrigens: Das Buch wurde erfreulicherweise gerade für den „The Book and the Beauty Award“ 2016 nominiert. Falls einer deiner Leser durch die hier von dir verarbeiteten Fotos den Eindruck gewonnen hat, dass es sich um ein schönes Buch handelt, würden wir uns über jede Stimme unter http://beautyandbook.com/die-geschichte-des-sitting-bull/ freuen – dauert nur fünf Sekunden.
    Weiter viel Lesefreude wünscht
    Erik Lorenz.

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    1. Vielen Danke, lieber Erik, für die freundlichen Worte. Ja, wir hatten us auf der Buchmesse über die Entstehung des Buches unterhalten. Ich fand auch die Vorstellung sehr gut und ich glaube sie war auch gut besucht. Aber davon habe ich ja in Messe-Posts geschrieben.

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