Sonntag, 3. April 2016

Dobler, Franz: Ein Bulle im Zug

NO ONE IS INNOCENT
Ronald Biggs

Niemand ist unschuldig. 
Dieses Motto, welches der Autor Franz Dobler seinem Roman voranstellt, ist ein Zitat des legendären britischen Zugräubers 
Ronald Biggs. 

"Kriminalhauptkommissar Faller 
ist nicht der zimperliche Typ. Er mag keine halben Sachen - er ist der Schimanski von München. Aber jetzt hat ihn etwas völlig aus der Bahn geworfen - beziehungsweise in die Bahn. Fallner hat bei einem Einsatz einen jungen Kriminellen erschossen. Auf Anraten seiner Therapeutin fährt er nun mit dem Zug wahllos durch das Land.
Aber auch hier bleibt der "Bulle" nicht lange verschont. Eine Mordserie zieht sich durch Deutschland, und Fallner soll den Mörder dingfest machen."
(Text der Einbandrückseite)

Kriminalhauptkommissar Fallner ist ein psychisches Wrack.
Seit er im Dienst einen Jugendlichen erschoss, weil dieser eine Waffe zog, ist seine Welt aus den Fugen geraten: Denn die Waffe ist später nicht mehr auffindbar, was für Fallner in mehrfacher Hinsicht Konsequenzen hat.
Eines gleich vorweg:
Wer einen Kriminalroman im herkömmlichen Sinne erwartet, der wird enttäuscht werden, denn die Kriminalgeschichte ist in Franz Doblers Buch über lange Strecken vermeintlich eher Nebensache:
Fallners Ermittlungen, die Suche nach einem mutmaßlichen Serienkiller, geschehen denn auch eher eher beiläufig...  

Nachdem ich zwei Drittel des Buches gelesen hatte, sollte meine Rezension ungefähr so weiter gehen:

Gern hätte ich anders geurteilt - aber nach der Lektüre des Buches muss ich sagen: Das ist kein leichtes Lesefutter. Insbesondere mit der Einordnung des Werkes in das Genre "Kriminalroman" habe ich große Schwierigkeiten: 
Nicht jede Geschichte ist schon deshalb eine Kriminalgeschichte, weil ein Kriminalbeamter im Mittelpunkt steht!
Vielmehr wird der Leser mit einem Psychogramm der Hauptfigur und zahlreichen "inneren Dialogen" Fallers mit den lebenden und toten "Schatten" aus seinem Leben konfrontiert. 
Das mag in vielerlei Hinsicht aufschlussreich sein, der Spannung und der Förderung einer Handlung des Romans dient es eher nicht. Es "geschieht" nämlich sehr wenig an wirklicher Handlung, was letztlich der Spannung abträglich ist.  

Ich habe das Buch nun ganz gelesen und komme zu meiner eigenen Überraschung jetzt zu einem völlig anderen Urteil!

Es  i s t  eine Kriminalgeschichte, wenn auch keine der gewöhnlichen Art nach dem üblichen

fieser-Krimineller-wird-gejagt-von-heldenhaftem-Kommissar-und-am-Ende-siegt-die-Gerechtigkeit-und-alle-sind-glücklich-Strickmuster...

Diese Geschichte geht anders, 

und zwar gaaaanz anders!

Zunächst ist der Kommissar in dieser Geschichte sowas wie ein Antiheld - durchaus mit genauso vielen sympathischen wie auch unsympathischen Wesenszügen, und er unterscheidet sich damit nur wenig von anderen Protagonisten des Romans.
Erzählt wird das Ganze in einem Erzählstil, der mich sehr an den "Ulysses" des großen irischen Schriftstellers James Joyce erinnert. Hier wie da erleben wir einen "Ulysses" (Fallner), der in einer Art Odyssee durch das Geschehen driftet, und in beiden Fällen erleben wir die Geschichte nicht in gewohnter Abfolge von Ereignissen als Beobachter von außen, sondern über die inneren Reflexionen des Protagonisten. So erleben wir die innere Qual des Kommissars Fallner in teils drastischen Worten und über weite Strecken des Romans fragen wir uns: Was hat das mit der Handlung zu tun?
Was wir zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, ist, dass Fallner eigentlich Opfer und Ermittler zugleich ist. Ermittler in eigener Sache. Das führt am Ende des Romans zu einer überraschenden Wendung. Die aber kommt plötzlich, unerwartet und mit ziemlicher Brutalität (nein, keine Angst, es fließt kein Blut in Strömen!). Brutal ist vielmehr die bittere Wahrheit, die Fallner am Ende aufdeckt und die uns (seine heimlichen Begleiter über mehr als 300 Seiten) mit einem Schlag erhellt, wozu die ganze lange Vorgeschichte gut war. Plötzlich fügt sich ineinander, was zuvor als Puzzle ungeordnet vor uns lag, und wir verstehen den Sinn des Ganzen.
Am Ende des Buches kommt mir ein Wort in den Sinn: GENIAL!
Genial ist die Geschichte, aber vor allem die Art, in der sie erzählt wird:
Der Autor spielt gleichsam mit dem Leser, lockt ihn auf eine völlig falsche Fährte und bringt das Ganze am Ende auf wenigen Seiten wie in einem "richtigen" Kriminalroman zu einer Klärung des Falles, der alle scheinbar wirr liegenden Fäden auf einen Streich zusammenfügt und völlig überraschend für den Leser ist. Und plötzlich merken wir, wie subtil der Autor über 300 Seiten auf dieses Ziel zusteuerte, ohne dass der Leser auch nur einen blassen Schimmer davon hat, worauf die Geschichte hinausläuft...

Ich empfehle dieses Buch mit dem deutlichen Hinweis, dass es sich nicht um "triviale" Literatur im Sinne von "leichte" Kost handelt. 

Franz Dobler

Ein Bulle im Zug
Kriminalroman, 344 Seiten
Gebundene Ausgabe der Büchergilde Gutenberg
Originalausgabe erschienen bei Verlag Tropen, Stuttgart
DNB



Der Autor:
Franz Dobler
Foto: Maximilian Schönherr
Wikipedia


Copyright für diese Rezension: Rudolf Fröhlich (TinSoldier)

2 Kommentare:

  1. Nun dann hoffe ich mal, dass dein Eindruck vom Buch stimmt. (Sicherlich stimmt er.) Aber der Fall des angeknacksten Ermittlers + erschossener Jugendlicher + nicht auffindbarer Waffe desselben, das schreckt doch gehörig ab.
    Interessant, dass auch daraus eine einfallsreiche Story entstand. Allerdings werde ich mir nun nicht den Dobler, sondern eher endlich den Joyce vornehmen. Irgendwann...

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  2. Das macht neugierig. Spannend finde ich den Wandel Deiner Meinung im Verlauf der Lektüre, die Du hier aufschlussreich dargestellt hast. Genial also? Dann merke ich mir dieses Buch mal! ☺

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