Mittwoch, 19. Februar 2014

Woodrell, Daniel: In Almas Augen


Die Zeit vergeht, aber sie heilt nicht alle Wunden. Vor allem wenn ein Verbrechen geschehen ist. Daniel Woodrell steigt in seinem neuen Roman hinab in die versehrte amerikanische Seele des 20. Jahrhunderts. Ein Buch über eine Frau, die für Gerechtigkeit kämpft und einen hohen Preis dafür zahlt...


192 Seiten, € 16,90
Gebunden mit Schutzumschlag
Liebeskind 
Übersetzung: Peter Torberg
Erscheinungstermin 10. Februar 2014
ISBN 978-3-95438-021-3

Leseprobe







Der Preis der Wahrheit...


Eines der Probleme zu Zeiten der Großen Depression in den USA


In einer Kleinstadt in Missouri kommen bei einer sommerlichen Tanzveranstaltung im Jahr 1929 über 40 Menschen ums Leben, als die Arbor Dance Hall durch eine Explosion zerstört wird und in Flammen aufgeht. Fast jede Familie in der Kleinstadt hat einen Verlust zu betrauern, und Entsetzen legt sich über den Ort. Viele Gerüchte über die Tragödie kursieren in jenen Tagen, falsche Geständnisse und unzählige Verdächtigungen sind an der Tagesordnung. Doch die wahre Ursache der Explosion wird nie ermittelt, und die Große Depression, die kurz darauf über Amerika hereinbricht, lässt die Frage nach Unfall oder Absicht rasch in den Hintergrund treten.
Nicht so jedoch für Alma DeGeer Dunahew, eine Haushälterin aus ärmlichen Verhältnissen, die allein für ihre drei Kinder sorgen muss und bei der Explosion ihre zehn Jahre jüngere Schwester Ruby verloren hat. Alma weiß zu viel, um an einen Unfall zu glauben, und stellt Fragen, die zunehmend auf Unmut stoßen. Ihre Nachforschungen bedrohen die Mauer des Schweigens der Kleinstadt, doch sie ist diejenige, die den Preis dafür zu zahlen hat. Ihr Arbeitgeber wirft sie raus, ihre Familie wendet sich von ihr ab - und erst vierzig Jahre später enthüllt Alma ihre Wahrheit über jene schicksalshafte Nacht.


                                                               

Ein Leben in Armut in den USA in den 20er Jahren



"Alma hatte die Schule bis zum Ende der dritten Klasse besuchen dürfen, dann musste sie ein paar Jahre auf den Feldern ihres Vaters arbeiten, bevor sie den Weg in die Stadt fand und Wäscherin, Köchin, Dienstmagd wurde. Sie verlor zwei Söhne, ihren Ehemann, ihre Schwester und verdiente wenig. Meist stand sie nur einen zerschlagenen Teller oder ein lautes Widerwort vor der völligen Armut. Sie war ängstlich und wütend, führte ein Leben voller Groll, voller Anfeindungen und kalter Erinnerungen an all jene, die uns je geärgert oder etwas angetan hatten. Alma DeGeer Dunahew war mit iherer verkniffenen, feindlichen Natur, ihren dunklen Obsessionen und ihrem grundlegenden Verlangen nach Rache das große rote Herz unserer Familie, das wir geheim hielten und das uns Kraft gab." (S. 15)

 

Dies schreibt Almas Enkel, dem sie 1965 schließlich die Wahrheit über die Hintergründe der Explosion erzählt. Dabei wechselt die Perspektive zwischen Gegenwart und Vergangenheit, und zahlreiche Personen und Episoden werden in die Erzählung eingewoben, so dass schließlich ein breitgefächertes Bild über das Leben in der Kleinstadt in Missouri um 1929 entsteht.
Szenenhaft präsentiert sich die Gesellschaft der damaligen Zeit, das Leben wohlsituierter Familien ebenso wie das von Menschen in unsäglicher Armut, bar jeder Illusion und das Vergessen oft nur im Alkohol findend. Jedes der geschilderten Schicksale stellt ein Stück des Puzzles dar, das die Lösung um das große Unglück des Jahres 1929 bietet. Indizien werden so gesammelt und zusammengetragen, bis das Bild komplett ist und Almas Wahrheit sich schließlich Bahn bricht.





Die Prohibition in den USA (1919-1933)


Abgesehen von der geschickten Verschachtelung der Szenen, die stets nur einen winzigen Ausschnitt beleuchten, genug, um eine Ahnung zu erhaschen, zu wenig, um wirklich etwas zu fassen zu bekommen, ist es die Sprache der Erzählung, die mir außerordentlich gut gefallen hat. Mit wenigen Sätzen, rasch skizzierten Bildern, gelang es bereits, mich mitten in eine Szene zu katapultieren:

 

" Das Hudkins-Haus roch nach alten und frischen Zigarren und Jahrzehnten voller Frühstücksspeck, und ich ergab mich schon nach zwei Schritten hinter der Tür diesen alles umhüllenden Düften. Es waren die gesammelten Gerüche eines gut gelebten Lebens, es roch nach Wärme und Dauerhaftigkeit, nach Luft, die mit dem Gewehröl eines abgebrühten Sportsmanns und dem Lavendel von Ma-ma parfümiert war." (S. 141)

 

 ***

"Er wusste nicht, was ihm im Bett wirklich gefiel, bis sie es ihm zeigte. Sie sah Andeutungen von Verlangen in seinen Augen, siebte seine schüchternen Worte, sein Schweigen und entzifferte, was nicht gesagt wurde, um seinem unerfahrenen Körper dann alle stummen Wünsche zu erfüllen. Er erlebte Spasmen, die er für fast heilig erachtete, und er erlebte sie in ihrer Umarmung immer wieder und schneller, als er es je für möglich gehalten hätte (...) so lange, bis er alles losließ, und je mehr er von diesem Augenblicken erlebte, umso mehr wollte er davon. Ihre Lippen auf den seinen waren so fein, so erfahren, und ihre Hände fuhren über seinen Körper wie die einer Geisterbeschwörerin, die eine Wiederauferstehung herbeiführte, so sehr ließ sie ihn anschwellen mit ihren Fingerspitzen und dem zarten Atem und den rosigen Liebkosungen..." (S. 88)


Diese Beispiele sollen an dieser Stelle genügen und haben hoffentlich deutlich gemacht, was DER SPIEGEL seinerzeit über ein anderes Werk Woodrells schrieb: 'Man frisst die Sätze in sich hinein, gierig, mit ständig wachsender Lust an der Schönheit der Sprache.'
Dem kann ich mich nur anschließen!



Für mich mein erstes Highlight des Jahres und ganz sicher nicht das letzte Buch von Woodrell. Ich freue mich, diesen Autor für mich entdeckt zu haben.
Einmal mehr geht ein herzliches Dankeschön an den Liebeskind-Verlag, der mir freundlicherweise dieses Buch als Rezensionsexemplar zukommen ließ. 


© Parden









Daniel Woodrell

Daniel Woodrell, 1953 geboren, wächst in St. Louis und Kansas City auf. Mit siebzehn verlässt er die Highschool und meldet sich bei den Marines. Nach dem College nimmt er am renommierten Iowa Writers’ Workshop teil. Sein Romandebüt »Cajun Blues« erscheint 1986. Für den Roman »Tomato Red« erhält er 1999 den Preis des amerikanischen P.E.N., im selben Jahr verfilmt Ang Lee seinen Roman »Wer mit dem Teufel reitet«. 2010 wird die Verfilmung von »Winters Knochen« beim Sundance Film Festival als bester Film ausgezeichnet und für vier Oscars nominiert. Daniel Woodrell lebt mit seiner Frau in Missouri. >>>Quelle





2 Kommentare:

  1. Ich hab mir vor einigen Wochen Wochen das Buch DIE GESCHICHTE DES AMERIKANISCHEN VOLKES zugelegt. Da findet man auch sehr interessante Dinge über die amerikanischen Gegensätze zwischen Arm und Reich.
    Die Rezension ist sehr gelungen und macht wirklich neugierig.

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  2. Ich lese Historisches ja lieber verpackt in solche Geschichten - da erfährt man sozusagen "nebenher" viel Wissenswertes...

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