Dienstag, 6. April 2021

Boyle, T. C.: Sprich mit mir

Sam, der Schimpanse, den Professor Schermerhorn in eine TV-Show bringt, kann in der Gebärdensprache nicht nur einen Cheeseburger bestellen, sondern auch seinen Namen sagen. Wie ein Kind wächst er umsorgt von Wissenschaftlern auf. Als die schüchterne Aimee dazu stößt, entspinnt sich eine einzigartige Beziehung: Sam erwidert ihre Gefühle und entwickelt sich regelrecht zu einem Individuum. Als jedoch die Vision Schermerhorns, der an das Menschliche im Tier glaubt, keine Schule macht, wird er für Tierexperimente von einer anderen Universität beschlagnahmt. Aimee ist am Boden zerstört und fasst einen verrückten Plan. T.C. Boyle geht ebenso komisch wie mitfühlend der Frage nach, ob uns Tiere ähnlicher sind, als wir vermuten. 
 
(Quelle: Klappentext)
 
 
 
 
 
 
  • Herausgeber : Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG; 2. Edition (25. Januar 2021)
  • Sprache : Deutsch
  • Übersetzung: Dirk Gunsteren 
  • Gebundene Ausgabe : 352 Seiten
  • ISBN-10 : 3446269150
  • ISBN-13 : 978-3446269156
  • Originaltitel : TALK TO ME
 
 
 
 
 
 
Dass dieser Roman die Leserschaft spaltet, wusste ich bereits bevor ich mich für dessen Lektüre entschied. Gerade Boyle Fans reagieren hier teilweise enttäuscht, doch mir fehlt ehrlich gesagt der Vergleich zu seinen früheren Romanen, weil dies das erste Werk des Autors ist, das ich gelesen habe. Ob mich das Buch überzeugen konnte? Nun, das könnt Ihr hier lesen:

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 VON DER ÜBERHEBLICHKEIT DES MENSCHEN...

 
Ein interessantes Gedankenexperiment präsentiert T.C. Boyle mit seinem Roman um den Schimpansen Sam. Schimpansen in Film und Fernsehen sind nichts Neues, wohl aber Sam, der von Geburt an unter Menschen aufwächst. Nicht etwa weil seine Mutter gestorben oder nicht dazu in der Lage gewesen wäre, ihn aufzuziehen, sondern weil man ihn ihr einfach weggenommen hat - zu Forschungszwecken. Wenn Sam nie Kontakt zu seinen Artgenossen hätte, würde er sich dann nach und nach wie ein Mensch fühlen, wie einer handeln und denken? 

Um das herauszufinden, benötigt Sam eine Sprache, und tatsächlich erlernt er viele Wörter in der Gebärdensprache, über die er mit 'seinen' Menschen kommuniziert. Der Biologe Professor Guy Schermerhorn lebt mit Sam unter einem Dach, und da der Schimpanse ständiger Aufsicht bedarf, geht dort noch eine Reihe anderer Menschen ein und aus, meist Studenten. Als sich die Studentin Aimee auf eine vakante Stelle im Hause Schermerhorns bewirbt, stellt sich rasch heraus, dass zwischen Sam und ihr eine besondere Bindung besteht. Fast wie Mutter und Kind leben sie dort zusammen, und als Aimee schließlich auch im Bett des Professors landet, scheint die Familienidylle perfekt. 

Als die Gelder für das langjährige Experiment gestrichen werden, weil die Wissenschaft sich anderen Feldern zuwendet, wird Sam, der mit Fug und Recht als Individuum bezeichnet werden kann, von seinem eigentlichen Besitzer Dr. Moncrief abgeholt und in einen Käfig gesperrt. Dort trifft er erstmals auf Artgenossen und ist zutiefst verstört. Doch noch schlimmer ist die Gefahr, die über seinem Kopf schwebt: Tierversuche im Dienste der Wissenschaft ohne Rücksicht auf Leib und Leben - und Seele - der Versuchtsobjekte.

Aimee ist fassungslos, und trotz ihrer sonstigen Schüchternheit und zurückhaltenden Art versucht sie alles, um Sam zu retten. Doch wie kann eine Rettung aussehen - eine Befreiung aus dem Käfig? Und dann? Was könnte Sam, der weder ein Mensch ist, wie er allmählich erkennt, noch jemals wirklich zu seinen Artgenossen gehören wird, wirklich gerecht werden? Und wird Aimee mit ihrem verrückten Plan letztlich damit durchkommen?


„‚Ach, Scheiße, nicht schon wieder‘, sagte Moncrief. ‚Hör zu: Spracherwerbsprojekte sind passé, gewöhn dich dran. Wenn du’s genau wissen willst, steht zur Zeit die ganze Affenforschung, von A bis Z, auf wackligen Beinen […]. Das Einzige, wofür die Tiere jetzt noch gut zu gebrauchen sind, ist die biomedizinische Forschung. Da geht’s um AIDS und den Boom der Transplantationsmedizin, und die brauchen so viele Affen, wie sie kriegen können.‘“ 


Dies ist eine langsam erzählte Geschichte, die den Hauptcharakteren ausreichend Zeit lässt, sich zu präsentieren. Leider empfand ich garde diese als recht schablonenhaft und Klischees bedienend. Zum einen ist da der böse Dr. Moncrief, der Sam zu Versuchszwecken in einen Käfig steckt und der passenderweise mit einer Augenklappe herumläuft, zum anderen die gute Studentin Aimee, naiv, lieb und fürsorglich, und schließlich noch der rückgratlose Professor Guy Schermerhorn, den das Schicksal Sams kaum zu berührend scheint, der dagegen seiner wissenschaftlichen Laufbahn voller Selbstmitleid hinterherweint. Einzig der Schimpanse Sam weiß zu überzeugen, und sein Dilemma berührt…

Ein besonderer Kniff des Romans besteht aus den stetigen Perspektivwechseln. So wird abwechselnd aus der Sicht von Guy Schermerhorn, aus der von Aimee und letztlich auch aus der von Sam selbst berichtet. Bei den Abschnitten, die Sams Perspektive darstellen, findet sich die Besonderheit, dass die Begriffe, die dem Schimpansen als Gebärde vertraut sind, in Großbuchstaben geschrieben sind. Und auch wenn T.C. Boyle hier natürlich fiktive Gedankengänge präsentiert und aus seiner menschlichen Sicht heraus die Handlungs- und Denkweise des Schimpansen interpretiert und damit zwangsläufig vermenschlicht, sind es gerade diese Abschnitte, die mich der Erzählung haben nahekommen lassen. Das Schicksal der anderen Charaktere interessierte mich dagegen nur peripher.

Deutlich wird in diesem Roman in jedem Fall die Überheblichkeit des Menschen, der sich über alles stellt und sich ganz im biblischen Sinne die Erde ‘untertan’ macht, ohne Rücksicht auf Verluste. Selbst alles Lebendige wird in den Dienst eines möglichen Nutzens gestellt, bestenfalls fällt mal der Gedanke ‘artgerecht’ – nicht jedoch hier. Denn weder der böse Dr. Moncrief mit seiner Tierversuchs-Käfig-Haltung noch der wissenschaftsorientierte Professor Guy Schermerhorn oder auch die gutmeindende Aimee lassen Sam eine artgerechte Haltung zukommen – denn Tiere lassen sich nicht vermenschlichen, seien sie uns auch in gewissen Punkten noch so ähnlich. Nur in der Frage der Würde unterscheiden sich die Handelnden in dieser Erzählung. Einen Gedankenanstoß liefert der Roman definitiv. 

Mein erstes Buch von T.C. Boyle konnte mich trotz des interessanten Themas nicht so ganz überzeugen. Neben manchen Längen im Erzählfluss waren es vor allem die eindimensionalen Charaktere, die mich störten, da sie für wenig Dynamik und Farbe im Geschehen sorgten. Sam dagegen war sehr präsent und überzeugend, und das Ende des Romans in meinen Augen passend. Ein interessanter, lesenswerter Ansatz, dem streckenweise jedoch etwas die Luft ausging.



© Parden 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
T. Coraghessan Boyle, 1948 in Peekskill, N.Y., geboren, ist der Autor von zahlreichen Romanen und Erzählungen, die in vielen Sprachen übersetzt wurden. Bis 2012 lehrte er Creative Writing an der University of Southern California in Los Angeles. Bei Hanser erschienen zuletzt  Das wilde Kind (Erzählung, 2010), Wenn das Schlachten vorbei ist (Roman, 2012), San Miguel (Roman, 2013), die Neuübersetzung von Wassermusik (Roman, 2014), Hart auf hart (Roman, 2015), die Neuübersetzung von Grün ist die Hoffnung (Roman, 2016), Die Terranauten (Roman, 2017),  Good Home (Stories, 2018), Das Licht, (Roman, 2019) Sind wir nicht Menschen (Stories, 2020) sowie Sprich mit mir (Roman, 2021).
 
 
 

1 Kommentar:

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