Aus dem Buch:
"Als der bekannte Romanschriftsteller R. frühmorgens von dreitägigem erfrischendem Ausflug ins Gebirge wieder nach Wien zurückkehrte und am Bahnhof eine Zeitung kaufte, wurde er, kaum dass er das Datum überflog, erinnernd gewahr, dass heute sein Geburtstag sei. Der einundvierzigste, besann er sich rasch, und diese Feststellung tat ihm nicht wohl und nicht weh. Flüchtig überblätterte er die knisternden Seiten der Zeitung und fuhr mit einem Mietautomobil in seine Wohnung. Der Diener meldete aus der Zeit seiner Abwesenheit zwei Besuche sowie einige Telephonanrufe und überbrachte auf einem Tablett die angesammelte Post. Lässig sah er den Einlauf an, riss ein paar Kuverts auf, die ihn durch ihre Absender interessierten; einen Brief, der fremde Schriftzüge trug und zu umfangreich schien, schob er zunächst beiseite. Inzwischen war der Tee aufgetragen worden, bequem lehnte er sich in den Fauteuil, durchblätterte noch einmal die Zeitung und einige Drucksachen; dann zündete er sich eine Zigarre an und griff nun nach dem zurückgelegten Briefe.
Es waren etwa zwei Dutzend hastig beschriebene Seiten in fremder, unruhiger Frauenschrift, ein Manuskript eher als ein Brief. Unwillkürlich betastete er noch einmal das Kuvert, ob nicht darin ein Begleitschreiben vergessen geblieben wäre. Aber der Umschlag war leer und trug so wenig wie die Blätter selbst eine Absenderadresse oder eine Unterschrift. Seltsam, dachte er, und nahm das Schreiben wieder zur Hand. "Dir, der Du mich nie gekannt", stand oben als Anruf, als Überschrift. Verwundert hielt er inne: galt das ihm, galt das einem erträumten Menschen? Seine Neugier war plötzlich wach. Und er begann zu lesen:"
Dir, der Du mich nie gekannt...
(auch veröffentlicht von parden auf Buchgesichter.de am 02.12.2013
Wien, 1920 |
Die Geschichte - erstmals erschienen 1922 - beginnt mit der Schilderung eines Schriftstellers, der nach einem Bergurlaub in seine Heimatstadt Wien zurückkehrt. Als ihm in seinem Zuhause die Post der vergangenen Tage gereicht wird, ist darunter auch ein schweres Couvert ohne Absender: Darin ist ein Brief, in dem eine unbekannte Frau ihr Leben schildert, das von der unerwiderten Liebe zu dem Schriftsteller bestimmt ist.
Dieser Brief ist die leidenschaftliche Lebensbeichte einer Frau, deren Lebensmittelpunkt er war. Doch sie ist für ihn nur eine belanglose Geliebte unter vielen geblieben, letztlich eine Unbekannte. Wann immer sie sich wiedertrafen - er erkannte sie nicht...
"Ich klage Dich nicht an, mein Geliebter, nein, ich klage Dich nicht an", verspricht sie, und doch stellen ihre glühenden Worten das Leben dieses Mannes, der "nur das Leichte, das Spielende, das Gewichtlose" lieben kann und vor Bindungen zurückscheut aus "Angst, in ein Schicksal einzugreifen", vollständig in Frage.
Diese tragisch-schöne Novelle von Stefan Zweig besticht zum einen durch die feine und poetische Sprache, zum anderen aber auch durch eine perfekte Inszenierung. Mutet die Anrede "Dir, der Du mich nie gekannt" noch an wie das Schreiben einer vollkommen Unbekannten, entpuppt sich Stück für Stück, dass sich die Frau und der Autor durchaus einige Male begegnet sind, sehr intim sogar. Allmählich erst wird die Tragik eines Lebens offenbar, das sich einzig der Liebe zu diesem Autor verschrieben hat - und doch unerhört blieb.
"Was war mir Freundschaft, was meine Existenz gegen die Ungeduld, wieder einmal Deine Lippen zu fühlen, Dein Wort weich gegen mich gesprochen zu hören. So habe ich Dich geliebt, nun kann ich es dir sagen, da alles vorbei ist und vergangen. Und ich glaube, riefest Du mich von meinem Sterbebette, so käme mir plötzlich die Kraft, aufzustehen und mit Dir zu gehen."
Eine faszinierende Lektüre, mit dem Gefühl, fast schon verbotenerweise einen Blick in einen sehr persönlichen Brief tun zu dürfen und dabei verzaubert und ergriffen von Zeile zu Zeile zu gleiten.
© Parden
Stefan Zweig |
Stefan Zweig hab ich bisher nicht glesen. Allerdings gibt es da einiges, was sich wahrscheinlich lohnen würde.
AntwortenLöschenDie Idee, Informationen über die Autoren aus Lovelybooks zu ziehen, muss ich mir mal merken.
Zumindest die Schachnovelle werde ich von ihm noch lesen - die liegt hier nämlich schon...
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