Donnerstag, 12. Oktober 2017

Lehr, Thomas: Größenwahn passt in die kleineste Hütte


Denken geht oft deutlich schneller, als man denkt. „Ich saß in einem Café und hörte plötzlich eine faszinierend sichere und dunkle Frauenstimme sagen: ‚Ach, ich habe gleich gewusst, der Stoff gibt etwas her.' Aber noch bevor ich mich umdrehen konnte, setzte sie hinzu: ‚Sie hat ein prima Hängekleid daraus gemacht.'“ Thomas Lehr, einer der klügsten Schriftsteller in Deutschland, ist bekannt geworden durch seine großen, oft umfangreichen Romane. Sein neues Buch macht kurzen Prozess mit der großen Form: Geschichten und Gedanken werden in die kürzestmögliche Fassung gebracht - wenn möglich, in Sätze, die komplette Romane ersetzen: „Sex wollen alle. Aber wer kann schon was damit anfangen?“

(Klappentext Hanser Literaturverlage)


  • Gebundene Ausgabe: 112 Seiten
  • Verlag: Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG (27. August 2012)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3446239839
  • ISBN-13: 978-3446239838











FÜR DIESES BUCH BIN ICH WOHL NICHT INTELLEKTUELL GENUG...



Thomas Lehr ist bekannt geworden durch seine großen, oft umfangreichen Romane und war gerade in letzter Zeit wieder in aller Munde, da wie schon andere seiner Werke zuvor auch sein neuester Roman 'Schlafende Sonne' auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand. Da dies keine Garantie für lesbare Literatur sein muss und die ersten Rezensionen zu dem Buch gar eher das Gegenteil vermuten ließen, beschloss ich, dem Autor lieber eine Chance mit einem deutlich schmaleren Werk zu geben, nämlich diesem hier.

Kein Roman erwartet den Leser hier, keine Novelle, keine Erzählung. Sinnsprüche und Aphorismen hat Thomas Lehr in diesem Büchlein versammelt, doch auch daraus lässt sich erlesen, wes Geistes Kind der Autor ist - oder ist das anmaßend? Das mag sein, doch habe ich hier zumindest einen Eindruck erhalten. Und der gefällt mir ehrlich gesagt nicht sonderlich.

Wo fange ich an? Am besten mit dem Positiven. Als ich es schon nicht mehr erwartete, gab es Passagen, in denen einige Aphorismen auftauchten, die ich wirklich originell, unterhaltsam und zum Nachdenken anregend fand. Das ist auch der Grund, weshalb ich hier mehr als einen Stern vergeben habe.

Aber ansonsten wirkte vieles - wie soll ich es wertfrei ausdrücken? Ich würde am liebsten schreiben: arrogant, überheblich, demonstrativ intellektuell, überbemüht witzig und deshalb eben gar nicht - aber das mache ich natürlich nicht. So sage ich einfach nur, dass vieles meinen Geschmack einfach nicht getroffen hat. Beispiel gefällig?


"Es wird so weit kommen, dass man an Gott glauben oder verliebt sein muss, ein Sadist sein oder ein Liebhaber bestimmter Klavierkonzerte, um eine Maschine ordnungsgemäß bedienen zu können. Der Ausbeutung von Intelligenz, die bald an ihr Ende gebracht ist, folgt zwangsläufig die technische Expropriation der Gefühle."


Was in meinen Augen jedoch noch schwerer wog, war das Gefühl der Überlegenheit und der Unfehlbarkeit des Autors, das für mich jedenfalls ständig zwischen den Zeilen mitschwang. Für mich erscheint Thomas Lehr dadurch als jemand, der aus seiner großen Intellektualität nicht nur keinen Hehl macht (soll er auch gar nicht), sondern der sich durch seine Art des Schreibens damit über eine Vielzahl von Menschen stellt, so z.B. auch über die meisten seiner Leser, aber vor allem auch über die sog. Kritiker. Die Anzahl der Aphorismen, die Lehr den wohl meist unfähigen und ungerechten Kritikern widmet, weist in meinen Augen jedenfalls auf eine enorme gekränkte Eitelkeit seinerseits hin, was bei mir einen deutlich schalen Nachgeschmack hinterließ.

Thomas Lehr ist sicher belesener und auch sicher intellektuell gebildeter als ich, das sei ihm auch zu gönnen. Doch kann er sich eben auch nicht auf die komplette Unbelesenheit seiner Leserschaft verlassen. Das kann dann eben auch dazu führen, dass der Leser den ein oder anderen Sinnspruch wiedererkennt, auch wenn er in dem Buch leicht verändert erscheint. Auch hierfür ein Beispiel:


"Schöne Frauen gehören immer den Phantasielosen. Denn diesen ist die Macht, sich nichts vorstellen zu können."


Dies schrieb Thomas Lehr in dieser Sammlung. Stellt man nun den Marcel Proust zuzuordnenden Aphorismus z.B. HIER gegenüber, so kommen mir irgendwie doch erhebliche Zweifel an der durchgehenden Originalität der Sinnsprüche Lehrs. Quellenangaben gibt es hier jedenfalls keine.

Um die Nerven des Autors und v.a. meine eigenen zu schonen, werde ich jedenfalls künftig darauf verzichten, jedwelches Werk von ihm zu lesen. Ansonsten liefe ich wohl Gefahr, ebenfalls mit einem Spruch Lehrs belegt zu werden:


"Was die Literatur anlangt, so eignet sich das Internet hauptsächlich als Ort der schrankenlosen Pöbelei und der aggressiven Einforderung von Niveaulosigkeit. Weshalb, fragt man sich verdutzt, geben sie denn gar nicht auf zu lesen? Es wäre so viel gesünder für sie."


Nein Danke, künftig ohne mich. Garantiert.


© Parden












Die Hanser Literaturverlage schreiben über den Autor:

Thomas Lehr, 1957 in Speyer geboren, lebt in Berlin. Bei Hanser erschienen u.a. September. Fata Morgana (Roman, 2010), Größenwahn passt in die kleinste Hütte (Kurze Prozesse, 2012), 42 (Roman, 2013), Zweiwasser (Roman, 2014), Nabokovs Katze (Roman, 2016) und Schlafende Sonne (Roman, 2017). Sein Werk wurde mehrfach ausgezeichnet, u. a. 2012 mit dem Marie-Luise Kaschnitz-Preis und 2015 mit dem Joseph Breitbach-Preis.

übernommen von den Hanser Literaturverlagen

2 Kommentare:

  1. Wenn ein Autor keine Kritik verträgt, dann sagt auch das das viel über ihn aus. Deine Rezension finde ich aufschlussreich und nachvollziehbar. Ich kann mit solchen (Un-)Sinnsprüchen zumeist auch wenig anfangen. Aber wem´s gefällt.... Auf den offenbar bei Marcel Proust entlehnten Spruch kann ich nur antworten: Dann möchte ich im Zweifel doch lieber als Phantasieloser durch´s Leben gehen :-)

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  2. Wenn mich jetzt was ärgert, dann ist das der Vergleich der Intelligenz. Du darfst ruhig mal "überheblich" sein, liebe Anne. Und der Spruch mit der Maschine ganz oben, qualifiziert mich gleichermaßen ab.
    So!

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