Montag, 20. Februar 2017

Williams, John: Augustus


Ein US-amerikanischer Schriftsteller veröffentlichte im Jahre 1972 einen wohl ungewöhnlichen Roman über einen römischen Kaiser, der der „Menschheit“ hauptsächlich durch zwei Ereignisse bekannt ist. Das Erste ist eine Volkszählung:

„Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt würde ... Und jedermann ging, daß er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seiner Stadt.“ (Lukas, 2, 1 und 3). 1

Anderen ist vor allem der Ausspruch „Quintil Vare, legiones rede!“ - „Quintilius Varus, gib mir meine Legionen wieder!“, den der römische Kaiser nach dessen Niederlage in der Schlacht im Teutoburger Wald gegen den Cheruskerfürsten Arminius im Jahre 9 n. Chr. angeblich ausrief. 2

Vom ersten Ereignis ist im Roman des John Edward Williams nicht die Rede. Vermutlich liegt das daran, dass die Suche nach dem „geborenen König der Juden“ ein Problem des Herodes Antipas ist, Herrscher in Jerusalem von Roms Gnaden. Der Kampf in Germanien hingegen spielt keine Rolle bis zum letzten Kapitel des Romans. Es ist das Kapitel, indem Augustus selbst zu Wort kommen wird.

„John Williams´ Fantasie ist es vielleicht plausibler als jedem Historiker gelungen, die Seele dieser erstaunlichen Figur zu durchleuchten.“ 3 Diesem Satz werde ich nicht zustimmen, jedoch dem dahinter stehenden Gedanken, dass Geschichte nicht nur durchinteressante und brillante Sachbücher, sondern ebenso durch hervorragende (historische) Romane geschildert und erklärt wird. Selbst erklärt der Autor in einem Vorwort: „Ich habe die Reihenfolge bestimmter Ereignisse geändert, habe erfunden, wo Berichte unvollständig oder ungewiss waren, und manche Personen, die die Geschichte zu erwähnen vergaß, verlieh ich eine Identität.“ 4

Dokumente hat er erfunden, Ortsnamen modernisiert, aber auch zitiert, er schreibt „gestohlen“. „Falls es aber Wahrheit in diesem Werk gibt, dann handelt es sich um literarische, nicht um historische Wahrheit. Und ich bin allen Lesern dankbar, die dieses Buch als das nehmen, als was es gedacht ist - ein Werk der Imagination.“ 5

* * *


Abb 1
Der Roman beginnt mit einem Brief des Julius Cäsar an seine Nichte Atia, Mutter des Gaius Octavius im Jahr 45 v. Chr. 6 Der Junge soll Rom verlassen und studieren. Vormittags mit Gelehrten und nachmittags übend mit den Offizieren der Legionen Cäsars. Cäsar adoptiert den Neffen. Gemeinsam mit ihm reisen Marcus Vipsanius Agrippa, Quintus Salvidienus Rufus und Gaius Cilnius Maecenas. Deren Erinnerungen werden zu einem großen Teil den Biografieroman füllen, der spätere Augustus Cäsar kommt erst am Ende zu Wort. Des Julius Cäsars (fiktive) Briefe sind sehr klarstellend:

„Im Namen der Republik haben wir Mord, Raub und Plünderungen erlebt - und nannten es den notwendigen Preis, den wir für die Freiheit zu zahlen hätten. Cicero beklagt die verderbte römische Moral, die dazu führe, dass wir den Reichtum verehren - und ist selbst vielfacher Millionär, der mit aberhundert Sklaven von einer Villa zur nächsten reist. Ein Konsul redet von Ruhe und von Frieden - und hebt Armeen aus, die seinen Amtskollegen ermorden sollen, da dieser seine Interessen gefährdet. Der Senat redet von Freiheit - und überhäuft mich mit Vollmachten, die ich nicht haben will, aber annehmen und anwenden muss, wenn Rom bestehen soll... Ich habe die Welt erobert und nirgendwo ist man sicher; ich habe den Menschen die Freiheit gezeigt, und sie fliehen sie wie eine Krankheit; ich verachte jene, denen ich trauen kann und liebe die am meisten, die mich am ehesten verraten würden.“ 7

Als die Iden des März im Jahr 44 v. Chr. vergangen, Cäsar ermordet ist und „dies das gerechte Ende eines Tyrannen gewesen sei“, 8 tritt Gaius Octavius sein Erbe an, leicht wird es nicht. Römer kämpfen gegen Römer, er verbindet sich zum Beispiel mal mit mal gegen Marcus Antonius, und schafft ein Reich gewaltiger Größe.

Fast auf der Strecke bleibt seine Tochter Julia, die mehrmals heiraten und sich wieder scheiden lassen muss, alles im Namen der Republik, in Wahrheit eher eine Monarchie. Überhaupt wird Julia immer mehr zur Hauptfigur, vor allem ab dem Zeitpunkt, ab dem sie aus ihrer Verbannung auf die Insel Pandateria schreibt, nunmehr im Jahre 4 nach Christus, Augustus hat noch zehn Jahre zu leben.

Dann, am 09. August des Jahres 14 beginnt Octavius Cäsar einen Brief an seinen Lehrer und Freund Nikolaos von Damaskus, zehn Tage vor seinem Tod. In diesen Zeilen wird letztlich deutlich, was der Romanautor des 20. Jahrhunderts ausdrücken will: „Den Preis historischer Größe, die Einsamkeit und Melancholie der Macht, den eigentümlichen Willen, sein Schicksal zu erkennen und dieses als dessen Werkzeug zu vollstrecken“ 9

Williams hat einen Briefroman geschrieben. Briefromane enthalten meist eine Sammlung fiktiver Briefe, verdichtet zu einer Romanhandlung.10 Hier sind es Tagebuchfragmente von Freunden, Feinden, Senatsbeschlüsse, auch Gedichte (Schmähgedichte auch). Interessant die „Beiträge“ von Horaz, Ovid, Vergil, von Cäsar selbst und Cicero, von Marcus Antonius und Cleopatra und einigen mehr. 11 Gewöhnungsbedürftig die Zeitsprünge, die sich im Roman bewegen, wechselnd zwischen „Vergangenheit“ und „Gegenwart“. Ständig muss der Leser überlegen, wann im langen Leben des „Erhabenen“ wurde der gerade gelesene Text denn „geschrieben“?
 

Abb 2
Octavius Cäsar beschreibt dann die Welt, in die er hineingeboren, ähnlich wie sein Onkel Julius. Ebenfalls ähnlich entscheidet er sich „die Welt nicht aus naivem Idealismus oder egoistischer Rechtschaffenheit zu ändern ... Es war das Schicksal, dass an jenem Nachmittag [der Nachricht von Cäsars Tod] vor beinah sechzig Jahren nach mir griff, und ich beschloss, mich seiner Umarmung nicht zu entziehen.“12 Es ging ihm nicht um seinen Reichtum, so schreibt der Herrscher, denn „mehr Reichtum als man für die eigene Bequemlichkeit braucht, schien mir schon immer der langweiligste Besitz, und nichts finde ich so verachtenswert wie überschüssige Macht.“13

Der Mann der vielen Titel:  Imperator Caesar Divi filius Augustus, Pontifex Maximus, Co(n)s(ul) XIII, Imp(erator) XXI, Trib(uniciae) pot(estatis) XXXVII, P(ater) p(atriae) - Zu deutsch etwa: „Imperator Caesar, Sohn des Vergöttlichten, der Erhabene, Höchster Oberpriester, 13 Mal Konsul, 21 Mal Imperator, 37 Mal Inhaber der tribunizischen Gewalt, Vater des Vaterlandes“).14

Die Macht gebrauchte er äußerst geschickt. Doch als er seine Feinde soweit besiegt hatte, begann etwas, dass man auch „augustäisches Zeitalter“15 nannte. Später auch „augustäischer Frieden“ und Frieden war nun in Rom, vor allem im Vergleich vergangener Jahrzehnte.

Dieser Machtmensch liebte die Dichter: „Ich vermute, ich habe die Dichter bewundert, weil sie in meinen Augen die freiesten und folglich warmherzigsten Menschen waren, und ich habe mich ihnen nahe gefühlt, weil ich in den Aufgaben, die sie sich setzten, eine gewisse Ähnlichkeit mit jener Aufgabe sah, die ich mir vor langer Zeit gestellt hatte.“16 Kein Politiker könne seinen „Text“ so abstimmen wie ein Dichter, „der jede Zeile mit der nächsten abstimmt, um so die Wahrheit aufzuzeigen; und kein Kaiser könnte die verschiedenen, von ihm regierten Teile der Welt so sorgsam anordnen, dass sie ein Ganzes ergeben, wie ein Dichter die Einzelheiten seines Gedichts anordnet, damit eine andere Welt, eine die vielleicht realer als jene ist, die wir so schutzlos bewohnen, ins Universum der Köpfe fremder Menschen driftet.“17

Hier schreibt der Autor des zwanzigsten Jahrhunderts und lässt erahnen, warum er Literatur lehrte, sicher aus Liebe zu den „Dichtern“.

„Seit über vierzig Jahren leben wir nun den römischen Frieden. Kein Römer hat mehr gegen Römer gekämpft ... kein Soldat war gezwungen, gegen seinen Willen zu den Waffen zu greifen. Wir leben den römischen Wohlstand. Kein Bewohner Roms, sei er auch noch so arm, muss ohne eine tägliche Ration Korn auskommen, die Bewohner der Provinzen sind nicht länger der Willkür von Hungersnöten oder Naturkatastrophen ausgeliefert, da sie sich in allen Notlagen auf Hilfe verlassen können... Und wir leben die römische Harmonie. Ich habe die Gerichte Roms so geordnet, dass ein jeder in der Gewissheit vor den Magistrat treten kann, wenigstens ein Mindestmaß an Gerechtigkeit zu erhalten. Ich habe die Gesetze des Reiches so kodifiziert, dass selbst Provinzbewohner einigermaßen sicher vor Korruption und tyrannischer Macht leben können, ich habe den Staat gegen die brutalen Übergriffe ehrgeizigen Machtstrebens geschützt ... Und doch bemerke ich im Gesicht der Römer einen Blick, der Böses für die Zukunft ahnen lässt. Ehrlicher Anteilnahme überdrüssigsehnen sie sich nach jener Korruption zurück, die den Staat fast die Existenz kostete. Obwohl ich dem Volk zu Freiheit von Tyrannei, Macht und Herkunft verhalf, zur Freiheit, jederzeit ungestraft reden zu können, wurde mir vom Volk wie vom römischen Senat die Diktatur angeboten ... Beide Male wies ich das Angebot zurück, zog mir dafür aber den Unwillen des Volkes zu.“18

So sieht John Williams „seinen“ Augustus und diese Zeilen sind fünfundvierzig Jahre später aktuell angesichts dessen, dass Völker ihrem Staatschef die Diktatur gestatten. Dies geschieht in einem Teil der Welt, der einige Jahrhunderte nach Augustus zum Oströmischen Reich wurde.

Und dann erzählt der Imperator Caesar Divi filius Augustus doch von Publius Quintilius Varus und dessen Kämpfen im fernen Germanien. Es sei Varus Schwäche und nicht der Barbaren Stärke gewesen, in derer Folge fünfzehntausend römische Soldaten starben. „Der Barbar wartet, und wir werden stetig schwächer in der Sicherheit unserer Vergnügungen und Bequemlichkeiten.“19 Auch dies ein Satz von erschreckender Aktualität, vorgehalten von einem Hochschullehrer im Jahr 1972, gelegt in den Mund eines Weltherrschers.

»Vater«, fragte ich, »ist es das wert gewesen? Deine Macht, dieses Rom, das du gerettet hast, das Rom, das von dir erbaut wurde? Ist es all das wert gewesen, was du getan hast?« Mein Vater schaute mich lange an, dann wandte er den Blick ab. »Ich muss daran glauben«, sagte er. »Wir müssen beide daran glauben.« Aus Julias Tagebuch im Jahre 4 n. Chr.


* * *


Der amerikanische Schriftsteller John Williams © Denver University Archives


Der Augustus hat weniger dazu geführt, alles immer lexikalisch nachzuschlagen. (Ein kleines Personen-Glossar am Ende des Romans hilft ein wenig) Jeder neue „Brief“ war faszinierend und interessant. Man hoffte förmlich, dass man des Kaisers Kommentar noch lesen kann, was uns Williams auch gestattete.

Die Literaturkritiker schreiben nicht nur über den Augustus, sondern gleich über zwei andere von den insgesamt vier Romanen des John Edward Williams (1922 - 1994). Aber weder Butchers Crossing (1960/2007) noch Stoner (1965/2012) sollen hier noch nicht besprochen werden. Dazu müsste ich sie erst einmal lesen. Aber Daniel Mendelsohn gibt dazu dem interessierten Leser in einem Nachwort eine interessante Hinführung.

Nicht vergessen soll der Übersetzer werden: Bernhard Robben

Ebenso interessant ist der Beitrag eines bekannten Bloggerkollegen im Literatur RADIO Bayern.

DNB / dtv / München 2016 / ISBN: 978-3-423-28089-1 / 474



© KaratekaDD



Abbildungen
  • Abb 1: https://commons.wikimedia.org/wiki/Gaius_Iulius_Caesar?uselang=de#/media/File:Rimini083.jpg
  • Abb 2  https://de.wikipedia.org/wiki/Augustus#/media/File:Statue-Augustus.jpg
  • Abb 3  http://www.zeit.de/2016/46/augustus-roman-john-williams

Quellen

1 vgl. Das Evangelium nach Lukas, Kapitel 2, Vers 1 und 3 in Neues Testament und Palmen
2 vgl. Wikipedia: Publius Quintilius Varus
3 vgl. Seite „Augustus“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 18. Februar 2017, 14:03 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Augustus&oldid=162763152 (Abgerufen: 20. Februar 2017, 17:38 UTC)
4 vgl, Williams: Augustus, München 2016, Seite 7
5 vgl. Ebenda
6 Es mag seltsam anmuten, hier „45 v. Chr.“ zu lesen, ist doch von diesem noch viele Jahre keine Rede und Julius Cäsar hätte den Brief mit einem ganz anderen Datum versehen.
7 vgl. Ebenda, Seite 31
8 vgl. Seite „Gaius Iulius Caesar“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 24. Januar 2017, 11:33 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Gaius_Iulius_Caesar&oldid=161947738 (Abgerufen: 20. Februar 2017, 17:43 UTC)
9 vgl. http://www.zeit.de/2016/46/augustus-roman-john-williams; 20.02.2017, 18:12 Uhr
10 vgl. Seite „Briefroman“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 24. November 2016, 11:53 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Briefroman&oldid=160014570 (Abgerufen: 20. Februar 2017, 17:43 UTC)
11 http://www.zeit.de/2016/46/augustus-roman-john-williams; 20.2.2017; 18:00 Uhr
12 Williams: Augustus, Seite 399
13 vgl. Wikipedia: Augustus
14 vgl. Seite „Publius Quinctilius Varus“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 29. Januar 2017, 17:08 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Publius_Quinctilius_Varus&oldid=162113764 (Abgerufen: 20. Februar 2017, 17:40 UTC)
15 siehe: Williams: Augustus, Seite 415
16 Ebenda
17 Ebenda, Seite 419/420
18 Ebenda, Seite 424



4 Kommentare:

  1. Sehr interessante Buchbesprechung... 'Stoner' steht beim mir übrigens noch ungelesen...

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  2. Selber würde ich eher "Butchers Crossing" lesen wollen.

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  3. Ich glaube nach Deiner Rezension, dass dies ein sehr interessantes Buch ist. Grundsätzlich hatte ich mit historischen ROMANEN in der Vergangenheit so meine Schwierigkeiten, weil Realität und Fiktion miteinander verschmelzen und mancher Leser beides hinterher vielleicht nicht mehr auseinanderhalten kann.

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    1. Danke. So ein richtiger historischer Roman ist das ja nicht, zumindest ist das strittig. Du weißt aber auch selber sehr genau, dass ein historischer Roman Fiktion enthalten darf. Ist ja kein Sachbuch.

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