Philadelphia, 1961. Die Fronten sind klar abgesteckt. Die Italiener haben auf der Straße das Sagen, die Iren kontrollieren die Gewerkschaften. Doch dieses prekäre Gleichgewicht gerät ins Wanken, als ein tragischer Unfall die Familie von Peter Flood zerstört. Der Junge wächst fortan bei seinem Onkel auf, einem brutalen Gewerkschaftsboss, der sich mit der Mafia anlegt. Lange Zeit gelingt es Peter, Distanz zu halten zur Gewalt, die in seiner Umgebung herrscht. Aber als der schwelende Konflikt zwischen dem Syndikat und der Gewerkschaft zu einem blutigen Bandenkrieg ausartet, muss auch er Stellung beziehen. Peters Onkel kommt bei einem Attentat ums Leben, sein Cousin Michael übernimmt die Führung der Gewerkschaft, und Peter ist gezwungen, ihm bei seinen schmutzigen Geschäften zur Hand zu gehen. Die beiden verstricken sich in einem Netz aus Lügen und blinder Gewalt, und Peter beginnt zu ahnen, dass er nicht mit dem Leben davonkommen wird. Man kann vor allem fliehen, aber nicht vor dem Schicksal.
- Gebundene Ausgabe: 304 Seiten
- Verlag: Liebeskind (16. Februar 2015)
- Sprache: Deutsch
- Übersetzung: Götz Pommer
- ISBN-10: 3954380420
- ISBN-13: 978-3954380428
Ich danke dem Liebeskind Verlag ganz herzlich für die Möglichkeit, dieses Buch als Rezensionsexemplar lesen zu dürfen!
DÜSTERER ROMAN NOIR...
Philadelphia 1961 |
"Brotherly Love" erschien bereits 1991 in den USA, nun hat der Liebeskind Verlag diesen Roman auch auf Deutsch erscheinen lassen. Nach "Paperboy" mein zweiter Roman von Pete Dexter, auf den ich sehr gespannt war.
Bereits zu Beginn erfährt der Leser durch einen Zeitungsartikel, dass Peter Flood sowie sein Bruder Michael tot aufgefunden wurden - zwei Morde, die der italienischen Mafia zugeschrieben werden. Michael als Vorsitzender des Gewerkschaftsrates von Südost-Pennsylvania und Peter als einer seiner Helfer waren der Mafia schon lange ein Dorn im Auge. Zu sehr trat man einander bei den 'Geschäften' auf die Füße...
Doch im Grunde erweist sich alles als falsch. Der Beginn des Romans ebenso wie dessen Titel - und das Leben Peter Floods, der als bewegende, tragische Figur im Mittelpunkt der Geschichte steht. Peter und Michael sind überhaupt keine Brüder - sondern Cousins, wie Peter immer wieder vergeblich zu betonen versucht.
1961 beginnt die Geschichte in Philadelphia, als Peter, gerade mal achtjährig, das Leben wegzubrechen beginnt. Gerade noch spielt er mit seiner kleinen Schwester im Garten, als das Auto des Nachbarn viel zu schnell an ihnen vorbeifährt, ins Schlingern kommt und Peters Schwester erfasst. Zeitlebens verliert Peter das Bild nicht aus seinem Kopf, wie seine kleine Schwester verdreht durch die Luft fliegt und vor ihm liegen bleibt. Und auch seine Schuldgefühle bleiben an ihm haften wie eine zweite Haut. Denn er hätte auf die Kleine aufpassen sollen.
Danach ist nichts mehr, wie es vorher war. Die Mutter verliert den Lebensmut und verlässt die Familie schließlich, der Vater lässt sich nicht davon abhalten, den Nachbarn für den Tod seiner Tochter hinzurichten und verschwindet schließlich in einer Nacht spurlos. Danach wächst Peter mit seinem Cousin Michael und dessen Eltern auf, und sein Onkel betont immer wieder: sie seien wie Brüder...
"Die Tage bluten in Nächte aus und wieder in Tage, in Wochen. Nichts beginnt und nichts endet. Wie im Koma. Am Morgen dringt Licht durch die Jalousien und taucht die Wände in eine sanftes Orange, und nachts kommt das Licht, so scheint es, immer aus anderen Räumen. Alles im Haus hat eine Langsamkeit und Schwere, was Peter besonders auffällt, wenn er ins Freie tritt, wenn er selbst nicht mehr langsam und schwer ist." (S. 47)
Gerade in diesem ersten Teil war ich erneut sehr beeindruckt von Pete Dexters Fähigkeit, mit klarer und präziser Sprache Situationen greifbar, fühlbar, erlebbar zu machen. Gerade diese lakonische, unsentimentale Schreibweise ist es, die alles offenlegt und sozusagen ins Innerste aller Dinge blickt. Der Leser wird Teil davon - ob er nun will oder nicht. Mir blieb hier manchmal einfach die Luft weg.
Bald schon wird deutlich, dass es aus dieser 'Familie' kein Entkommen gibt. Peters Onkel hat als irischstämmiger Gewerkschaftsboss ein großes Interesse an einem fest zusammengeschweißten Familienverband, denn schon in Peters Kindheit stehen auf der anderen Seite die Italiener, mit denen es immer wieder zu heftigen Konflikten kommt. Als sein Onkel schließlich einem Attentat zum Opfer fällt, übernimmt Peters Cousin Michael die Geschäfte - und hält ebenfalls an den Familienbanden fest...
Sie sollen den Zusammenhalt und den Fortbestand der Bündnisse zwischen Gewerkschaft und Mafia sicherstellen. Und darum kann auch Peter sich wider besseren Wissens nicht aus den familiären Verpflichtungen lösen. Immer deutlicher rast alles auf einen Abgrund zu, doch der Absprung bleibt ihm verwehrt. Peter ist wie sein Vater ein stiller Mensch mit einem Sinn für Würde, ganz im Gegensatz zu seinem Cousin Michael, der sich skrupellos und je nach Lust und Laune einfach nimmt, was er will. Und Peter wird mitgezogen - mit hinein in ein gefährliches Kräftemessen, mit hinein in unmenschliche Entscheidungen, mit hinein in ein Leben, das er so gar nicht führen möchte. Kleine Fluchten bleiben - sein Boxtraining, manchmal ein Sprung vom Dach. Aber letztlich muss Peter die Konsequenzen tragen...
"Ein wenig später sagt sie: 'Ihr seid Cousins.' (...) Er nickt. 'Sein Vater und mein Vater waren Brüder.' 'Ich finde, ihr seid euch gar nicht ähnlich.' 'Cousins sind sich auch nicht zwangsläufig ähnlich - nur Brüder.' Grace scheint zu wissen wo Peter seinen wunden Punkt hat. (...) 'Manchmal schon', sagt sie." (S. 214)
Eine tragische Figur ist dieser Peter Flood, den der Leser 25 Jahre seines Lebens lang begleitet. Ein stilles, ein düsteres Buch, eines, das aufwühlt und bei dem die Ausweglosigkeit und Hoffnungslosigkeit, eine tiefe Einsamkeit und Verlorenheit, die Dexter nie im Worte fasst, die aber zwischen den Zeilen ständig mitschwingt, alles durchdringt. Doch ganz am Ende - bei einem solchen Roman noir ist sicher kein 'Happy End' zu erwarten - zeigt sich ein kleiner Lichtstreif, wenn man es denn so nennen will. Peter Flood zeigt, dass man letztlich immer eine Wahl hat - wenn man denn bereit ist, den Preis zu zahlen...
Düster, sprachgewaltig, beeindruckend. Das ist der Eindruck, der bleibt.
© Parden
Pete
Dexter, 1943 in Michigan geboren, arbeitete über fünfzehn Jahre als
Zeitungsreporter in Philadelphia. Nachdem er im Zuge einer kontroversen
Berichterstattung angegriffen und krankenhausreif geschlagen wurde, gab
er seinen Beruf auf. Heute lebt er als freier Schriftsteller im
BundesstaatWashington. Pete Dexter gilt als einer der profiliertesten
Drehbuchautoren Amerikas und veröffentlichte bislang sieben Romane,
darunter "Deadwood", "Train" und "Paris Trout", für den er 1988 mit dem
National Book Award ausgezeichnet wurde.
Tja, Gewerkschaften in den USA, seit der Prohibition immer noch seltsame Gebilde.
AntwortenLöschenSchöne Rezension, macht Lust auf mehr.