Dienstag, 20. Februar 2018

Loschütz, Gert: Ein schönes Paar


Beim Ausräumen seines Elternhauses stößt der Fotograf Philipp auf einen Gegenstand, der in der Geschichte seiner Eltern eine entscheidende Rolle gespielt hat. Die beiden, Herta und Georg, waren ein schönes Paar. Philipp erinnert sich an ihr junges Liebesglück, ihre Hoffnungen und Gefährdungen, an die überstürzte Flucht seines Vaters aus der DDR in den Westen. Das hätte, da ihm die Mutter und der Junge ein paar Tage später folgten, der Beginn eines erfüllten Lebens sein können, tatsächlich aber trug die Flucht den Keim des Unglücks in sich. Nach und nach geht Philipp das Paradoxe der elterlichen Beziehung auf: Dass es die Liebe war, die ihre Liebe zerstörte. Damit aber ist die Geschichte, die auch sein Leben überschattet hat, nicht vorbei. Am Ende stellt er fest, dass Herta und Georg all die Jahre über miteinander verbunden waren, auf eine Weise, die sie niemandem, nicht einmal sich selbst, eingestehen konnten. 

Ein ergreifender Roman über Liebe und Vergänglichkeit vor dem Hintergrund der deutschen Teilung.


(Klappentext Schöffling & Co.)


  • Gebundene Ausgabe: 240 Seiten
  • Verlag: Schöffling; Auflage: 1 (6. Februar 2018)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3895611565
  • ISBN-13: 978-3895611568












EIN EINDRINGLICHES LESEERLEBNIS...



Erzählt wird dieser Roman aus der Sicht des Fotografen Philipp Karst, dessen Kindheit und Jugend von der Trennung seiner Eltern überschattet wurde. Nach deren Ankunft im Westen geriet alles aus dem Takt, ohne dass der Junge fassen konnte, was zwischen seinen Eltern geschehen war. Auch wenn Philipp lange nicht mehr an seine schwere weil einsame Jugend gedacht hat, ändert sich dies nach dem Tod seiner Eltern. Er findet einen Gegenstand wieder, der für den Zusammenhalt und die Hoffnung seiner Eltern ebenso steht wie für ihr tragisches Zerwürfnis. In seinen Erinnerungen setzt er die Bilder der Vergangenheit zusammen, spürt dem Lebensweg seiner Eltern nach und entdeckt letztendlich, dass diese sich womöglich bis an ihr Ende nah geblieben sind.


"Nicht dass Georg geschimpft hätte, aber sobald er etwas herumliegen sah, etwas, das dort nicht hingehörte, räumte er es weg (...) Er sagte nichts, aber auf seinem Gesicht zeichnete sich der Schrecken ab, die Angst, dass wir in der Unordnung, im Chaos versinken könnten. So kurz nach der Trennung von Herta, denke ich, war dies seine größte Sorge." (S. 131)


Gerade einmal 240 Seiten umfasst der neue Roman von Gert Loschütz (sein Roman 'Dunkle Gesellschaft' stand 2005 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises), und doch ist diese auf der Geschichte der Eltern des Autors basierende Erzählung keine Lektüre, die sich einfach so herunterlesen lässt. Derart eindringlich ist das Leseerlebnis, dass zumindest ich hier immer nur einige Seiten am Stück lesen konnte und das Buch dann wieder weglegen musste, um den Worten und dem Ungesagten zwischen den Zeilen den notwendigen Raum des Nachhalls geben zu können.


"Es war damals, als sei die Stadt in zwei Hälften aufgeteilt, in die eine, die zu ihrem und in die andere, die zu seinem Terrain gehörte, und als sei das Flüsschen (...) die Grenze, die nicht überschritten werden durfte." (S. 134)


Vermeintlich nüchtern und fast schon übertrieben distanziert schildert Gert Loschütz in szenisch herausgearbeiteten Bildern die Geschichte seiner Eltern und letztlich auch von sich selbst - er, das Kind, das zwischen seinem schüchternen und stillen Vater und seiner Mutter mit ihren Träumen vom Leben steht und an der Wortlosigkeit seiner Eltern fast erstickt. Der Eindruck drängt sich unweigerlich immer wieder auf, obschon der Autor Emotionen fast komplett außen vorlässt und sich meist auf die reine Schilderung beschränkt. Trotz dieser vermeintlichen Emotionslosigkeit entfaltet der Text phasenweise eine ungeheure Wucht, so dass mir manchmal fast die Luft wegblieb oder aber ein gewaltiger Kloß im Hals entstand.


"Sie hat sich den Knöchel verstaucht, sagte ich beispielsweise. Oder, wenn ich dann zu ihr fuhr: Er trägt sich mit dem Gedanken, die Markise zu erneuern. Kleinigkeiten, Alltagsdinge, aber gerade deshalb, wie ich meinte, besser geeignet, die Wortlosigkeit, die wie eine Wand zwischen ihnen stand, zu überwinden, als es Appelle an die Vernunft gewesen wären. Es war, als suchte ich die ungeschützte Stelle, in die meine Worte eindringen konnten, aber sie zeigten sich so gepanzert, dass sie an ihnen abglitten." (S. 218 f.)


Die Leserunde zeigte, dass vielen Lesern das Verständnis für das Handeln von Philipps Eltern fehlte - und ich nehme mich da nicht aus. Es erwies sich darüber hinaus, dass auch in anderen beim Lesen oftmals die Emotionen entstanden, die der Autor hier bewusst meist nicht formuliert hat. Aber die Situationen sind derart eindringlich geschildert, dass sie nahezu erlebbar sind - und das war teilweise schwer erträglich. Sprachlosigkeit, Unsichtbarkeit, Einsamkeit - das Kind wurde nicht gesehen, ihm wurde nichts erklärt, es war niemand da, der es trösten konnte. Stellvertretend für das Kind entstanden so bei den Lesern vielfach Unverständnis, Wut und Traurigkeit, was für sich gesehen schon zeigt, dass Gert Loschütz zurecht als einer der großen deutschsprachigen Autoren der Gegenwart gilt.


"...wusste er nicht weiter, und ich ebenfalls nicht, sodass sich noch vorm Ende des Essens die alte Verlegenheit zwischen uns breitmachte, die nur zu beheben war, indem wir rasch aufstanden und uns Neuem zuwandten, praktischen Dingen, sichtbaren, weg von denen, die nur in Worten aufgehoben waren (...) War dieses Schweigen oder nicht Redenkönnen etwas, das schon vor seiner Trennung von Herta zu ihm gehört hatte und - durch ihn - zu mir? Sodass vielleicht gar nicht das Schweigen das Problem war, sondern die Erwartung, es durchbrechen zu müssen?"  (S. 222 ff.)


Zu meiner Überraschung entwickelte sich der Roman nicht zu einer Abrechnung mit Philpps Eltern, sondern eher zu einer Annäherung. Am Ende das Gefühl, dass Philpp nach der Auseinandersetzung mit seiner Geschichte und der seiner Eltern in der Lage ist, die Vergangenheit ruhen zu lassen, das Kapitel zu schließen - und letztlich sogar versöhnlich zurückzuschauen. Für ihn zumindest - und so wohl auch für den Autor - sind seine Mutter und sein Vater schlussendlich doch immer das eine gewesen: ein schönes Paar.


© Parden









Schöffling & Co. schreibt über den Autor:

Gert Loschütz, 1946 in Genthin (Sachsen-Anhalt) geboren, arbeitet seit 1970 als Schriftsteller (auch für das Theater und den Hörfunk). Er erhielt zahlreiche Preise und Stipendien, unter anderem den Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis (1986) und den Rheingau Literaturpreis (2005). Es erschienen zuletzt die Erzählungen DAS ERLEUCHTETE FENSTER (2007). Gert Loschütz lebt mit seiner Familie in Berlin.

übernommen von Schöffling & Co


2 Kommentare:

  1. Was man auf 240 Seiten so erzählen kann...
    Mir scheint, dies ist eine Geschichte, die die Flucht nicht gebraucht hätte. Du schreibst ja nichts über Rückblicke, Dinge, die man vermeintlich unwiederbringlich zurückließ. Daraus schließe ich, der Gang in den Westen war nicht unbedingt ursächlich für das Leben der kleinen Familie.
    Grüße aus der Bloggerwelt.

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    1. Aber durch die autobiografischen Ansätze war das Thema auch unumgänglich. Und wer weiß, was mit der kleinen Familie geschehen wäre, wenn die Flucht nicht notwendig geworden wäre...

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