Mittwoch, 1. Mai 2024

Stichmann, Andreas: Eine Liebe in Pjöngjang

 

An der Spitze einer Delegation junger Kulturschaffender reist Claudia Aebischer ein letztes Mal nach Pjöngjang: zur feierlichen Eröffnung der dortigen Deutschen Bibliothek. Starke Empfindungen sind ihr eigentlich fremd. Doch schon kurz hinter der chinesischen Grenze sieht sie sich mit einer Erscheinung konfrontiert, die eine alte Sehnsucht in ihr weckt. Eine Begegnung, die alles neu und anders macht – gibt es das? Das Phänomen hat, wie Claudia erfährt, einen Namen. Sunmi ist Germanistin, Dolmetscherin und Agentin der DVRK. 

Von seiner Reise nach Nordkorea 2017 brachte Andreas Stichmann keine literarische Reportage und kein erzählendes Sachbuch heim, sondern die Idee zu einem Roman. «Eine Liebe in Pjöngjang» ist mehr als das, es ist ein Abenteuer. Die unwahrscheinliche Geschichte einer Liebe zwischen zwei ungleichen Frauen, zwei Lebensaltern, zwei Kulturen. Ein Buch, das sich das Fremde anverwandelt wie jemand, der sich verliebt: schlagartig, voller Hingabe, geblendet vom Leuchten der eigenen Projektionen. (Verlagsbeschreibung)

 
DNB / rowohlt / 2022 / ISBN 978-3-498-00293-0 / 160 Seiten
 



2022 stand dieser Roman auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Jetzt bin ich endlich dazu gekommen, ihn zu lesen. Nordkorea - dort war ich bisher noch nie, in Südkorea dagegen schon einige Male. Lesetechnisch, meine ich, in der Realität natürlich weder noch. Daher war ich gespannt, etwas über die Lebensverhältnisse in dem totalitären Staat zu erfahren. Ob meine Erwartungen erfüllt wurden? Lest selbst:
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

EINE REISE NACH NORDKOREA...

 
 

 

Nordkorea gilt als einer der totalitärsten und restriktivsten international anerkannten Staaten der Gegenwart. Dorthin reist die 50jährige ostdeutsche Claudia Aebischer mit einer Delegation von Journalist:innen, um die neue Deutsche Bilbliothek in Pjöngjang zu eröffnen. Ihr zur Seite gestellt wird Sunmi, eine Dolmetscherin, die viele Sprachen beherrscht und die zudem eine Agentin der Demokratischen Volksrepublik Korea ist. 

Claudia ist mit dem strengen Verhaltenskodex des isolierten Landes vertraut, und im Allgemeinen fällt es ihr nicht schwer, Emotionen zu verbergen und nur die gewünschten Antworten zu liefern. Doch obschon ihr bewusst ist, dass ihr Sunmi nicht nur aufgrund der Sprachbarrieren zugeteilt wurde, sondern auch als Spitzel, um etwaiges Fehlverhalten sofort weiterzuleiten, kann Claudia nicht verhindern, dass ihr die junge Frau zunehmend sympathisch wird. Dies scheint auch auf Gegenseitigkeit zu beruhren, doch kaum einmal ergibt sich eine Gelegenheit, sich kurz ungestört auszutauschen. Denn auch der Spitzel wird bespitzelt.

Von Beginn an schafft Andreas Stichmann ein beklemmendes Szenario - keine Geste, kein Blick, keine Andeutung bleibt unbeobachtet, und selbst die erfahrene Claudia kann ein unbeabsichtigtes Fehlverhalten kaum vermeiden. Zudem will sie auch die sympathische Sunmi nicht in Gefahr bringen, die mit einem deutlich älteren einflussreichen General verheiratet ist und die stets versuchen muss, dessen Erwartungen zu erfüllen. Und doch gibt es da diese Anziehung zwischen den beiden Frauen, die Gedanken von einem "was wäre wenn" hochkommen lässt, die schließlich in einem gewagten Plan gipfeln...

Claudia erscheint als eine wenig emotionale Frau, aufgewachsen in der DDR und mit dem Leistungsdenken und der Obrigkeitshörigkeit vertraut. Unleugbar zeigen sich Parallelen zwischen der ehemaligen DDR und Nordkorea, und doch gibt es beiderseits viel Fremdartiges. Kann eine bloße Zuneigung diesen kulturell-gesellschaftlichen Graben überwinden? Und spiegeln die Zuschreibungen tatsächlich die Gedanken und Gefühle der anderen Frau - oder handelt es sich dabei doch eher um eigene Projektionen? Der kurze Roman hält die Spannung, wohin sich letztlich alles entwickeln wird da in Nordkorea... 

Schnörkellos, prägnant und passagenweise nahezu sachlich erscheint der Schreibstil von Andreas Stichmann, der mit seinem Werk für die Longlist des Deutschen Buchpreises 2022 nominiert wurde. Er liefert einen erschreckenden Einblick in das Leben in Nordkorea, wobei eigene Erfahrungen im Rahmen einer Reise in dieses Land Pate gestanden haben dürften. George Orwells Großer Bruder aus dem Roman "1984" ist hier beklemmende Realität. 

Eine interessante Herangehensweise an ein Land, ein spannendes Gedankenexperiment mit einer letztlich passenden Auflösung. Mich beschäftigt der kurze Roman deutlich über das Lesen hinaus. So soll es sein...


© Parden

 

 

 

 

 

 

Andreas Stichmann, 1983 in Bonn geboren, studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Für den Erzählungsband «Jackie in Silber» (2008) sowie die Romane «Das große Leuchten» (2012) und «Die Entführung des Optimisten Sydney Seapunk» (2017) erhielt er zahlreiche Auszeichnungen und Preise, unter anderem den Hamburger Förderpreis für Literatur, den Clemens-Brentano-Preis, den Kranichsteiner Literaturförderpreis und den Förderpreis zum Bremer Literaturpreis. Andreas Stichmann hat zwei Kinder. Er lebt in Berlin, von wo aus er Südostasien und zuletzt Nordkorea bereiste. «Eine Liebe in Pjöngjang» (2022), sein dritter Roman, war für den Deutschen Buchpreis nominiert.

 

2 Kommentare:

  1. Sicherlich ist die Zeit Kim-Il-Sungs mit der seines Enkels Kim-Jong-um vergleichbar, aber die Isolation des Landes ist heute größer. Solch eine Geschichte ist vielleicht nicht mehr vorstellbar.

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  2. "Ein Buch, das sich das Fremde anverwandelt" - komischer Ausdruck.

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