Michaela Schonhöft hat viele Länder bereist und mit Eltern rund um den
Globus gesprochen. Ihr Fazit: Den Kindern und ihren Eltern geht es umso
besser, je weniger Erwartungen auf ihnen lasten – Liebe und
Gelassenheit sind immer noch die besten Voraussetzungen für glückliche
Kinder.
- Gebundene Ausgabe: 384 Seiten
- Verlag: Pattloch (2. September 2013)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3629130372
- ISBN-13: 978-3629130372
MAMA, WO WOHNT DAS GLÜCK?
Afrikanische Babys schreien viel weniger als deutsche; in
japanischen Kitas fühlen sich die Kleinen viel wohler als in unseren; in
Finnland leistet die Schul-Ambulanz erste Hilfe bei mangelndem
Lernerfolg - es gibt noch viel mehr Beispiele gelingender
Kindererziehung auf dieser Welt! Michaela Schonhöft war in Südostasien
und Südamerika, in Skandinavien und Frankreich und anderswo und hat mit
Eltern rund um den Globus gesprochen. Können es die anderen besser?
Mama, wo wohnt das Glück?
Diese
Frage der zweieinhalbjährigen Tochter der Autorin stellt schon den
Dreh- und Angelpunkt dieses Buches heraus. Denn Glück als das
wesentliche Erziehungsziel - darauf können Eltern sich weltweit über
alle Sprachen, Kontinente und Kulturen verständigen. Doch wie das Glück
zu definieren und zu erreichen ist, darüber haben sie alle sehr
unterschiedliche Ansichten.
Ein interessantes und gut
recherchiertes Buch bietet Michaela Schonhöft hier, das Einblicke in die
Kindheiten quer über den Globus vermittelt. Teilweise beruhen die
Erkenntnisse auf eigenen Beobachtungen der Autorin durch Reisen in die
verschiedensten Länder der Welt, teilweise beruft sie sich in ihren
Ausfürungen aber auch auf Sekundärquellen wie Studien, Ratgeber und auch
Medien.
Angefangen bei der Schwangerschaft bis hin ins
Erwachsenenalter präsentiert die Autorin die landestypischen
Unterschiede. In China beispielsweise schicken viele Eltern ihre Kinder
gleich in zwei Kindergärten - morgens in den 'normalen', nachmittags in
den englischsprachigen. In den Niederlanden sind Überstunden nahezu
verpönt - die arbeitsfreie Zeit gehört der Familie und damit den
Kindern. Und in Deutschland ist es wichtig, dass Kinder sich von klein
auf an Regeln und Grenzen halten.
Aber auch das Heranwachsen der
Jugendlichen ist erstaunlich unterschiedlich. Klar, die Kindheit endet
nicht plötzlich - aber wie verschieden der Umgang mit der Pubertät sein
kann, ist schon verblüffend. Dabei kristallisieren sich bei allen
Unterschieden jedoch auch Gemeinsamkeiten heraus. So liegt
beispielsweise dem oftmals nicht nachvollziehbaren Verhalten der
Jugendlichen das dringende Bedürfnis zugrunde, sich zu bewähren. Statt
von der Gesellschaft Mutproben gestellt zu bekommen (wie das Erlegen
eines wilden Tieres) denken sich hierzulande die Jugendlichen eigene
Bewährungsmöglichkeiten aus (wie der Diebstahl im Kaufhaus). In jedem
Fall ein interessanter Gedankengang.
Kindern geht es dort am besten, wo Erziehung als gemeinschaftliche Aufgabe betrachtet wird.
Manches
gerät hier in der Darstellung etwas wissenschaftlich-trocken, das
meiste jedoch ist gut verständlich präsentiert und verschafft dem Leser
einen wirklich guten Überblick über die kulturellen Unterschiede in der
Kindererziehung. Damit ist das Buch in jedem Fall geeignet, um eigene
und gesellschaftliche Werte gelegentlich doch einmal zu überdenken...
Vielleicht kommen wir so ja dem Glück ein Stück näher?
© Parden
Michaela Schonhöft
Michaela Schonhöft über die Recherche zu ihrem Buch Kindheiten
Die Autorin im Interview
Für Ihr Buch haben Sie rund um den Globus
recherchiert. Wie lange haben Sie daran gearbeitet und wie konnten Sie
die Arbeit und die Reisen mit der eigenen Familie vereinbaren?
Das
Buch war ein Herzensprojekt. Drei Jahre habe ich daran gearbeitet. Die
Idee dazu entstand auf einer mehrmonatigen Reise durch Thailand. Meine
kleinste Tochter war damals noch ein Baby, die ältere 2einhalb Jahre
alt. Wir hatten eine Auszeit vom Job genommen. Und so waren die ersten,
wichtigen Recherchen sehr gut mit Familiendingen zu vereinbaren. Wir
sind begeisternde Reisende. Die Arbeit zu dem Buch konnte ich also prima
mit unserer Leidenschaft verbinden. Ich habe zudem viele Kontakte aus
dem Ausland aktiviert, die ich geknüpft hatte, bevor die Kinder auf die
Welt kamen. Ich habe eine Weile in den Niederlanden, in den USA und
Südamerika gelebt, bin viel in Asien und Afrika gereist.
Welche
Geschichten oder Gespräche haben Sie ganz besonders berührt? Was sind
die größten Herausforderungen für Kinder und Eltern, die Ihnen begegnet
sind, und wie kann man helfen?
Sehr emotional, egal auf welchem
Kontinent, wird das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“
diskutiert. Das beschäftigt alle Eltern, natürlich vor allem die Mütter,
ob in Nigeria, Südafrika, Singapur, Japan, den USA, Frankreich oder
eben Deutschland. In Asien arbeiten viele Mütter auf selbständiger
Basis, da ihnen der Arbeitsmarkt oft keine andere Chance lässt, Kinder
zu versorgen und einen Job zu haben. Japanische Mütter erzählten mir
verzweifelt, wie schwierig die Work-Life-Balance für Familien ist.
Arbeitgeber legen ihnen nach der Geburt der Kinder alle möglichen Steine
in den Weg. Eine Präsenzkultur in den Unternehmen, wenig flexible
Arbeitszeiten und lange Pendelzeiten machen es zusätzlich schwer. In
vielen Ländern, auch in Indien, ganz besonders in Nigeria, fehlen
Kindergärten und Horte. Dort können sich Frauen zum Glück noch häufig
auf ein enges verwandtschaftliches Netz verlassen. Oft springen Oma oder
die Tante bei der Betreuung der Kinder ein. Doch das wird auch in
Indien zunehmend schwieriger, weil viele Großfamilien nicht mehr an
einem Ort leben. Abgesehen von den skandinavischen Ländern, Frankreich
und den Niederlanden, ist weltweit die Klage über mangelnde
Betreuungsmöglichkeiten groß. In Indien gibt es zwar schon sehr viele
Initiativen, die zum Beispiel Wanderarbeiter-Familien auf Baustellen mit
mobilen Kindergärten unterstützen. Und natürlich tut sich auch in
Deutschland einiges in Sachen Krippenausbau. Doch da muss noch viel
investiert und diskutiert werden. Schließlich geht es um das Glück
unserer Kinder.
Helfen kann man auf vielfältige Weise. Es gibt viele
tolle Organisationen, die sich um Kinder und Kinderbetreuung in
Entwicklungsländern kümmern,
terre des hommes zum Beispiel. Hier
in Deutschland ist es sicherlich im eigenen Umfeld möglich und sehr
sinnvoll Hilfe anzubieten. Viele Alleinerziehende sind sehr froh, wenn
ihnen mal jemand das Kind abnimmt, wenn es auch nur zum gemeinsamen
Spielnachmittag mit dem Kindergartenkumpel ist. Wer keine Verwandten in
der Nähe hat, kann sich seinen eigenen Ersatzklan schaffen und sich
gegenseitig bei der Kinderbetreuung unterstützen. Aber eine vernünftige
und gute öffentliche Betreuung kann das natürlich nicht ersetzen,
sondern nur ergänzen.
Gibt es einen Punkt, bei dem sich alle Kulturen einig sind, was wichtig für ein Kind ist? Oder gibt es so etwas wie einen Trend?
Die Erziehungsziele in den Kulturen sind doch schon sehr verschieden,
da die Heranwachsenden ja später sehr unterschiedliche Herausforderungen
zu bewältigen haben. In einem Dorf in Kamerun sind soziale Kompetenzen
überlebenswichtig. Es gibt kein staatliches Auffangnetz. Das muss der
Klan, die Dorfgemeinschaft erledigen. Deshalb verscherzt man es sich
besser nicht mit den Nachbarn, man könnte sie noch gebrauchen und
umgekehrt. Im Milliardenvolk China ist der Konkurrenzdruck so groß, das
schulische Prüfungswesen so hart, dass Eltern natürlich darauf achten
müssen, dass ihre Kinder in der Schule möglichst nicht versagen. Sie
wissen, dass sich die Paukerei für eine gute Zukunft sehr lohnen kann.
Und das gilt für die gesamte Familie. In vielen westlichen Kulturen, in
denen die Menschen sehr individualistisch leben, achten Eltern sehr auf
frühe Selbständigkeit. Kinder sollen lernen, auch alleine klarzukommen.
Das macht ja auch bis zu einem gewissen Grad Sinn. Wir sind in dieser
Gesellschaft in der Tat oft auf uns allein gestellt. Aber dieser Trend
geht vielleicht doch ein wenig zu weit. Es ist doch ein Trugschluss sich
darauf zu verlassen, dass man es schon alleine schafft. Die Realität
sieht anders aus. Wir brauchen Beziehungen und Netzwerke.
In einem
sind sich die Kulturen weltweit einig: Sie wollen für ihre Kinder vor
allem ein zufriedenes Leben, und das geben fast alle Eltern weit vor dem
Bedürfnis nach materiellem Wohlstand an, natürlich nur, wenn sie nicht
ums Überleben kämpfen müssen.
Was läuft in
Deutschland gut, wo haben wir noch Nachholbedarf und könnten uns etwas
aus anderen Ländern abschauen? Was sollten wir zum Wohl der Kinder
ändern?
Deutschland gibt sehr viel Geld für Familienförderung aus.
Das ist natürlich grundsätzlich zu begrüßen. Das Geld wird allerdings
schlecht verteilt. Darauf weisen immer wieder neue Studien hin. Es
sollte vermehrt in qualitativ wertvolle Betreuung und Förderung für
lernschwache Kinder investiert werden. Es wird noch viel zu wenig auf
Qualitätsstandards in Kindergärten, Krippen und Horten geachtet. Dabei
gibt es einen solch großen Erfahrungsschatz aus dem Ausland. Viele
Eltern in Deutschland haben zudem das Gefühl, Kinder sind in Deutschland
nicht willkommen. Das ist natürlich nur eine Verallgemeinerung,
beschreibt jedoch eine Tendenz. Kinder sollen sich möglichst nur an den
für sie vorgesehen Orten aufhalten. Aus Sicherheitsgründen ist das
natürlich oft angesagt. Aber Kinder sind inzwischen vielerorts einfach
unerwünscht, ob in Restaurants oder in Saunen etc… Sie haben sich
möglichst ruhig zu verhalten. In Italien dagegen stört sich kaum jemand
an lärmenden Kindern, man erfreut sich an ihnen. Das gilt für viele
andere Länder ebenso.
Gerade Mütter haben in Deutschland sehr hohe
Ansprüche an sich. Sie wollen perfekte Mütter, perfekte Berufstätige,
perfekte Ehefrauen sein. Das geht oft weiter über die Belastungsgrenzen
hinaus. Hierzulande haben Frauen ganz besonders den Anspruch alles
selbst zu stemmen. Sie geben ungern Verantwortung ab, das wird leider
auch häufig von ihnen erwartet. Das Bedürfnis Erziehung, Fürsorge für
Kinder auf mehrere Schultern zu verteilen, könnte ausgeprägter sein. Es
fehlen natürlich auch deutschlandweit noch die Strukturen dafür.
Auf
Ihrer Webseite schreiben Sie, dass Ihre Recherchen Sie als Mutter
lässiger und weitsichtiger gemacht haben. Inwiefern denken Sie, das
Reisen und eine internationale Erziehung für Kinder wichtig sind?
Kinder lernen auf Reisen, unter welch unterschiedlichen Bedingungen
andere Kinder aufwachsen. Sie lernen auch zu erfahren, dass Menschen
andere Traditionen, andere Werte pflegen und das diese ihre Berechtigung
haben. Sie lernen auch, was es heißt, eine Sprache nicht zu verstehen
und sind deshalb vielleicht ein wenig verständnisvoller, wenn sie im
Kindergarten oder der Schule auf ein Kind treffen, dass sich mit dem
Deutschen noch ein wenig schwertut.
Die Recherchen haben mir
geholfen, wesentlich entspannter mit Erziehungsdoktrinen umzugehen. Ich
kann das ein wenig mehr aus der Vogelperspektive betrachten. Es ist
wichtig, sich mit möglichst vielen Eltern, möglichst auch aus anderen
Kulturen über Kindheit und Erziehung auszutauschen. Es gibt ja nicht nur
den eigenen Weg, man lernt nie aus.
Was würden Sie aus dem gesammelten „Weltwissen der Kindererziehung” gern übertragen in Ihr eigenes Familienleben?
Vor allem
Geduld!
Ich habe mit sehr vielen Eltern in Ostasien gesprochen. Mich hat
beeindruckt, wie entspannt viele von ihnen mit ihren kleinen Kindern
umgehen, dass sie sehr viel durchgehen lassen, zwar „dranbleiben“, aber
nicht ständig mit Konsequenz oder gar Strafen drohen. Man verlangt
kleinen Kindern noch kein großes Verständnis ab, versucht ihnen
stattdessen ein gutes Vorbild zu sein, sie immer wieder sanft auf sozial
akzeptables Benehmen hinzuweisen. Für sehr nachahmenswert halte ich,
wie selbstverständlich sich niederländische Familien Zeit für ihre
Kinder nehmen, auch wenn dort die Zeiten schwieriger werden. „Feierabend
ist Feierabend“, sagt sich dort ein Großteil der Arbeitnehmer, und das
gilt auch für die Väter. Den Familien ist sehr wohl bewusst, wie wichtig
Zeit für die Familie ist. Wir versuchen inzwischen ebenfalls mindestens
einmal am Tag, meistens abends, zusammen zu essen. Ich lebe ja in einer
Patchwork-Familie, mein Mann, ich, zwei Teenager, zwei Kleinkinder. Da
entstehen schnell Konflikte, und gemeinsame Familienzeit ist unheimlich
wichtig, um diese nicht einfach unter den Tisch zu kehren oder gar
eskalieren zu lassen.
Michaela Schonhöft, geboren 1973, studierte
Sozialwissenschaften und arbeitete als Reporterin für verschiedene
Fernsehsender und Zeitungen. Sie berichtete unter anderem aus Südamerika
und den USA. Heute lebt sie als freie Autorin mit ihrem Mann und vier
Kindern in Berlin.
► Quelle Text und Bild