Irgendwann, Anfang der 90er Jahre, brachte der RBB (Rundfunk Brandenburg-Berlin) all die Filme, die in der bis vor kurzem existierenden DDR schon sehr lange nicht mehr aufgeführt wurden oder verboten waren.
Nicht verboten war WEGE ÜBERS LAND, aber da gleich zwei Hauptdarsteller, Manfred Krug und Armin Müller-Stahl und dazu Angelika Domröse zwischen 1977 und 1980 die DDR verließen – sie hatten den Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns unterschrieben – wurde er spätestens ab 1977 denke ich, nicht mehr gezeigt.
Als er das erste Mal im DDR-Fernsehen gezeigt wurde (1968) war ich noch zu jung und so sah ich erst nach dem Fall der Mauer 1989 – irgendwann in den ersten Jahren danach.
Es war die Crème de la Crème, die da vom Regisseur Martin Eckermann aufgefahren wurde, das Drehbuch hatte er gemeinsam mit dem Autor des Stoffs, Helmut Sakowski, geschrieben. Die Musik schrieb Siegfried Matthus, die Kameras führte Hans Jürgen Heimlich. Zum Inhalt komme ich etwas später.
Anfang diesen Jahres wurde für das Landestheater Neustrelitz angekündigt, das Schauspieldirektor Maik Priebe beabsichtigt, WEGE ÜBERS LAND auf die Bühne zu bringen. Etwas skeptisch, gebe ich zu, besuchte ich eine Matinee einige Tage vor der Uraufführung. Das, was Priebe nebst Kolleginnen berichtete, machte neugierig. Fünf Stunden Theater? Vierzehn Schauspielerinnen und Schauspieler für vierzig Rollen? - Das schau ich mir an.
Da während der Veranstaltung eine kleine szenische Lesung dargebracht wurde, hatte ich den Eindruck, dass der „Straßenfeger“ von 1968 deutlich zu erkennen sein wird. Also sah ich mir den sechsteiligen alten Film (schwarz weiß) noch einmal an und las daneben das eBook zum Fernsehroman aus dem Aufbau Verlag. So gerüstet besuchte ich am 04. April das schöne Neustrelitzer Landestheater.
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Die Handlung
Getrud Habersaat bewirtschaftet den Hof des Bauern Leßtorff. Der befindet sich im Krieg gegen Polen. Ihr wusch ist es, den Jürgen zu heiraten, so käme sie raus aus der Armut, in der ihre Mutte in einem Katen haust. Doch Oberleutnant Leßtorff hat höheres im Sinn und dazu braucht er eine standesgemäße Heirat. In den Vorbereitungen für seine Rückkehr macht ihr Kalluweit, ein Führer im Reicharbeitsdienst den Hof und einen Antrag. Er will, drittgeborener Sohn eines Bauern, will einen Hof in der Ostmark erwerben... Als Leßtorff Gertrud zurückweist, willigt sie ein...
In Polen kommen sie auf einem Hof unter, dessen Besitzer unmittelbar vertrieben werden. Auf dem Bahnhof hat Gertrud das Mädchen Mala vorm Transport gerettet. Als sie für sie Papiere braucht, bittet sie Leßtorff in Krakau darum und kommt so zu einem weiteren Kind, denn den Bruder eines toten Mädchens muss sie mitnehmen. Kalluweit meldet sich an die Front, er kann, wenn auch überzeugter Nationalsozialist, nicht an bestimmten Verbrechen der SS im Generalgouvernement nicht teilnehmen.
Gertrud muss mit den Kindern 1945 auf den Treck und bekommt ein weiteres Kind in die Hand gedrückt. Wieder zu Hause, zieht sie zu ihrer Mutter.
Im Dorf wird Willi Heller Bürgermeister, ein Kommunist, der sich nun um Bodenreform und später um die Kollektivierung zu kümmern hat. Mit der Zeit kommen Gertrud und Willi sich näher.
Einestages steht die Mutter von Stefan, dem Jungen aus dem Kinderheim vor ihr, Mala und er sind inzwischen erwachsen...
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Der Mehrteiler
Ursula Karusseit spielte 1968 die Gertrud, Manfred Krug den Willi, Erik S. Klein den Kalluweit. Angelika Domräse spielte die Gräfin und Armin Müller-Stahl den Leßtorff. Besonders in Erinnerung Erika Pelikowski als Bäuerin Leßtorff und die quirlige Carmen-Maja Antoni als kleine Magd Irma. Bekannte und beliebte Schauspieler in einem Fünfteiler, den man später noch einmal für sechs Teile schnitt. Es soll ein Straßenfeger gewesen sein.
Eine der ersten Szenen spielt im Wäschezimmer der Bäuerin zwischen Gertrud, ihrer Mutter, der Bäuerin und der frechen Irma. Das ist die gelesen Szene, die ich oben erwähnte und diese findet sich gleich am Anfang des Theaterstücks. Es ist auch eine Schlüsselszene, denn sie erzählt den Ausgangspunkt der gesamten Geschichte.
In der Szene, als Kalluweit seinen antrag stellt, ist auch der Heyer auf dem Hof, und die Hakemkreuzfahne, die er zu hissen gezwungen wird, hängt als nächstes mitten auf der Bühne.
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Der Fernsehroman
Maik Priebe erzählte während der Matinee, wenn ich mich richtig erinnere, dass Sakowski den Stoff schon 1961 konzipiert hatte. Nach 1968 kam dann der Roman heraus. Eine Art Drehbuch, aber ohne „Rollen“, denn die wörtliche Rede wurde durchgängig nicht gekennzeichnet. Beim Lesen läuft der Film vor den Augen ab, denn die Dialoge werden fast wortgetreu wiedergegeben. Als „Buch zum Film“ wie man das heute nennt, hat man für jede Seite auch in Bild vor Augen. Interessant wäre, wie sich das liest, wenn man die Handlung, also den Film nicht kennt...
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Das Theaterstück
Nun aber das Theaterstück. Das der Stoff erkennbar sein wird, das ahnte ich bereits bei der „Vorbesprechung“. Spannend empfand ich, ob Bühne und Akteure etwas Besonderes abliefern. Sind die Dialoge wieder ähnlich? Wirken die Granden des DDR-Stücks nach? Wie geht die Regie mit der Ideologie um, die vor allem hinter der Kollektivierung steckt, fünfunddreißig Jahre nach dem Ende der DDR?
Erster positiver Eindruck, ich vergleiche keine Stück jung und alt. Angelika Waller spielt die Mutter Habersaat, Stefanie Schönfeldt die Gertrud, Erik Born den Willy Heyer und Christian Ehrich den Kalluweit. Jürgen Leßtorff wird von Niklas Kohrt verkörpert. Alle anderen Rollen werden auf neun Schauspielerinnen und Schauspieler verteilt.
Die Dialoge wurden nicht neuerfunden, die Figuren durch die Darstellerinnen und Darsteller individuell gestaltet.
Das Bühnenbild ist sparsam, aber jede Szene erkennbar. Eine spielt mit Willi Heyer in einem Konzentrationslager. Imitierter Stacheldraht und mehrere Reihen streng ausgerichteter Deckenleuchten. Dem Zuschauer war klar, das ist diese Szene. Im Film befreit Heller einen polnischen Professor aus dem Lager, im Theaterstück wird der Zusammenhang zur ursprünglichen Handlung aber nicht klar.
Im Film hält Hans Frank, NS-Generalgouverneur in Polen, zweimal eine NS-Propagandarede, einmal auf Schloss Rankoven, einmal in Kraukau. Priebe verlegt das inm Theater in eine Sauna. Wirkungsvoll. Und unangenehm, diese Sätze mal nicht im Fernsehen zu sehen, sondern unmittelbar ins Gesicht geschleudert zu bekommen.
Eine richtig gute Idee ist die Darstellung der Kinder. Als diese noch klein sind, hat Flavia Lovric-Caparin eine Art Puppe auf dem Arm in rotem Mantel. Jonas Holdenrieder (Stefan), ebenso schwarz gekleidet wie seine „Schwester“, bewegt eine rote Pudelmütze über die Bühne. Die beiden Schauspielschüler der „Ernst Busch“ Berlin spielen die Kinder auf diese Art und Weis von Beginn an.
Sowohl im Film als auch wunderbar im Theaterstück umgesetzt ist die Szene, in der plötzlich Stefans Mutter vor der deutschen Familie steht. Sie beobachtete einst, wie Gertrud den Jungen aus einem Waisenhaus mitnahm und konnte nichts tun. Der Junge versteht kein polnisches Wort, aber ein Kinderlied lässt Erinnerungen aufkeimen. Sehr gut gespielt, sowohl die Bronka von Lisa Scheibner gegen (?) Stefanie Schönfeld.
Die Nachkriegszenen sind heller. Inmitten einer Ruine, oder eher Baustelle auf der Drehbühne auf der an jeder Ecke eine andere Szene gespielt wird, seltsam dagegen die fast durchgängig weiße Unterbekleidung. Die letzten Szenen dann in bunten Kostümen mit leuchtenden Farben gehalten. Krieg, Nachkrieg und die frohe Zukunft? Zumindest die gedachte, die gewünschte frohe Zukunft, womit Helmut Skaowski nicht neuinterpretiert wurde.
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Schauspieldirektor Priebe fragt sich, wer wir sind. Was wir gewesen sein werden. Das ganze Programmheft ein einziges Interview. Er erwähnt dann eine „Gesellschaft mit Frakturen“, vermutlich meint er die damalige ebenso wie die aktuelle. „Eine Gesellschaft, die sich ihrer Frakturen bewusst war und dieses Bewusstsein genutzt hat – vielleicht um eine lebenswertere Welt zu schaffen. Zumindest eine merkwürdige, also des Merkens würdig.“
So wie Gertrud Habersaat und Willi Heyer handeln und denken, wobei die Frau einen großen gedanklichen Weg zurücklegen muss, gilt das auch für sie und die Idee um das „Abenteuer Sozialismus“. Heyer lädt auch die vielen kleinen Nazis ein, daran teilzuhaben, weil es „schade um jeden wäre, der nicht mitmachen kann.“ (Programmheft, Seite 26).

Wenn solche im Theater saßen, dann haben sie einen Rückblick in ihre Jugend bekommen. Von diesen, würde man annehmen erzählen nun Maik Priebe und seine Mitstreiter. Es ist keine „Ostdeutschrtümelei“ keine DDR-Verklärung. Es ist ein Stück Geschichte, für junge Leute ungewöhnlich erzählt. Keine Staatssicherheit, keine Polizeiwillkür... Selbst die Kollektivierung, die Gründungen der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) auf die humorige Art – im Film.
Heutzutage scheint sich die Gesellschaft (oder sind es nur die Medien?) zu konzentrieren auf die extreme Linke und die extreme Rechte. Demokratisierung schiefgegangen? Alles ewig Gestrige da im Osten? Literaturstreit in Bezug auf Oschmann und Hoyer. Der „blaue“ Wahlosten wird als „Gesamtosten“ wahrgenommen. Diktatursozialisert. Nicht im Blick die Menschen, die einst arbeiteten für die Idee einer gerechten Gesellschaft in dem Irrtum, sie wäre schon da oder greifbar nahe UND die aus dem Untergang lernten UND die Gesellschaft danach, erstritten von anderen, erkennend, akzeptierend, anerkennend bei aller kritischer Betrachtung. Wen ich damit meine? Mich... Nicht nur.
Das Theater Neubrandenburg / Neustrelitz hat Geschichte erzählt für die und für die Jüngeren, aufzeigend, dass man aufpassen muss, nicht in einem Netz von Stereotypen gefangen zu werden. In einer Mammutveranstaltung. Fünf Stunden.
Es ist Ihnen gelungen.
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Wikipedia |
Der Autor
Der Roman wurde im Todesjahr des Autors verlegt und nun, 2024 noch einmal als E-Book.
Der Verlag macht es sich einfach, wenn er zu Sakowski, Mitglied im Zentralkomitee der SED (1973), seit 1961 Mitglied der deutschen Akademie der Künste und ab 1968 Vizepräsident des Kulturbundes der DDR. (Wikipedia) folgendes ausführt:
„Helmut Sakowski, der seit Jahrzehnten deutsche und besonders mecklenburgische Geschichte spannend und unterhaltsam erzählt wie kein anderer, legt nun den lang erwarteten Roman zu seinem erfolgreichen TV-Fünfteiler „Wege übers Land“ vor. In dem bewegten Schicksal der Gertrud Habersaat fand ein Millionenpublikum eigene Erfahrungen widergespiegelt: Nachdem die junge Frau, die immer von einem eigenen Hof geträumt hat, durch die Bodenreform endlich zu Land gekommen ist, wird sie zur couragierten Wortführerin der Einzelbauern, die nicht in die LPG eintreten wollen.“
Ach. Am Ende ist Gertrud Habersaat nämlich Vorsitzende der LPG und Willi Heyer, der fröhliche Kommunist, geht in den Bezirk - regieren.
Drei mal Wege übers Land. Zeit für vielfältige Überlegungen. Maik Priebe und Co regen neu, regen anders dazu an.
© Der Bücherjunge
Interessanter Beitrag und gleich dreifache Annäherung an einen Titel. Mir sagte dieser bisher gar nichts...
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