Ellen ist für alle Welt unsichtbar, und das ist ihr ganz recht so. Sie versteckt sich hinter zu vielen Kilos, putzt nachts in einem Kaufhaus. Minutiös notiert sie, was sie vom Leben ihrer Mitmenschen beobachtet. Bis Ellen eines Tages im Bus eine junge Frau trifft: Temerity ist blind, sprüht vor Lebensfreude und hat keinerlei Berührungsängste - und als Einzige kann sie Ellen «sehen». Die folgt ihr fasziniert und rettet sie prompt vor zwei Handtaschendieben. Fortan ist für Ellen nichts mehr, wie es war. Zusammen mit Temerity fängt sie an, sich einzumischen - immer da, wo jemand sich nicht wehren kann oder wo Unrecht geschieht. Sehr schnell wirbeln die beiden neuen Freundinnen jede Menge Staub auf... (Verlagsbeschreibung)
ZU MÄRCHENHAFT...
Die 24jährige Ellen ist stark übergewichtig und fühlt sich durch eine große Narbe im Gesicht entstellt. Sie lebt isoliert in einem Einraum-Appartment und pflegt dort tagsüber ihr Hobby, ihre Nachbarn zu beobachten und diese Erkenntnisse in Notizheften festzuhalten. Abends fährt sie mit dem Bus zur Arbeit - sie putzt in einem Supermarkt, meidet dabei aber ihre Kolleg:innen. Lieber sucht sie nach Gelegenheiten, um sich heimlich und verbotenerweise an den von Kunden aufgerissenen Lebensmittelpackungen zu bedienen.
Eines Tages trifft sie im Bus auf Temerity, die sich anderes als die anderen Fahrgäste nicht scheut, sich neben Ellen zu setzen. Sie erklärt es sich damit, dass Temerity blind ist, doch dann staunt sie über deren große Klappe. Frech und selbstbewusst redet Temerity, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, und stört sich offensichtlich gar nicht daran, dass sie auch dadurch die Aufmerksamkeit aller auf sich zieht. Das Gegenteil also von dem, was Ellen sich wünscht: Unsichtbarkeit.
Fasziniert von der jungen Frau folgt sie Temerity zu ihrem eigenen Erstaunen - und sieht sich gleich mit einer heiklen Situation konfrontiert. Zwei Diebe versuchen, der blinden Frau ihre Handtasche zu entreißen. Und gleich staunt Ellen noch mehr über sich selbst, denn sie stellt einem der Diebe ein Bein, rettet die Handtasche und wird von Temerity in deren Wohnung eingeladen. Daraus entsteht ganz langsam eine besondere Freundschaft, die Ellen allmählich aus ihrem Schneckenhaus herauslockt und Seiten an ihr zum Vorschein bringt, von denen sie zuvor nicht einmal ahnte, dass diese in ihr schlummern.
Den Beginn des Romans fand ich wirklich nett, die Figurenzeichnung erscheint schlüssig, die Szenen sah ich bildhaft vor meinen Augen. Auch die Veränderung, die Ellen allmählich durchläuft, fand ich über weite Strecken nachvollziehbar und schön. Doch die Autorin hat sich nicht damit begnügt, die erfreuliche Entwicklung und die Freundschaft an sich zu beleuchten, sondern hat noch etliche Spannungsmomente mit eingebaut. Ellen und Temerity verschwestern sich zu heimlichen Retterinnen und versuchen inkognito und uneigennützig, Menschen aus ihrem Umfeld zu helfen.
Sei es nun die schwangere aber verwitwete Nachbarin, ein Mord nebenan, ein Mobbingopfer oder ein geplanter Raubüberfall - stets haben die Freundinnen eine Idee, wie sie einschreiten können. Ellen und Temerity sind zugegebenermaßen ein starkes Team, aber es erscheint doch wenig wahrscheinlich, dass es den beiden gelingt, so viel Böses zu verhindern und sich dabei stets moralisch auf die richtige Seite zu schlagen. Dieser stetige Kampf Gut gegen Böse war mir dann doch zunehmend des Guten zu viel, zu unrealistisch, insgesamt zu märchenhaft.
Die gekürzte Hörbuchfassung (6 Stunden und 22 Minuten) wird versiert gelesen von Muriel Baumeister. An ihr lag es nicht, dass mich das Hörerlebnis leicht enttäuscht hat. Für mich hat die Geschichte einfach das Potenzial nicht genutzt, dass sie gehabt hätte.
Eine warmherzige Erzählung, die für mich insgesamt aber leider recht vorhersehbar und unrealistisch war. Die Botschaft, nicht das Äußere einer Person zu bewerten, sondern den Menschen zu sehen, der sich dahinter verbirgt, hat mir dagegen gut gefallen.
© Parden
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