Montag, 28. November 2016

BlogPost Nr. 81: Schriftgut und etwas mehr...

November wars und wieder einmal gibt es gute Vorsätze: Wie wäre es mit einem finanziellen Bücherkontingent pro Jahr? Also schlichtweg eine selbstauferlegte Begrenzung?

Nun, es war wieder SCHRIFTGUT Wochenende und dieses war sehr ergibig. Natürlich ergab es sich, dass ich mich beim Dresdner Buchverlag sehen ließ, schließlich hatte ich zwei Freikarten von Katharina Salomo erhalten. Der Verlagsstand war sowieso mein Ziel, denn den zweiten Band dieses Fantasyromans mit realen historischen Beschreibungen Germaniens und seiner Bewohner kurz nach Beginn der Zeitrechung wollte ich mir nun unbedingt beschaffen. RUNENZEIT II - Krieg um Germanien von Mark Bredemeyer gab es natürlich dort. Übrigens, die Rezension ist schon fertig.

Dann wollte ich die Reihe der historischen Biografien alter, oft fürstlicher Sachsen von Hans-Joachim Böttcher erweitern. Dirk Salomo empfahl mir ausdrücklich das Buch über Johann Georg IV. von Sachsen und Magdalena Sibylla von Neitschütz - Eine tödliche Liason. Böttchers Bücher sind für geschichtsinteressierte Sachsen wirklich zu empfehlen. Ein bereits besprochenes Beispiel gibt es hier.


Besonderes Erlebnis war, dass ich mich einige Zeit mit Frank Goldammer unterhalten konnte, der mit seinem Roman Der Angstmann in diesem Jahr schon einmal einen Volltreffer landete. Der Weg führte natürlich weiter. An einem einzelnen Stand stand ein vermutlicher Autor mit passendem T-Shirt, hinter ihm die Werbung für den Roman Mauerzwillinge - zu sehen das Blaue Wunder. Wir kamen ins Gespräch und das Buch fand den Weg in meinen Büchersack. Gelesen ist es auch schon - ich erspare mir weiteres bis auf den Hinweis, dass nach der Rezension der Roman Ruhrzaster in meinem Briefkasten landete, Uwe Wittenfeld hat meine Rezension gefallen.


 

Eine Dresdner Buchmesse hat natürlich Dresden im Mittelpunkt. Ein Treffen mit Mario Sempf und Thomas Zahn war natürlich zwingend notwendig, erhofft und auch zwangsläufig. Allein mit Mario, der als experimentierender Archäologe arbeitet, kann man sich stundenlang unterhalten, diesmal zum Beispiel um die Seilerei in vergangen Zeiten.  Natürlich ging es im weiteren um das Buch Vom Hängen und Würgen, welches im nächsten Frühjahr erscheinen wird. Dresden zum Gruseln Nr. 2 hab ich von ihm bekommen, dazu folgt sicherlich bald eine Besprechung, hier als Rückblick schon mal die zu Band 1. (Wer nun denkt, die Experimente des Archäologen hätten etwas mit der Dresdner Scharfrichterei zu tun, den kann ich beruhigen, Mario ist ein verträglicher Typ, auch wenn er sich mit Illustrator Thomas Zahn gelegentlich Schwerter um die Ohren haut.)




Man muss sich auch auch mal an Unbekanntes wagen. Andreas M. Sturm war mir bisher unbekannt, aber er hat schon viele Dresden-Romane veröffentlicht. Vollstreckung ist so einer, hat mich neugierig gemacht, vielleicht ist indirekt doch der Mario Sempf dran schuld? Stammtischmorde III habe ich auch mitgenommen, da hat sich doch der Leipziger Polizeipräsident Bernd Merbitz dran beteiligt und nun bin ich auf den Inhalt gespannt.

Natürlich führte mich der Weg zum Traumfänger-Verlag. Ich traf da auf die etwas verloren wirkende Kerstin Groeper, sie wartete ungeduldig auf Wade Fernandez, einen indianischen Musiker und war ganz aufgeregt.  Irgendwann waren die Musiker dann doch da. Was folgt daraus? Natürlich: Eine CD in meinen Beutel. Und ein Krimi von Kerstin. Der Palio des Toten Politikers ist dann mal kein Indianerroman, italienische Commissarios sind in Deutschland doch ziemlich beliebt.  Brita Rose-Billert hat hier auch schon mehrfach eine Rolle gespielt und nun war Mord auf Pine Ridge, ein Krimi um eine indianische Ärztin namens Maggie Yellow Clowd  auf dem Bücherstapel gelandet. Danke Kerstin für die Gabe.





Zu den Krimis kam nach der Lesung von Patricia Holland Moritz noch Kältetod dazu. Kein Dresdner sondern ein Berliner Krimi um die Droge Chrystal Meth. Die Lesung war sehr angenehm und Spannung verspricht der Buchdeckel. Ein sympatische Autorin, da bleibe ich mal aufmerksam.






Was gab es noch? Bereits im Vorjahr fiel mir "Der mit dem Hut liest" auf. Andreas M. Buchwald befindet sich augenscheinlich im Buchwald und arbeitet im Eigenverlag namens (der) AndereBuchVerlag. Das ist schon ein Kauz und diesmal nahm ich nach der leider nur wenig besuchten Lesung drei Bändchen im Schuber namens Deutschland - Vom Eise befreit? mit. Wird noch ein Weilchen dauern, aber dann lese ich los. Ohne Hut.



Das Buch rechts stammt allerdings nicht von der Buchmesse, dieses erwarb ich in der Neubrandenburger Thalia-Buchhandlung. Dieser Roman, Durchbruch bei Stalingrad, von Heinrich Gerlach ist erst vor kurzem in Geheimdienstarchiven Russlands aufgetaucht. Den habe ich gerade angefangen zu lesen.

So, das war´s. Stoff genug bis zum Jahresende, wenn nicht darüber hinaus.


© KaratekaDD


Sonntag, 27. November 2016

De Vigan, Delphine: Nach einer wahren Geschichte



Ein raffiniertes literarisches Spiel mit Fiktion, Wirklichkeit und Identität
 

Zwei Frauen lernen sich auf einer Party kennen. Die zurückhaltende Delphine, die sich mit fremden Menschen meist sehr schwer tut, ist sofort fasziniert von der klugen und eleganten L., die als Ghostwriter arbeitet. Aus gelegentlichen Treffen werden regelmäßige, man erzählt einander das eigene Leben, spricht über Familie und Freunde, vor allem über Freundinnen. Und natürlich über Bücher und Filme, die man liebt und bewundert. Delphine ist glücklich über die Gemeinsamkeiten und fühlt sich verstanden wie schon lange nicht mehr. Ganz entgegen ihrer Gewohnheit gibt sie in einem Gespräch über das Schreiben die Idee für ihr nächstes Buch preis. L. reagiert enttäuscht: Wie nur könne Delphine ihre Zeit auf eine erfundene Geschichte verschwenden? Eine Autorin ihres Formats müsse sich der Wahrheit verschreiben. Delphine ist entsetzt. L.s leidenschaftlich vorgetragene Forderung löst eine tiefe Verunsicherung in ihr aus. Bald kann sie weder Papier noch Stift in die Hand nehmen. L. scheint völlig unglücklich über das zu sein, was sie in der Freundin ausgelöst hat. Selbstlos übernimmt sie die Beantwortung von E-Mails, das Absagen von Lesungen und Interviews, das Vertrösten des Verlags, der auf einen neuen Roman wartet. Und all das in Delphines Namen. Keiner weiß davon, keiner kennt L., und so ist Delphine allein, als sie feststellt, dass L. ihr immer ähnlicher wird …

(Klappentext Dumont Verlag)

  • Gebundene Ausgabe: 350 Seiten
  • Verlag: DuMont Buchverlag GmbH & Co. KG; Auflage: 2 (24. August 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Doris Heinemann
  • ISBN-10: 383219830X
  • ISBN-13: 978-3832198305
  • Originaltitel: D'après une histoire vraie












WER IST L.?




Nachdem ich vor einigen Monaten begeistert mein erstes Buch von Delphine de Vigan gelesen hatte ('Das Lächeln meiner Mutter'), war ich sehr gespannt auf das neue Buch der Autorin. Zu meiner großen Überraschung hatte dieses jüngste Werk einen direkten Bezug zum vorherigen Roman, so dass ich nun um so neugieriger war.


Schon mit den letzten Seiten des ersten Abschnittes begann ich darüber nachzudenken, ob L., die mysteriöse Frau, die sich so in Delphines Leben schleicht und sich darin festsetzt, vielleicht nur das Alter Ego von Delphine sein könnte und für ihren inneren Disput steht, was für ein Buch denn tatsächlich nach 'Das Lächeln meiner Mutter' möglich wäre. Da ist etwas, das Delphine daran hindert, einfach das nächste Buch zu schreiben. Muss sie nicht eigentlich in der Richtung weitermachen, wie bei 'Das Lächeln meiner Mutter?' Wäre das eigentlich geplante - und fiktive - Buch nicht ein totaler Bruch? Unglaubwürdig in den Augen ihrer Leser? Wie kann man eine fiktive Geschichte schreiben, nachdem man vor der Welt sein Innerstes nach außen gekehrt, sein Leben ausgebreitet hat? 'Nach einer wahren Geschichte' könnte eine Überleitung sein - von der autobiografischen Haltung zurück zur Fiktion. Der Leser nimmt hier Teil an der inneren Zerrissenheit der Autorin, und indem sich diese derart öffnet, ebnet sie sich die 'Erlaubnis' - von sich selbst und von anderen - sich demnächst wieder anderen Themen zuwenden zu 'dürfen'. Tatsächlich habe ich nach der Lektüre von 'Das Lächeln meiner Mutter' gedacht: was soll da jetzt noch kommen?


"Darauf pfeifen die Leute. Sie haben genug von Märchen und Figuren. Mit romanhaften Wechselfällen und plötzlichen Umschwüngen sind sie zur Genüge gefüttert worden. Die Leute haben die gut geölten Geschichten mit ihren geschickten Aufhängern und Auflösungen satt. Sie haben genug von den Sandmännchen und Geschäftemachern, die am laufenden Band Geschichten erfinden, um ihnen Bücher, Autos und Joghurts anzudrehen. In großer Zahl produzierte und unendlich abwandelbare Geschichten. Glaub mir, die Leser erwarten etwas anderes von der Literatur, und damit haben sie sehr recht: Sie erwarten Wahres, Authentisches, sie wollen, dass man ihnen vom Leben erzählt, verstehst du? Die Literatur darf nicht auf das falsche Territorium geraten." (S. 74)


Und wirklich dreht sich in diesem Roman vieles um Belange der Literatur und des Schreibens, um die Frage von Fiktion und Wirklichkeit, von Wahnsinn und Normalität - und auch immer wieder um das Rätsel um L., die mysteriöse Frau, die das Leben von Delphine okupiert. Ist sie wirklich vorhanden oder aber das Alter Ego der Autorin - halt, nein, des Hauptcharakters des Buches? Denn wie der Roman letztendlich lehrt: selbst wenn man über die Wahrheit schreibt, ist es Fiktion. In der Leserunde zum Buch kam dann die interessante Theorie auf: L. ausgesprochen = frz. 'elle', also 'sie' - was wiederum passen könnte zu den Zitaten aus Stephen Kings Roman 'Sie', die den einzelnen Abschnitten vorangestellt sind. Eine andere Idee betraf das Pseudonym der Autorin: unter Lou Delvig veröffentlichte sie bereits frühere Romane - L. wäre damit möglicherweise die Initiale dieses Pseudonyms. All diese Thesen und Gedanken verdeutlichen sicherlich, wie meisterhaft Delphine de Vigan hier das Verwirrspiel von Wahrheit und Fiktion beherrscht.


"Aber es gibt keine Wahrheit. Die Wahrheit existiert nicht (...) Sobald man Dinge auslässt, etwas ausdehnt oder verdichet, Lücken füllt, ist man im Reich der Fiktion (...) jedes Schreiben über sich selbst ist ein Roman. Der Bericht ist Illusion. Kein Buch dürfte diese Bezeichnung tragen." (S. 76)



Der Schreibstil ist sehr anspruchsvoll. Die oft langen, ineinander verketteten Sätze, der analytische Blick, das Sezieren der Gefühlslagen, Gedankengänge, Zustände - sehr gekonnt, aber eben auch sehr fordernd. Dieser Schreibstil und das Nachdenken über das Gelesene bewirkten, dass ich - wie übrigens auch schon bei 'Das Lächeln meiner Mutter' - beim Lesen ausgesprochen und ungewohnt langsam voran kam. Die Handlungsarmut der Erzählung ermüdete mich dabei zusätzlich - die Innenschau des Hauptcharakters war intensiv aber eben oftmals langatmig und ausschweifend und damit auch anstrengend. Immer wenn ich glaubte, endlich einmal gut vorangekommen zu sein, belehrte mich die Seitenzahl eines Besseren. Maximal zwanzig Seiten habe ich hier am Stück gelesen, bevor ich das Buch erst einmal wieder zur Seite legte. Die letzten 50 Seiten allerdings schlugen mich wieder richtig in ihren Bann und sorgten noch für eine interessante Überraschung. Selten zuvor habe ich ein Buch gelesen, das ich am Ende mit einer Gänsehaut schloss. Hier ist es mir so ergangen.

Ein außergewöhnlicher Roman, der mit einer verwirrenden aber faszinierenden Geschichte aufwartet, undurchschaubar bis zum Schluss. Anspruchsvolle Lektüre, die den Leser aber zum Nachdenken bringt, auch über die Geschichte hinaus, und die Delphine de Vigans Perfektion in Sachen Verwirrspiele zur Geltung bringt. Beeindruckend, einmal mehr.


© Parden



P. S.: Roman Polanski wird 'Nach einer wahren Geschichte' verfilmen, das Drehbuch wird Olivier Assayas schreiben. Dies ist der Homepage des Dumont Verlags zu entnehmen. Ehrlich gesagt kann ich mir eine Verfilmung dieses Stoffes in keinster Weise vorstellen. Um so gespannter bin ich auf diesen Film - und Polanski ist ja immer für beeindruckende Filme gut. Der Kinobesuch ist vorgemerkt!

















Delphine de ViganDer Dumont Verlag schreibt üer die Autorin:

Delphine de Vigan, geboren 1966, gelang mit ›No & ich‹ (2007) der Durchbruch als Schriftstellerin. Seit dem Roman ›Das Lächeln meiner Mutter‹ (2010), der wochenlang die französische Bestsellerliste anführte, zählt sie zu den wichtigsten zeitgenössischen Autoren Frankreichs. Sie lebt mit ihren Kindern in Paris

übernommen vom Dumont Verlag

Samstag, 26. November 2016

Gruber, Andreas: Todesfrist


Ein Serienmörder treibt sein Unwesen – und ein altes Kinderbuch dient ihm als grausame Inspiration.


»Wenn Sie innerhalb von 48 Stunden herausfinden, warum ich diese Frau entführt habe, bleibt sie am Leben. Falls nicht – stirbt sie.« Mit dieser Botschaft beginnt das perverse Spiel eines Serienmörders. Er lässt seine Opfer verhungern, ertränkt sie in Tinte oder umhüllt sie bei lebendigem Leib mit Beton. Verzweifelt sucht die Münchner Kommissarin Sabine Nemez nach einer Erklärung, einem Motiv. Erst als sie einen niederländischen Kollegen hinzuzieht, entdecken sie zumindest ein Muster: Ein altes Kinderbuch dient dem Täter als grausame Inspiration – und das birgt noch viele Ideen ...

(Klappentext Goldmann Verlag)

  • Taschenbuch: 432 Seiten
  • Verlag: Goldmann Verlag (18. März 2013)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3442478669
  • ISBN-13: 978-3442478668
  • Reihe: Maarten S. Sneijder und Sabine Nemez (Bd. 1)












48 STUNDEN ZEIT...





Sabine Nemetz arbeitet beim Münchner Kriminaldauerdienst, wird aber in den neuesten Mordfall mehr als erträglich hineingezogen. Trotz ihrer persönlichen Betroffenheit - oder vielleicht auch gerade deswegen - setzt sie alles daran, den Täter zu überführen. Sie staunt jedoch nicht schlecht, als ihr nach einer heimlichen Anfrage in einem ihr eigentlich nicht zugänglichen Computersystem des BKA, plötzlich ein Fallanalytiker dieser Bundesbehörde gegenübersteht: Maarten S. Sneijder. Obwohl Sabine Nemetz eigentlich nicht an den Ermittlungen beteiligt werden soll, beweist sie eine rasche Auffassungsgabe und forsche Unerschrockenheit, so dass Sneijder schließlich auf ihrer Mitarbeit besteht.


"Wenn Sie innerhalb von 48 Stunden herausfinden, warum ich diese Frau entführt habe, bleibt sie am Leben. Falls nicht – stirbt sie."


Der Mordfall in München entpuppt sich rasch als Teil einer ganzen Mordserie, die an Brutalität kaum zu überbieten ist. Dabei finden die Morde an vollkommen unterschiedlichen Orten statt, die Opfer haben anscheinend nichts miteinander zu tun, und die Tötungsart ist jedesmal eine andere. Verhungernlassen gehört ebenso zum Spektrum der grausamen Morde wie das Ertränken in Tinte oder das Umhüllen des noch lebenden Opfers mit Beton. Der vom BKA abgestellte Fallanalytiker Maarten S. Sneijder und die junge Ermittlerin Sabine Nemetz entdecken schließlich trotz aller Unterschiede ein Muster hinter den Taten. Der Serienmörder lässt sich von dem alten Kinderbuch 'Der Struwwelpeter' inspirieren - er setzt die Darstellungen der drastischer Bestrafung kindlichen Fehlverhaltens einfach in die Tat um. Doch was ist das Motiv des Täters? Und wie um Himmels Willen sollen sie ihn stoppen?

Was für ein Thriller! Er beginnt schon rasant und behält dieses Tempo auch weitgehend bei. Dabei springt das Geschehen in den kurzen Kapiteln von einem Schauplatz zum anderen, aber auch zwischen Gegenwart und Vergangenheit - und sorgt dadurch für zusätzliche Verwirrung. Der flüssige Schreibstil lässt einen neben der zunehmenden Spannung geradezu von Kapitel zu Kapitel fliegen. Dabei hält das Gefühl einer wachsenden Bedrohung an, und vor allem Sabine Nemetz kommt zunehmend an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Doch als unerwarteter Protegé des aalglatten Maarten S. Sneijder, der es hervorragend versteht, die Kollegen vor Ort mit wachsender Begeisterung vor den Kopf zu stoßen, wächst Sabine geradezu über sich hinaus.


"Er war so charmant wie eine giftsprühende Kobra, die noch nicht gefrühstückt hatte."


Maarten S. Snijder - damit hat Andreas Gruber einen Ermittler kreiert, der seinesgleichen sucht. Als erfahrener Fallanalytiker des BKA wird der Niederländer immer wieder bei der Klärung schwieriger Mordserien von den Dienststellen vor Ort herangezogen, doch eilt ihm inzwischen sein Ruf voraus. Ein regelrechtes A...loch ist er bei aller Genialität, ein Kollegenschw...in, das am liebsten alleine arbeitet und seine Ruhe verlangt. Kollegen als gleichberechtigt anzusehen, kommt ihm gar nicht erst in den Sinn, sein arrogantes Verhalten ist legendär. Um so erstaunlicher mutet es an, dass er die toughe Sabine Nemetz schließlich unter seine Fittiche nimmt und ihr sogar kleine Einblicke in sein Privatleben gewährt. Vanilletee und Hasch gehören ebenso zu dem exzentrischen Ermittler wie Akkupunkturnadeln und Diebstähle in Buchhandlungen. Trotz allem mochte ich Sneijder zunehmend gerne, und seine junge Kollegin Sabine Nemetz erlebte ich als beherzt und sympathisch. Beide Charaktere waren für mich authentisch und glaubwürdig.

Ein für mich rundum überzeugender Thriller mit ungewöhnlichen Mordarten, einem spannenden Wettlauf mit der Zeit und mit einem überaus schrägen Ermittler. Ich freue mich schon auf ein Wiederlesen mit Maarten S. Sneijder & Co. Zum Glück gibt es schon Fortsetzungen...


© Parden











Andreas GruberDer Goldmann Verlag schreibt über den Autor:


Andreas Gruber, 1968 in Wien geboren, lebt als freier Autor mit seiner Familie in Grillenberg in Niederösterreich. Er hat bereits mehrere äußerst erfolgreiche und preisgekrönte Erzählungen und Romane verfasst.

übernommen vom Goldmann Verlag

Zur Homepage von Andreas Gruber

Freitag, 25. November 2016

Zischler, Hanns: Das Mädchen mit den Orangenpapieren


Hanns Zischlers großartiges literarisches Debüt über das Erinnern, den Verlust und das Weitergehen.


Es ist eine Geschichte, so zart, schimmernd und fragil wie ein Orangenpapier: Sie handelt von Elsa, einem Mädchen, das es Mitte der 50er- Jahre mit seinem Vater von Dresden nach Bayern verschlagen hat. Obwohl Elsa erst kurze Zeit in der kleinen Stadt an der Ache ist und sie von vielen wegen ihres Dialekts belächelt wird, hat sie schon Freunde: Asampauli, mit dem sie den Schulweg teilt; der Lehrer Kapuste, der seinen Schülern seltsame Rätsel aufgibt; und die Obsthändlerin, die für Elsa die exotischen Papiere auf bewahrt, in denen die Orangen eingeschlagen sind. Auf die Idee, Orangenpapiere zu sammeln, hat Kapuste Elsa gebracht. Vielleicht, weil er ahnt, dass sie einen Fluchtpunkt benötigt, und eine Brücke, mit anderen über die Dinge zu sprechen, die sie tief in sich verschlossen hält. Und tatsächlich, als eine Neue in die Klasse kommt, beginnt für Elsa – langsam und tastend – ein Aufbruch …

(Klappentext Verlag Galiani Berlin)

  • Gebundene Ausgabe: 112 Seiten
  • Verlag: Galiani-Berlin (10. September 2014)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3869710969
  • ISBN-13: 978-3869710969















WAS IST HEIMAT?




Elsa heißt das Mädchen, das hier im Mittelpunkt der episodenhaften Erzählung steht. Mit ihrem Vater lebt sie Mitte der 50er Jahre seit sieben Monaten in Marstein, einer kleinen Stadt an der Ache, in den Bergen, unweit des Chiemsees. Geflüchtet sind die beiden aus dem zerbombten Nachkriegs-Dresden, die Mutter Elsas kurz zuvor verstorben. Die Trauer und die Fremde haben Elsa und ihren Vater sehr zusammengeschweißt, und doch muss jeder seinen Alltag auf sich allein gestellt bewältigen.

Während der Vater arbeiten geht, besucht Elsa als Externe das Internat im hochgelegenen Schloss. Schon der Schulweg ist nicht leicht, denn Elsa laboriert an einem Hüftleiden, das ihr das Gehen erschwert. Aber auch sonst ist es nicht einfach an dem neuen Ort - als Auswärtige, die die hiesige Mundart kaum versteht, ist sie ein Außenseiter. Nur Pauli, ein Junge aus ihrer Klasse, hat nicht gelacht, als Elsa als Neue in ihrem Dresdner Dialekt zu sprechen begann.

Zuflucht vor der Einsamkeit und ihrer Trauer sucht Elsa in ihrer Sammlung von Orangenpapieren. Vielleicht erinnert sich noch jemand daran: Zitrusfrüchte wurden früher einzeln durch hauchzarte, federleichte, fast transparente Papierchen geschützt und so verpackt in eine Stiege gelegt. Diese Papierchen hatten stets ein aufgedrucktes Bild, das den Flair des Südens, des ganz Besonderen, noch verstärkte. Und diese Bilder der Orangenpapierchen kann Elsa stundenlang betrachten. In manchen der abgebildeten Figuren meint sie gar ihr bekannte Personen wiederzuerkennen.

Diese Orangenpapierchen setzt Hanns Zischler als wundervolle Symbolik ein für die Schutzhülle, in die Elsa sich flüchtet, wenn die Gefühle sie zu übermannen drohen. Und so wie die Orange ausgewickelt wird und erst dann ihre ganze Pracht offenbart, legt auch Elsa zunehmend ihre Schutzhüllen ab, in dem Maße, wie sie Freundschaft und Zuwendung erfährt.

Auch sonst bedient sich Hanns Zischler einer ausgesprochen bildgewaltigen und metapherstrotzenden Sprache, die mir allerdings gelegentlich als etwas zu bemüht erschien.


"(...) hat sie sich an den Anblick der Berge nicht gewöhnen können. Manchmal will sie den Blick gar nicht heben, zu erdrückend ist die Maßlosigkeit der dunklen Felsen und Klüfte. Das Auge rutscht ab an den glatten, baumlosen Kanten, den Brocken und Schründen. Fremd und kalt ragen die Berge auf, unerreichbar und undurchdringlich (...) Auch die aufregenden Farbenspiele - das Grauviolett des Himmels, die zentaurischen Wolken mit ihren jagenden Schatten, die blaugrünen Nadelwaldhänge, die helle Tonsur der hoch oben in den Wald eingekerbten Herzwiese - können die monumentale Fremdartigkeit nicht vertreiben. Elsa findet hier keinen Halt. Alles stürzt."


Durch die Genauigkeit der Beobachtung und die Konzentration auf das Einzelne gelingt es Hanns Zischler, die Atmosphäre jener Zeit einzufangen, die von Traumatisierung und Verlust geprägt war. Gerade einmal 112 Seiten umfasst das schmale Büchlein, doch durch das Aneinanderreihen von Episoden gelingt es dem Autor trotzdem, eine Entwicklung Elsas darzulegen. Allerdings empfand ich manche Episoden als sehr sprunghaft aneinander gesetzt, so dass das Bild Elsas Risse bekam. Handlungen und Reaktionen erschienen mir dadurch nicht immer gleich nachvollziehbar, eine plötzliche Offenheit des Mädchens sehr überraschend.

Dennoch war das literarische Debüt Hanns Zischlers, der mir eher durch seine schauspielerische Leistung bekannt ist, insgesamt recht angenehm zu lesen.


© Parden










Hanns Zischler, Jahrgang 1947, arbeitet neben seinem Beruf als Schauspieler seit vielen Jahren als Publizist. Zu seinen Sachbüchern zählt u. a. die in viele Sprachen übersetzte Forschungsarbeit Kafka geht ins Kino. Bei Galiani erschienen von ihm die Sachbücher bzw. Bildbände Der Schmetterlingskoffer (2010, gemeinsam mit Hanna Zeckau), Berlin ist zu groß für Berlin (2013), Die Erkundung Brasiliens (2013, gemeinsam mit Sabine Hackethal und Carsten Eckert). Zuletzt erschien in dem Verlag sein literarisches Debüt Das Mädchen mit den Orangenpapieren (2014).

Donnerstag, 24. November 2016

Portman / Oz: Eine Geschichte von Liebe und Finsternis


© URDD
Sonntag. Schauburg. Kuscheliges Kino mit altem Charme. Und weichen aber wegen kurzer Lehne doch unbequemen Sesseln. Wohin das Programm des Programmkinos führt, zeigt eine Bar auf halber Treppe namens Halbe Treppe. Da bin ich nun schon mal gespannt, ob eine Leserin, ein Leser damit etwas anfangen kann. Vielleicht sollte ich noch mal erwähnen, dass mich Freitags der interessierte Blick in den Blog einer Dresdner Bloggerfreundin dazu brachte, am Sonntag in eben dieses Kino zu gehen.

סיפור על אהבה וחושך


Aber eigentlich ist dies nicht unbedingt DER Beginn einer filmisch-buchigen Rezension zu EINE GESCHICHTE VON LIEBE UND FINSTERNIS. Den Begriff "buchig" borge ich mir einmal aus von einem, ohne den ich auf Amos Oz vielleicht gar nicht aufmerksam geworden wäre. Und er ist es doch, ein Beginn. Es bleibt nämlich anzunehmen, dass der Film, in dem die Mitproduzentin Natalie Portman auch eine Hauptrolle und die Regie übernommen hat, es vermutlich nicht  in die großen Kinos schafft und auf die sogenannten Programmkinos beschränkt bleibt. In Dresden in der Schauburg, in Mecklenburg (momentan) gar nicht, in Berlin aber an fünf Stellen und in München läuft er auch. Aber nicht in den Filmpalästen. Warum? Vielleicht wegen der erzählten Geschichte.

Filmplakat
Die Geschichte handelt von einer jungen Familie. Vater Arie ist Bibliothekar und wäre gern in die Fußtapfen seines Onkels, des Gelehrten Joseph Gedalja Klausner getreten und Akademiker geworden, die Mutter Fania ist eine gebildete junge Frau in einem Land, in welchem sie zunehmend nicht zurecht kommt. Arie und Fania haben einen Sohn. Amos, der sich später Oz nennen wird.

Fania ist eigentlich recht schweigsam, kann aber in Gesprächen mit Freunden und Bekannten diesen sehr geistreich ein Wendung geben und begeistert auch mit dieser Gabe, die sie selten einsetzt. Doch diese Erkenntnis hat der Blogger aus dem Buch EINE GESCHICHTE VON LIEBE UND FINSTERNIS, welches der Junge Amos veröffentlichen wird, als er bereits 63 Jahre alt ist. Geboren wurde Amos im Jahr 1939, wir schreiben nun das Jahr 1945 / 1946, als Amos in die Schule kommt. Amos kommt in Jerusalem in die Schule, kurz bevor die UN-Generalversammlung die Resolution 181 zur Teilung Palästinas verabschiedet. In diesen Spannungen lebt die kleine Familie in einer Zwei-Zimmer-Wohnung, deren Wände hinter Bücherregalen vollständig verborgen sind.


Arie Klausner ist mit seinen Eltern 1933 nach Jerusalem gekommen. Dies ist die zweite Flucht, denn 1917 flüchteten sie von Odessa nach Vilnius, also von Russland (heute Ukraine) nach Litauen. Auch Fania ist kurz danach, einundzwanzigjährig, nach Palästina ausgewandert, sie wurde in Rowno, Ukraine geboren. Palästina: in ihren Gedanken und Gefühlen DAS Gelobte Land. Hier würden die Juden dieser Welt, nirgends gelitten, eine Welt, die sich lohnt aufbauen, lauter Menschen mit Kraft, Mut, Frohsinn und übermäßigem Willen. So wie sie es am jüdischen Gymnasium in Rowno einst träumte. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus in Jerusalem.
Es gibt sie, die das Land aufbauenden Pioniere über die Amis einmal schreiben wird, was der Blogger bereits einmal hier zitierte, aber Fanias Träume erfüllen sich eher nicht.


Familienfoto aus dem Buch / Szenbild

Amos Eltern sind nicht reich. Fanias Vater war einst ein reicher Mühlenbesitzer in der Ukraine. Sie kommen zurecht. Mehr schlecht als recht, der Vater ist für praktische Sachen nicht sonderlich begabt, die Szene, wie sie auf kärglichem Boden hinter dem Haus versuchen eine Garten anzulegen ist bezeichnend. Dies ist eine der im Film sehr schön wiedergegebenen Szenen des Buches. Ebenso erzählt der Film die Geschichte des ersten Buches, welches Arie geschrieben. Zu gern wäre er in die Fußtapfen des berühmten Onkels getreten mit seinem Erstling über hebräische Novellen.

Liest man das Buch, dann fällt einem nicht unbedingt auf, dass der Autor vor allem die Geschichte der Familie und mehr noch, die Geschichte der Mutter-Sohn Beziehung erzählt. Erst nach und nach stellt sich heraus, dass der Autor genau dies wohl vor allem für sich verarbeitet. Gleichzeitig erzählt er die Geschichte von Vertreibung, Flucht, von Krieg, von einer Staatsgründung, von Idealen und Idolen in einer Dichte und in einem Umfang, dass dies ein Film wohl schwerlich einfangen kann.



Der Film greift allerdings hauptsächlich diese Mutter-Sohn-Beziehung auf. Einzelne Geschichten, einzelne Bilder dienen der Illustration. So erreicht Natalie Portman ihr Anliegen durchaus, genau diese Beziehung zu erzählen. In einem Zeit-Artikel war zu lesen:

"Vielleicht aus Ehrfurcht vor der literarischen Leistung des Autors, vielleicht aus Rücksicht auf das private Unglück hängt sich Portman zu sehr an ihre Vorlage. Statt eine eigene Bildsprache zu entwickeln, reiht die Regisseurin in der ersten Hälfte des Films lediglich Szenen mit Familie und Freunden aneinander. Später montiert sie dokumentarisches Material in den Film, ohne jedoch die Zeitgeschichte atmosphärisch verdichten zu können. Die Regisseurin Portman erliegt der Versuchung, Literatur nachzuerzählen, statt sie mit den Mitteln des Films neu zu denken. Sie will zu viel und wagt zu wenig." *



Dieser Aussage sollte man nicht unbedingt folgen. Es gelingt der Regisseurin nämlich durchaus, die zunehmende Einsamkeit und Traurigkeit der Fania Klausner darzustellen, die Bilder unterstreichen, dass diese Frau den so herbei gesehnten eigenen Frieden natürlich nur schwer finden wird. Das folgende Video unterstreicht das eher.



Natalie Portman hat den Film eigentlich auf hebräisch gedreht, er ist englisch untertitelt. Diese Idee hätte ich ausnahmsweise auch für die deutsche Version gut befunden. In den Trailern empfand ich die melodische Sprache als sehr schön passend. Die notwendigen Untertitel hätte ich in Kauf genommen, auch wenn sie vielleicht hier und da den Blick von den Bildern gelöst hätten.




Buch und Film bilden eine Symbiose. Selten gehören Buch und Film so gut zusammen. Hat man den Film gesehen und liest anschließend das Buch, dann werden die literarischen Bilder, die sich aufblättern unterstrichen, hat man das Buch zuerst gelesen, dann versteht man die filmische Umsetzung gleich besser und Erinnerungen an das Lesen kommen einem bei jeder Szene.Hinzu kommt, dass die Kinder- und Jugendzeit des Elternpaares, die Gründe für die Auswanderung nach Palästina im Buch ausführlich beschrieben werden. Auch der übermächtige Einfluss des Gelehrten Josef Klausners wirkt nur im Buch und wird im Film nicht einmal erwähnt. Es sei allerdings betont, dass dies wohl den Rahmen gesprengt hätte.

Portman hat einen Film gedreht über den sich die Kritiker trefflich streiten. Es war ihr eine Herzenssache, sie ist selbst das Kind eines israelischen Vaters und einer jüdisch-amerikanischen Mutter. Ihre Großeltern wanderten selber 1930 nach Palästina aus, ihre Urgroßeltern wurden in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert. (wikipedia) 

Die Schausspielerauswahl ist auch gelungen. Portman und Gilad Kahana (Arieh Klausner) passen sogar zum Familienbild, ebenso wie Amir Tessler (Amos Klausner). In ihrem Spiel erkennt man die handelnden Personen des Buches wirklich wieder.




Die großartige Sprache des Amos Oz lud sie sicherlich ein, die komplexe autobiografische Geschichte zu verfilmen. Es ist ihr gelungen. Es ist kein Reißer, die Geschichte ist nicht einfach, die Bilder machmal schwer und schlecht einzuordnen. Wie bereits bemerkt, wohl kein Film für die großen Filmpaläste.


© KaratekaDD


Links:


 

Mittwoch, 23. November 2016

Walther, Markus: Beatrice - Rückkehr ins Buchland


Eigentlich müsste Beatrice zufrieden sein. Sie hat das Antiquariat von Herrn Plana übernommen, ihr Mann ist wieder gesund und der Verlag wünscht sich ein neues Manuskript. Alles scheint in geordneten Bahnen zu laufen. Doch dann taucht der kuriose Ladenbesitzer Quirinus auf, der ihr ein Angebot macht, das sie einfach nicht ablehnen kann. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg zurück in die tiefsten Regionen des Buchlands.

(Klappentext Acabus Verlag)

  • Gebundene Ausgabe: 284 Seiten
  • Verlag: Acabus Verlag; Auflage: 1., Originalausgabe (19. Oktober 2015)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3862824012
  • ISBN-13: 978-3862824014
  • Reihe: Buchland-Trilogie Bd. 2













REGENBÖGEN IM DUNKEL...



Was habe ich mich auf ein Wiederlesen mit Beatrice und dem Buchland gefreut! Zwar gibt es Herrn Plana nun nicht mehr, doch Beatrice hat das Antiquariat von ihm übernommen, und was spräche dagegen, das Buchland in den unteren Gewölben auch ohne den mysteriösen Auktoral zu durchforsten? Zu meiner großen Überraschung hat Beatrice diese Möglichkeit jedoch seit dem Verschwinden Herrn Planas nie genutzt - allein zum Zwecke des Auffüllens der Buchregale im Antiquariat hat sie das Buchland gelegentlich einmal betreten, blieb jedoch stets in den ihr gut bekannten Abteilungen.


"Sie wusste um das mächtige Eigenleben des geschriebenen Wortes, wusste um die Magie, die die Realität um die Fiktion krümmte wie das Weltall den Raum um die Masse. Es gab hier Gänge, die sich verschoben, Bücher, die sich bewegten, und Wesen, denen sie nie wieder begegnen wollte. Ja, sie liebte das Buchland. Aber sie hatte auch einen höllischen Respekt vor dem, was im Buchland zu finden war." (S. 58)


Auch sonst hat sich Beatrice in ihrem Leben irgendwie eingerichtet. Mit ihrem Mann Ingo versteht sie sich wieder recht gut, zumal er weiterhin dem Alkohol abschwört. Zwar hat sie den Tod ihrer kleinen Tochter immer noch nicht wirklich verwunden, doch schaut sie inzwischen wieder nach vorne. Nach dem Erfolg ihres ersten Buches drängt der Verlag auf eine Fortsetzung, doch ist Beatrice von der Idee nicht wirklich überzeugt.


"Ich werde keine Fortsetzung schreiben. Fortsetzungen sind meistens kacke. Nur weil 'Buchland' ein Fantasyroman geworden ist, muss das Teil ja nicht gleich in Serie gehen. Nicht jeder Mist muss eine Trilogie werden." (S. 39)


Dieses kleine Zitat zeugt schon davon, wieviel schwarzer Humor hier immer wieder mal aufblitzt, und auch, wie der Autor sich selbst immer mal wieder auf die Schippe nimmt - und das sind schon einige der Gründe, weshalb mir dieses Buch so gut gefallen hat. War Band eins der Trilogie noch vom Überraschungseffekt geprägt, von all der Freude am Entdecken dieses traumhaften Landes für alle Bücherliebhaber, so ist diese zweite Folge deutlich düsterer. Denn das Buchland ist nicht mehr, was es mal war. Unheimlicher ist es geworden, Schatten sind eingezogen, und das Böse lauert - nur auf wen? Oder auf was?


"Während der Zeiger langsam über das Zifferblatt ihrer Armbanduhr kroch, überkam sie mehr und mehr ein Gefühl der Unruhe. Die Angst, dass etwas ihre Bücher bedrohte, machte sich schmerzhaft spürbar in ihren Knochen breit. Da war noch immer das Wispern um sie herum. Doch entgegen aller Erfahrungen, die sie bislang zwischen den Büchern gemacht hatte, klang es nun kläglich, geradezu krank." (S. 55)


Zunächst einmal macht Beatrice die Bekanntschaft mit einem merkwürdigen Kauz. Quirinus heißt er - nur Quirinus - und hat den Laden neben dem Antiquariat erworben. Ein Geschäft für Kuriositäten, und wirklich schlau wird Beatrice nicht aus dem Verhalten ihres neuen Nachbarn. Er möchte etwas von ihr, das ist ihr nur zu bald klar, doch er verrät ihr nicht, was es ist. Stattdessen stellt er ihr seine kleine Cousine vor, Chaya, ein kleines, nettes Mädchen - und doch, auch an ihr ist irgendetwas seltsam. Jedenfalls liebt dieses Mädchen Bücher. Über alles. Vielleicht zu sehr?


"Dort, wo sie gestern das Kinderbuch eingeschoben hatte, lag ein klägliches Häuflein Staub. Wie konnte das sein? Wie konnte ein Buch innerhalb so kurzer Zeit zerfallen? Das hatte Beatrice noch nie erlebt. Schon gar nicht hier im Antiquariat. Hier starben keine Bücher! Hier lebten sie auf. Egal, was es zu bedeuten hatte: Es konnte nichts Gutes sein. Aber wenn sie Antworten finden wollte, gab es nur einen Ort, an dem sie danach suchen konnte." (S. 54)


Noch während Beatrice über die Veränderungen und möglichen Bedrohungen nachsinnt, macht ihr Quirinus ein Angebot, das sie bei allem Misstrauen einfach nicht ablehnen kann. Und wieder geht es tief hinein ins Buchland, in Areale, von denen Beatrice nicht zu träumen gewagt hätte - und doch ist alles von einer unheimlichen Atmospäre überzogen. Doch neben beängstigenden Begegnungen gibt es auch wieder herrliche Entdeckungen, wie beispielsweise die Geschichteneiche - mit Blättern aus Buchseiten, in denen sich die Strahlen der Sonne weiß relektieren.


"Es ist traurig, dass nicht jeder für diese Magie zugänglich ist. Manche Köpfe sind einfach zu stumpf. Phantasie sollte zum eigenständigen Unterrichtsfach erklärt werden. Weißt du, jedes Feuerwerk in deinem Kopf kann grandioser und farbenfroher sein als eines, das du im 3D-Kino siehst. Du musst dich nur darauf einlassen." (S. 123)


Einen Mangel an Phantasie kann man Markus Walther nun wirklich nicht vorwerfen. Wer wie Beatrice geglaubt hat, nach dem letzten Abenteuer das Buchland zu kennen, wird hier rasch eines Besseren belehrt. Doch neben all den phantastischen Elementen und den Geheimnissen, denen der Leser mit Beatrice auf den Grund zu gehen versucht, gibt es hier eine Vielzahl von philosophischen und moralischen Fragestellungen, mehr als einen Hauch von Mythologie und einen ganzen Strauß von Anspielungen, die man z.T sicher auch zu überlesen droht. Doch im Rahmen einer gemeinsamen Leserunde mit dem Autor wurden wir auf so manche Stelle hingewiesen, die zumindest für mich ansonsten verloren gegangen wäre.


"Seele? Ein großes Wort. Und eines, das sich nicht genau definieren lässt. Ein sehr ungenauer Begriff. Ist Seele der unsterbliche Teil eines Wesens? Ist es der Lebensfunke? Dann wäre es mögich, dass es ihn gar nicht gibt. Oder ist es Intelligenz und das Sich-Selbst-Bewusstsein? Die Fähigkeit zu fühlen oder die Fähigkeit zu lieben? Wie poetisch! Von allem was? Vielleicht. Vielleicht. Vielleicht ist es auch nur der Wille weiterzumachen. Lebenswille. Hoffnung. Hoffnung. Ja." (S. 217)



Von der Seele der Bücher und sonstiger, hm, Dinge, ist hier die Rede, von Trauer und Freude, von der Verwerflichkeit des Machbaren, vom Ursprung des Bösen und von dem, was man zum Überleben braucht - die Hoffnung. Der Glaube an Regenbögen im Dunkel.

Für mich einmal mehr ein ganz besonderes Buch aus der Feder von Markus Walther. Zweimal habe ich es gleich gelesen, denn ein einziges Lesen reichte mir nicht aus, um alles zu entdecken - und vermutlich reichen auch die beiden Male nicht. Mehr als ein Fantasybuch ist es in jedem Fall, denn wenn ein Roman es schafft, einen zum Lachen zu bringen und zu Tränen zu rühren, sich die Augen zuhalten zu wollen und zum Nachdenken bewegt - dann hat er viel erreicht. Und genauso ist es mir mit diesem Buch ergangen.

Ich wünsche dem Buch viele Leser, denn welcher Büchernarr mag nicht eintauchen in das wundersame Buchland? Von mir gibt es jedenfalls auch für diesen zweiten Band der Trilogie eine unbedingte Leseempfehlung!


© Parden



















Walther, MarkusDer Acabus Verlag schreibt über den Autor:

Markus Walther, geboren 1972 in Köln, lebt seit 2006 mit seiner Frau und zwei Töchtern in Rösrath. Als ausgebildeter Werbetechniker begeisterte er sich bald für die Schriftgestaltung und machte sich 1998 als Kalligraph selbstständig. Der Schwerpunkt seiner schriftstellerischen Arbeit liegt in der Gattung der Kurz- und Kürzestgeschichte. Die Gratwanderung zwischen Klischee und Pointe, Independent und Mainstream führt ihn seither quer durch sämtliche Genres der Bücherwelt.

übernommen vom Acabus Verlag

Dienstag, 22. November 2016

Bredemeyer, Mark: Runenzeit ... (2)

Krieg um Germanien
























Die Zeitreise geht weiter und um eine solche handelt es sich ja. Leon Hollenbeck aus Bremen, der im Teil 1 nach Germanien verschlagen wurde, einige Jahre vor der Schlacht im Teutoburger Wald, heiratet Frilike, die Tochter des Chaukenhäuptlings Ingimundi. Do bevor er seinen Sohn in die Arme schließen kann, wird er nach einem Kampf mit den Römern "zurück geschickt": Er ist der Gegenspieler des Bliksmani, seines eigenen Onkels Armin, welcher ebenfalls im ersten Jahrhundert gelandet ist. (Der Name kommt einem ja auf jeden Fall bekannt vor)

Die Pläne der Hagedisen, einer Gruppe von Zauberinnen, kennt er noch nicht. Schwer verletzt von einem römischen Speer landet er wieder "zu Hause" - unabsichtlich schwer verletzt von einer Spitzhacke, die der Kriminalkommissar Paulus handhabte, kehrt er, gemeinsam mit diesem Paulus zurück und begibt sich nach zwei Jahren auf die Suche nach Frau und Sohn. Findet er sie auf einer abenteuerlichen Schiffsreise durch das Mare Fricisum?





Doch wo ist Armin?
 
* * * 

Fantasy? Nun ja, eigentlich mag ich das weniger, zumal hier die erste Direktive der Sternenflotte gröblichst verletzt wird, denn der Gang der Geschichte wird durch die Handhabung moderner Gegenstände beeinflusst. Bliksmani, der Blitzschleuderer hat nämlich eine Kalaschnikow mit genommen. Deren Wirkung ist natürlich verheerend...

Trotzdem gelingt es Bredemeyer dem Leser auch auf solche Weise ein wenig Geschichte zu vermitteln, denn spannend ist die Reise des jungen Witandi (Leon) alle mal. Die Lebensweise der germanischen Stämme, zum Beispiel Ackerbau, Viezucht, Kampf und Krieg, ihre Kleidung, Nahrung, die verschiedenen Götter - all das wird sehr schön erzählt.

Daher kann ich, der ich die Geschichte enes unbekannten Kriegers der Chauken genauso gern gelesen hätte, es verschmerzen, dass Bredemeyer ein bisschen an James Tiberius erinnert, der seinen Scotty im 20. Century auch technisch "zaubern" lässt.

Das Buch hat ein paar interessante Anhänge erhalten, die uns die Orte, dei Stämme, die römische und germanische Götterwelt sowie historische Personen, aber auch irische und keltische Begriffe erläutern.



Der Kampf um Germanien also ist ebenso zu empfehlen wie Im Feuer der Chauken, dem ersten Teil von Runenzeit.

* * *

Die Geschichte passt zum Autor Mark Bredemeyer. Der 1971 in Bremen geborene Wirtschaftswissenschaftler und IT-Berater hat damit Zukunft und Vergangenheit, mit seiner „Leidenschaft für germanische Geschichte“ verbunden.



© Bücherjunge

Römische Trireme: Von F. Mitchell, Department of History, United States Military Academy - http://www.au.af.mil/au/awc/awcgate/gabrmetz/gabr0066.htm, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=62610


Montag, 21. November 2016

McEwan, Ian: Nussschale


Eine klassische Konstellation: der Vater, die Mutter und der Liebhaber. Und das Kind, vor dessen Augen sich das Drama entfaltet. Aber so, wie Ian McEwan sie erzählt, hat man diese elementare Geschichte noch nie gehört. Verblüffend, verstörend, fesselnd, philosophisch – eine literarische Tour de force von einem der größten Erzähler englischer Sprache.

(Klappentext: Diogenes Verlag)


  • Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
  • Verlag: Diogenes; Auflage: 1 (26. Oktober 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Bernhard Robben
  • ISBN-10: 3257069820
  • ISBN-13: 978-3257069822
  • Originaltitel: Nutshell












HAMLET! ODER SO...



Zugegeben, bislang hatte ich noch keine Begegnung mit einem Buch von Ian McEwan. Vorgenommen hatte ich es mir schon lange, aber irgendwie kam es nie dazu. Doch hier, bei seinem neuesten Werk, wurde ich neugierig. Und bereits auf den ersten Seiten wurde klar: das ist ein Roman für mich!

Worum es geht, ist rasch skizziert: Mann, Frau, Liebhaber. Einer zu viel. Der Stoff, aus dem große Dramen entstehen. Doch halt, so ganz neu ist der Stoff wohl nicht. Schon die Namen einiger Personen deuten in die Richtung, in der man suchen muss. Trudy heißt die Frau und Claude der Liebhaber - und wem hier Hamlet von Shakespeare in den Sinn kommt (die Königin Gertrude und Claudius, der Bruder und Mörder des Königs und späterer Gemahl von Gertrude), ist auf der richtigen Spur. Auch bei McEwan ist Claude der Bruder von Trudys Ehemann - und die beiden planen die Ermordung des werten Gatten.


"Er merkt nicht, wie ungeduldig sie darauf wartet, dass er wieder geht. Wie pervers die Verbannung ist, die sie ihm (...) auferlegt. Ist er denn wirklich ein so bereitwilliges Werkzeug seines eigenen Untergangs? (...) ein Riesennarr, der es für klug hält, seiner Frau jenen 'Raum' zu geben, den sie angeblich braucht." (S. 29)


Doch auch Shakespeare hatte seinerzeit so seine Quellen - die Geschichte selbst ist also noch viel älter. Mir hat die Entdeckung dieses Zusammenhangs einfach viel Freude gemacht. Wichtiger jedoch ist nun zu schauen, worin das Besondere in dem Werk von McEwan liegt.

Da wäre zunächst einmal die überaus ungewöhnliche Perspektive zu nennen, aus der die Geschichte erzählt wird. Eine wichtige, wenn nicht gar die wichtigste, Person wurde bislang nämlich noch nicht benannt. Trudy ist im neunten Monat schwanger - und das Ungeborene erzählt hier die Ereignisse um seine Mutter, seinen Vater und seinen Onkel, all die Abgründe menschlichen Lebens, eine Geschichte von Intrige und Verrat. Durch die besondere Situation sind dem Erzähler die Hände gebunden, so dass er nichts tun kann, um das geplante Verbrechen zu verhindern, was ihm zwischenzeitlich sehr zusetzt.

Wer jetzt stutzt angesichts der Erzählperspektive - ja, das Erleben hatte ich beim Lesen auch. Wie kann denn ein Ungeborenes derart allwissend sein, die Situation analysieren, Überlegungen anstellen? Und nicht nur das: es beschreibt sinnliche Erfahrungen wie den Geschmack des Weins, den seine verantwortungslose Mutter täglich in sich hineinschüttet, oder auch über das Erleben von Farben. Darüber hinaus philosophiert das Ungeborene immer wieder auch über die verschiedensten Themen fröhlich vor sich hin. McEwan selbst hat die Antwort parat: Radio, Fernsehen, Podcasts, alles aufgesogen in den neun Monaten seines Daseins im Bauch der Mutter. Natürlich ist das wenig realistisch, aber irgendwie doch unwiderstehlich albern. Und das Ungeborene ist in bester Erzähllaune, so viel sei hier verraten. Wenn es gelingt, diese Erzählperspektive einfach als gegeben hinzunehmen, ist das Lesen ein wahres Vergnügen...


"Nicht jedermann weiß, wie es ist, den Penis des Rivalen seines Vaters nur wenige Zentimeter vor der eigenen Nase zu haben. In diesem späten Stadium sollten sie sich mir zuliebe eigentlich zurückhalten (...) Jedes Mal, bei jedem Kolbenhub fürchte ich, er könnte durchstoßen, könnte meinen weichen Schädel aufspießen und meine Gedanken mit seiner Essenz besamen..." (S. 37)


Ian McEwan hat hier eine besondere Mischung geschaffen aus Drama, Krimi und Satire, gewürzt mit allerlei philosophischen Betrachtungen. Böser schwarzer Humor versüßt dabei selbst die düstersten Darstellungen. Und bei all dem ist zu merken, wie viel Vergnügen der Autor selbst beim Schreiben gehabt haben muss.

Manche Passagen hinsichtlich der Reflexion des Weltgeschehens oder über die Natur der Menschheit sind für meinen Geschmack ein wenig zu ausschweifend geraten. Ein wenig so, als hätte McEwan selbst noch ein Fläschchen Wein geöffnet und den Philosophen rausgeholt, um über Gott und die Welt zu schwadronieren. Da geriet die Handlung für mich zu sehr ins Stocken. Doch die Schreibkunst des Autors, seine subtilen Beobachtungen zwischenmenschlichen Handelns, die hier fein herausgearbeitet sind, versöhnten mich wieder mit diesen Abschweifungen.

Insgesamt jedenfalls fühlte ich mich von dem Roman bestens unterhalten und habe jetzt Lust bekommen, weitere Werke des Autors kennenzulernen!


© Parden







Auch das ZDF sieht einen Bezug zu Hamlet...



Ein Interview mit dem Autor zu 'Nutshell'








Ian McEwanDer Diogenes Verlag schreibt über den Autor:

Ian McEwan, geboren 1948 in Aldershot (Hampshire), lebt bei London. 1998 erhielt er für ›Amsterdam‹ den Booker-Preis und 1999 den Shakespeare-Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung für das Gesamtwerk. Sein Roman ›Abbitte‹ wurde zum Weltbestseller und mit Keira Knightley verfilmt. Er ist Mitglied der Royal Society of Literature, der Royal Society of Arts und der American Academy of Arts and Sciences.

übernommen vom Diogenes Verlag