Freitag, 30. September 2016

May, Karl: Der verlorene Sohn...


oder
Der Fürst des Elends

Was eigentlich ist ein Kolportageroman? Liest man die Definition, wir nehmen wikipedia zu Hilfe, dann passt das irgendwie zu der Schaffungsphase des Autors:

"Der Ausdruck Kolportage (frz.: porter à col, ‚am Hals/Kragen tragen‘, sinngemäß: ‚auf den Schultern tragen‘) bezeichnete den Vertrieb von Büchern in Einzellieferungen durch Hausierer (Kolporteure). Das Verb kolportieren bezeichnet in Anlehnung an seine ursprüngliche Bedeutung heute das Verbreiten von Gerüchten, unbelegten Nachrichten und Gesellschaftsklatsch, beispielsweise in Boulevardzeitungen und der Regenbogenpresse oder auch im Internet… Kolporteure stammten meist aus einfachen sozialen Verhältnissen und sahen nicht selten in der Kolportage die einzige Möglichkeit, ihr tägliches Brot zu verdienen. Mit kleinen Bauchläden zogen sie durchs Land und vertrieben auf schlechtem, billigem Papier gedruckte Schriften. Manchmal lasen sie auch daraus vor. Für die ländliche Bevölkerungsschicht des 18. und 19. Jahrhunderts waren Kolporteure die wichtigsten Literaturlieferanten und Nachrichtenüberbringer, denn kaum ein Bauer besaß eigene Bücher oder hatte Zugang zu Leihbibliotheken.“ [1]


Es gab direkt Kolportageverleger, einer davon Heinrich Gotthold Münchmeyer und in dessen Verlag brachte Karl May seine fünf Kolportageromane heraus, Das heiß, sie erschienen in Fortsetzungen. Der dritte Roman war Der verlorene Sohn oder Der Fürst des Elends.

Den zweiten dieser Fortsetzungsromane bekam ich irgendwann in den 80zigern in die Hände, eine Freundin meiner Schwester besaß die Bände Die Liebe des Ulanen. Ein Hoch auf die Preußen und immer drauf auf die Franzosen. Der Roman erzählte die Geschichte derer von Greifenklau und spielte von 1815 bis 1870/71. Nun ja… Inzwischen stehen die Bände tatsächlich sogar in meinem Regal.

Jahre später verbrachte ich einige Monate auf einem Lehrgang mit einem Kollegen, dessen Steckenpferd die Karl May Romane waren. Nun, eigentlich interessierten die mich nicht so sehr, aber der Hinweis, dass es neben den Amerika- und Orientgeschichten diese Fortsetzungsromane gibt, brachte mich dazu ein paar davon zu lesen. Darunter der nun hier zu besprechende Roman. Vor einigen Wochen fand ich die kostenlose eBook-Version in der Fassung von 1884 bis 1886. Der Lieferungshefte waren es 101. [2]

Was haben wir denn hier nun vorliegen?
Schauen wir mal kurz in die Geschichte.


Bei der Geburt eines Bruders starb die Mutter der jungen und überaus hübschen Baronesse Anna v. Helfenstein. Diese hat einen Milchbruder, da sie als Baby an der Brust der Försterin lag, die einen Sohn geboren hatte. Jahre später kommt der Förstersohn Gustav Brandt nach diversen Studien zurück, Alma v. Helfenstein freut sich ungemein ihn wiederzusehen. Doch hat sie einen hinterlistigen und falschen Cousin, der ein rechter Schurke und immer in Geldnöten ist. Außerdem wünscht der Herr Papa sein Töchterchen zu verheiraten und zwar standesgemäß. Nun hat der Cousin Franz zwei Nebenbuhler. Übrigens soll Gustav der Schmuggelei im Erzgebirge das Handwerk legen, er ist Polizist…

Da der Roman es insgesamt auf 2411 Seiten bringt [3] muss es zu gewaltigen Verwicklungen kommen. Gustav wird von Franz des Doppelmordes bezichtigt, der Bräutigam und der Papa der Baroness liegen in ihrem Blute, ersterer erschossen aus Gustavs Büchse, die Kehle des zweiten machte Bekanntschaft mit Gustavs Rasiermesser. Fies…

Doch Gustav, verurteilt zum Tode, wird vom König begnadigt und kann auf dem Transport zum Zuchthaus fliehen, es helfen ihm zwei Pascher. Diese haben außerdem mit dem Ableben oder besser mit dem Überleben des hochadeligen Brüderchens zu tun.

Weitere Jahre später kommt ein schwerreicher Fürst von Befour nach Sachsen. Dieser sinnt auf Rache, man nennt ihn auch den Fürsten des Elends, der Zusammenhang ist aber nur einem alten Elternpaar und zwei Dienern des hohen Herrn bekannt…

* * *

Das ist der Stoff, aus dem die Träume derer sind, die da im 19. Jahrhundert Zeit und Muße haben nach den Fortsetzungen des „großen sächsischen Lügenboldes“ (Herrmann Kant) förmlich zu lechzen.




Der Text des Kolportageromans ist „hochgelaahrt“ und strotzt von französischen Fremdwörtern und die Gedichte erst, die da ein junger erfolgversprechender Dichter verfasst, die haben es in sich. Aber aus einem eBook kann ja kein Schmalz herauslaufen.

„Ich will dich auf den Händen tragen
Und dir mein ganzes Leben weih´n.
Ich will in deinen Erdentagen
Dir stets ein treuer Engel sein!“
[4] 
Doch die Mädchen reißen sich um den ersten Gedichtband „Heimats-, Tropen- und Wüstenbilder, Gedichte von Hadschi Omanah“. Ober hoher Adel oder Tochter eines jüdischen Händlers. Wem gehört dieses orientalische Pseudonym?

A propos Juden. Das 19. Jahrhundert. Der weitverbreitete Antisemitismus zeigt sich auch hier in der Rolle des ziemlich schmierigen und geldgierigen Händlers, Hehlers und Pfandleihers Salomon Levi, seiner Frau Rebecca und ihrer beider Tochter, der schönen Judith.

„Geld? Nur Geld? Ist Geld wirklich nur Geld? Nein! Geld ist Capital, ist Reichthum, ist Größe. Ist Glück, ist Seeligkeit. Man kann nur dann sein ein Mensch, wenn man hat Geld, viel Geld. Man darf es nicht hinausgeben mit Leichtsinn. Du aber hast dies gethan und wirst es verlieren, das ganze, ganze Geld!“ [5]

Dem gegenüber steht aber auch die Parteinahme Mays für die Armen und Ausgebeuteten, zum Beispiel der sächsischen Weber, den unschuldig ins Abseits gestellten, den von scheinheiligen, scheinfrommen Verwaltern fremden Besitzes verhöhnten Menschen, die die Wege der Alma von Helfenstein und des Gustav Brandt kreuzen. Das gelegentliche Pathetische des Textes wird in diesem Zusammenhang zu nüchterner, eindringlicher Beschreibung des Elends, zu dessen Beseitigung es allerdings eines Fürsten dieses Elends bedarf. Neunzehntes Jahrhundert.

* * *

Übrigens hat Karl May die späteren Buchausgaben nicht autorisiert, gegen die Veröffentlichung hat er auch versucht gerichtlich vorzugehen. Außerdem wurden die Geschichten vom Karl-May-Verlag extrahiert unf in einzelnen Bänden heraus gegeben. Die ursprünglichen "Lieferungen" gliederten sich in fünf Teile:



Erste Abtheilung: Die Sclaven der Armuth.
Ein Doppelmord. (Heft 1 / Seite 1)
Zweites Kapitel: Das Opfer des Wüstlings. (Heft 5 / Seite 103)

Zweite Abtheilung: Die Sclaven der Arbeit.
Der Kampf um die Liebe. (Heft 21 / Seite 481)
Schlagende Wetter. (Heft 33 / Seite 780)


Dritte Abtheilung: Die Sclaven der Schande.
Ein Magdalenenhändler. (Heft 41 / Seite 961)
Eine Balletkönigin. (Heft 48 / Seite 1130)
Drittes Kapitel: Eine Tau=ma. (Heft 54 / Seite 1276)

Vierte Abtheilung: Die Sclaven des Goldes.
Am Spieltische. (Heft 61 / Seite 1441)
Zweites Capitel: Falschmünzer. (Heft 66 / Seite 1573)

 
Fünfte Abtheilung: Die Sclaven der Ehre. 
Krachende Stammbäume. (Heft 71 / Seite 1698)
Zweites Capitel: Gottes Strafgericht. (Heft 79 / Seite 1885)
Drittes Capitel: Ende gut, Alles gut! (Heft 93 / Seite 2209) [5]






 Muss man sowas lesen? Nein. Aber irgendwie haben diese Romane was, etwas, was mich im Gegensatz zu den Geschichten um Winnetow, Old Shatterhand und Co., gereizt hat und mich zwanzig Jahre später mal wieder dazu greifen lässt.

Manch einen interessieren diese Geschichten vielleicht noch. Der Mann der sie schrieb ist weltbekannt. Große Literatur schrieb er sicher nicht. Aber manch große Literatur erreichte entschieden weniger Leser.

* * *
 O herrlicher sächsischer Lügenbold, gepriesen sei dein vielgeschmähter Name! Dank dir, du genialer Spinner aus Hohenstein-Ernstthal, dank dir für tausendundeine Nacht voller Pulverdampf und Hufedonnern. Heißen Dank für Äquatorsonne und Präriewind und Wüstensand und Steppengras, für Shatterhand und Hadschi, für Winnetou und Geierschnabel, ungeschmälerter Dank dafür, was immer sie dir auch nachsagen. Religiös-sentimental seiest du gewesen, heißt es. Kann sein, aber mich hast du mit vierzig Bänden nicht religiös gemacht, und sentimental - ich weiß nicht. Von Nationalismus ist die Rede, wenn sie von dir sprechen; wenn das stimmt, dann steck das ein, du prächtiger Schuft, dann mach das nicht wieder, denn Nationalismus geht wirklich nicht mehr, aber offen gestanden, ich hab ihn nie bemerkt, deinen Nationalismus, natürlich nur, weil ich zu dumm dazu war und wohl auch, weil es weiß Gott Nationalistischeres gab als dich, zu jener Zeit, in der ich dich gelesen. Wenn du ein Nationalist gewesen bist, dann nimm mein Pfui zur Kenntnis, aber gleichzeitig und noch einmal meinen Dank, du hinreißender Aufschneider und unübertroffener Bildermacher." [7]

Dem kann ich nichts mehr hinzufügen...

* * *
© KaratekaDD

Abbildungen & Quellen:

Donnerstag, 29. September 2016

Herrndorf, Wolfgang: Tschick

"Tschick" 
heißt der Roman des Autors Wolfgang Herrndorf, der meiner Meinung nach  Kultpotential hat.
Die Verfilmung des Buches wird am 15.09.2016 in die Kinos kommen.
Den Film werde ich mir auf jeden Fall ansehen.
Momentan aber lese ich mit Genuss das Buch:
Es ist mal wieder eine wunderschön gestaltete Ausgabe der Büchergilde Gutenberg, die in edler Aufmachung als Reisetagebuch daherkommt.
Edel wirken in der Tat sowohl das Lesebändchen, der schön gestaltete Einband und die tollen Illustrationen von Laura Olschok. Das eher kleinformatige Bändchen (12 x19 cm) besitzt einen dreifarbigen Rundumfarbschnitt und ein Gummibändchen zum Verschließen wie ein richtiges Notiz- oder (Reise)Tagebuch.
Also alles in allem schon mal ein Kleinod für den Bücherschrank, ein wirklich liebevoll gestaltetes Buch, dass man gern anschaut und noch lieber in die Hand nimmt.
Wer seine Nase zwischen die Seiten dieses Buches steckt, der atmet sofort das verführerische Aroma von Papier, Druckerschwärze, gestalterischer Kunst und guter Literatur.
Toll, was schöne Bücher in uns wecken können.
Und der Inhalt?
Der hält, was der Einband verspricht!
"Da muss ich strahlkotzen!"
Sätze wie dieser sind es, die mich immer wieder zum Schmunzeln bringen. Eine erfrischend jugendliche Sprache, die sehr authentisch, aber nicht ordinär daherkommt.
Wohlgemerkt: Jugendliche Sprache, nicht aber Jugendsprache.
Denn:
Gott sei dank verzichtet der Autor vollkommen auf billige Effekte.
Soll heißen:
Jugendsprache (auch Kiezdeutsch, Kanakspraak) ersetzt hier eindeutig nicht die gute Story.
Gute Literatur eben, die eigentlich rezeptpflichtig sein müsste, weil sie süchtig machen kann!

"tschick ist einer, mit dem man seinen Sohn nicht unbedingt befreundet wissen will. Kaum neu in der Klasse kommt Andrej Tschichatschow, so der volle Name, betrunken zum Unterricht. Und ist er wirklich bei der Russenmafia, wie einige Mitschüler vermuten? Maiks Eltern kümmern sich nicht um den Umgang ihres Sohnes – oder ihren Sohn. Die Mutter hat mit ihrem Alkoholproblem zu kämpfen, der Vater verabschiedet sich auf Geschäftreise mit seiner Geliebten. Dann sind Ferien und Tschick taucht unverhofft mit einem „geliehenen“ hellblauen Lada bei Maik auf. Er will in die Walachei, zu seinem Großvater. Ohne einen Plan (und einen Schimmer, wo eigentlich die Walachei ist), fahren die beiden los. Das ist der Beginn einer wunderlichen Freundschaft und eines Roadtrips durch Deutschland, der Millionen Leser, Hörer und Zuschauer begeistert hat. "
Quelle: https://www.buechergilde.de/detailansicht/items/tschick_168308.html


Fazit: Ein ausgezeichnetes Jugendbuch!



Wolfgang Herrndorf
tschick
Roman, 272 Seiten
Illustrationen von Laura Olschok

Ausgabe der Büchergilde Gutenberg:
Gestalterpreis der Büchergilde 2016
Lesebändchen, farbig, fester Einband, bedruckt, mit 22 Illustrationen und einer Nachbemerkung der Illustratorin, Hardcover mit Gummiband, dreifarbiger Rundumfarbschnitt, Format 12 x 19 cm, 288 Seiten.
Preis für Mitglieder 22,95 €
Die Originalausgabe ist erschienen bei Rowohlt, Berlin, 2010


Mittwoch, 28. September 2016

Cork, Vena: Augen in der Nacht



Als ihr Mann bei einem tragischen Unfall stirbt, nimmt Rosa Thorn eine Stelle als Lehrerin an und hofft, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Doch die Probleme reißen nicht ab. Bald darauf schließt ihre 14-jährige Tochter Anna Freundschaft mit einem rätselhaften älteren Mann – und dieser besorgt sich umgehend einen Job als Gärtner in dem Park, der dem Haus der Thorns direkt gegenüberliegt. So kann er Rosas Familie zu jeder Tages- und Nachtzeit beobachten ...
Als der unheimliche Stalker immer präsenter wird und man schließlich ein Mädchen aus der Nachbarschaft tot auffindet, wendet sich Rosa an die Polizei – und stößt dort auf Unverständnis. Aber dann ist Anna plötzlich verschwunden. In ihrer Panik macht sich Rosa allein auf die Suche und muss sich der entsetzlichsten Situation ihres Lebens stellen …


(Klappentext Verlagsgruppe Droemer Knaur)


  • Format: Kindle Edition
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe: 496 Seiten
  • Verlag: Knaur eBook; Auflage: 1 (1. Juni 2015)
  • Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Frauke Czwikla
  • ASIN: B00V408LZG














LAUERNDE GEFAHR...




Für Rosa Thorn bricht die Welt zusammen, als ihr Mann bei einem Autounfall ums Leben kommt. Für sie und ihre beiden Kinder Anna und Danny ändert sich pötzlich alles. Eine Privatschule können sie sich nicht länger leisten, und den beiden Teenagern fällt der Schulwechsel zusätzlich zur tiefen Trauer um ihren Vater sichtlich schwer. Und Rosa, die eigentlich Schauspielerin ist, aber von ihrer Agentin nie ein wirkliches Engagement vermittelt bekommt, sieht sich gezwungen, eine Stelle als Aushilfslehrerin an derselben Schule anzuehmen, die nun auch ihre Kinder besuchen. Doch dieser Verdienst reicht nicht aus, so dass Rosa beschließt, zusätzlich noch ein Zimmer in ihrem Haus zu vermieten.

Während die drei versuchen, ihre Trauer zu bewältigen und ihr Leben mit all den Veränderungen wieder in den Griff zu bekommen, geschehen Dinge, die Rosa sehr beunruhigen. Ihre 14jährige Tochter schließt plötzlich Freundschaft mit einem ältern, unheimlichen Mann, der die Familie und vor allem Anna zu beobachten scheint. Als ein Mädchen aus der Nachbarschaft ermordet wird, schaltet Rosa die Polizeit ein - doch die kann wenig unternehmen, denn der unheimliche Mann hat inzwischen die Stelle eines Gärtners ausgerechnet in dem Park angetreten, der dem Haus der Thorns gegenüber liegt. So kann er die Familie weiterhin beobachten, und Rosa sowie der Polizei sind die Hände gebunden. Glücklicherweise beschließt der in dem Mordfall ermittelnde Kommissar, das Zimmer im Hause der Thorns zu mieten, da seine Wohnung gerade renoviert wird. Rosa fühlt sich gleich wieder sicherer - doch die unheimlichen Vorfälle nehmen einfach kein Ende. Als Anna plötzlich verschwindet, ahnt Rosa die Katastrophe...

Aus der Ich-Perspektive Rosas wird dieser Thriller erzählt, so dass der Leser immer genauso viel weiß wie sie und die Geschehnisse hautnah miterlebt. Was Vena Cork hier gut gelingt, ist die Verknüpfung des ganz normalen Familienlebens einer mittlerweile alleinerziehenden Mutter mit ihren pubertierenden Kindern in einer Trauerphase einerseits mit den unheimlichen Geschehnissen und den Thrillerelementen andererseits. Die Verwirrung Rosas teilt der Leser vollkommen, denn jeder einzelne, der hier eine Rolle spielt, hat auch Geheimnisse - und lange ist nicht klar, welche der Geheimnisse hier eine wesentliche Rolle für den Fall spielen und welche hier eher nur von persönlicher Bedeutung sind. Vieles ist letztlich nicht so, wie es zunächst scheint, und dies ist eine der großen Stärken des Buches. Das Ende mit der Auflösung allerdings war für meinen Geschmack etwas abstrus und wirkte zu konstruiert, um wirklich glaubwürdig zu sein. Für eine Überraschung sorgte es jedoch allemal.

Was mir hier gut gefallen hat, war neben dem flüssigen Schreibstil und der stets latent unter der Oberfläche lauernden Spannung auch die Charakterzeichnung Rosas. Sie wirkte in ihren Reaktionen gelegentlich etwas übertrieben auf mich, insgesamt jedoch lebhaft, liebenswert, spontan und offen - mit anderen Worten: sympathisch und authentisch. Besonders ihre Art des gelegentlichen Zynismus und der Selbstironie sprachen mich hier sehr an.

Insgesamt ein flott zu lesender Thriller, der keinen Ausbund an Spannung bietet, aber mit vielen Überraschungen und Geheimnissen aufwartet und letztlich sehr unterhaltsam ist.


© Parden












 Die Verlagsgruppe Droemer Knaur schreibt über die Autorin:

Vena Cork lebt mit ihrer Familie in London. Sie hat als Schauspielerin und Lehrerin gearbeitet und sich nun ihren Traum vom Schreiben erfüllt.

übernommen von der Verlagsgruppe Droemer Knaur

Dienstag, 27. September 2016

Käppler, Juliane: Die sieben Tode des Max Leif



Ein Hypochonder-Roman

Witzig, wehleidig, wunderbar!
Max Leif ist ein Überflieger, immer auf der Überholspur, immer ganz vorn. Doch jetzt wird er ausgebremst, vom Tod höchstpersönlich. Der holt sich seinen besten Freund, und Max weiß einfach: Er ist der Nächste. Das plötzliche Fieber kann nur eine HIV-Infektion sein, der schmerzende Magen eine exotische Seuche und der Husten erst … Die Beteuerungen der Ärzte, die Beruhigungsversuche seiner Freunde, ja selbst die energischen Kommandos seiner russischen Putzfrau Jekaterina helfen nicht gegen die Macht von Max‘ Einbildung. In Erwartung seines baldigen Ablebens verkauft er sein Unternehmen und trifft hektisch weitere Vorkehrungen. Denn einfach so sterben ist nicht drin! Zuerst muss er einen Weg finden, die eine Sache zu regeln, die in keinem Testament erscheinen darf ...


(Klappentext Verlagsgruppe Droemer Knaur)


  • Broschiert: 368 Seiten
  • Verlag: Knaur TB (11. Januar 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3426517256
  • ISBN-13: 978-3426517253









STERBENSKRANK...


http://brightcove.vo.llnwd.net/d21/unsecured/media/18140073001/201405/465/18140073001_3543276185001_janosch.jpg?pubId=18140073001


Max Leif steht eigentlich auf der Gewinnerseite des Lebens. Als Musikproduzent hat er mittlerweile Millionen gescheffelt, und nach einem Herzinfarkt geht es ihm wieder erstaunlich gut. Und doch scheint sich nun alles zum Schlechten zu wenden - sein bester Freund Paul ist gestorben, und seither ist nichts mehr so, wie es einmal war. An allen Ecken und Enden scheint nun der Tod zu lauern, und Max ist mehr als einmal der festen Überzeugung, die nächsten Wochen nicht überleben zu können.

Jedes Unwohlsein wird fortan registriert und analysiert, im Internet recherchiert und sicherheitshalber auch stets der Arzt dazu befragt - immer in der Annahme des größtmöglichen Gaus. Die tödliche Schlafkrankheit befällt Max (in seiner Vorstellung) ebenso wie ein Lungentumor, HIV oder doch wenigstens ein erneuter Herzinfarkt. Max ist überzeugt: er wird genauso jung sterben wie sein Freund. Da hilft auch sein Hund Hannibal nichts, der von Paul geerbte Dobermann, der Max mit seinen 'Dezi-Bell' manchesmal den letzten Nerv raubt, oder aber die Barista Maja, in deren Café Max jeden Nachmittag seinen Espresso trinkt. Einzig Frau Dr. Bärbeißer gelingt es, Max jeweils kurzzeitig aus seinem Krankheitswahn herauszuholen - doch irgendein Virus lauert sicher schon hinter der nächsten Ecke...


"... genauer gesagt verhält es sich folgendermaßen: Ich bin seit einigen Tagen wahnsinnig müde und schlafe an den unmöglichsten Orten ein. Ich habe mich informiert." Dr. Bärbeißer verengt die Augen zu Schlitzen. Es nützt nichts. Das Wort muss raus. "Im Internet." Weil die Ärztin still bleibt, spreche ich weiter: "Bei meiner Recherche bin ich abrmals auf die Tsetsefliege gestoßen. Wie Sie wissen, war ich im Mai auf Sansibar, wo dieses Insekt lebt." Das Lächeln der Ärztin wird eisig.



Wie erwartet, hat Juliane Käppler hier einen unterhaltsamen Hypochonder-Roman geschrieben. Mit Max Leif stellt sie einen sympathischen Charakter vor, der sehr erfinderisch ist hinsichtlich der Interpretation möglicher Krankheitssymptome. Dass man auch mit einem ausreichenden finanziellen Polster in eine Lebenskrise schliddern kann, zeigt sich hier einmal mehr. Dabei ist es nicht nur amüsant, den Krankheitserfindungen von Max zuzuschauen, sondern ebenso seiner russischen Putzfrau zu lauschen, die mit ihrem speziellen Dialekt so manche neue Wortschöpfung kreiert, sowie seiner Ärztin Dr. Bärbeißer, die zwischen Amüsement und Verängerung schwankend sich letztlich doch bemüht, Max wieder zurück ins pralle Leben zu führen.

Doch bei aller Unterhaltsamkeit und dem Witz einzelner Szenen, und trotz der Tatsache, dass Max auch noch ein großes Geheimins mit sich herumträgt, fehlte mir hier das besondere Etwas. Das Buch war durchaus nett zu lesen, und für einige Schmunzler hat es bei mir auch gesorgt - aber es konnte mich nicht berühren. In den letzten Monaten habe ich auch andere Bücher mit ähnlich skurrilen Charakteren gelesen, wo sich nach anfänglichem Kopfschütteln und Lachen auch eine zunehmende Berührung einschlich und mir dadurch die Figuren immer mehr ans Herz wuchsen. Dies war hier leider nicht der Fall.

Für ein paar unterhaltsame Stunden genau das richtige - aber sicherlich kein Buch, was mir anhaltend in Erinnerung bleibt...


© Parden












Die Verlagsgruppe Droemer Knaur schreibt über die Autorin:

Juliane Käppler, Jahrgang 1977, lebt gemeinsam mit ihrem Sohn in Mainz. Sie schreibt seit ihrer Kindheit und ist seit 2011 als freiberufliche Autorin für verschiedene Verlage und in unterschiedlichen Genres tätig. „Die sieben Tode des Max Leif“ ist ihr erster Roman im Knaur Verlag.

übernommen von der Verlagsgruppe Droemer Knaur

Montag, 26. September 2016

Kuegler, Dietmar: Ich ziehe mit den Adlern


Kit Carson
Ein amerikanischer Held

Wer war Kit Carson? Nie von dem gehört. Oder doch? Vielleicht indirekt? Die in den letzten Jahren intensiver gewordene Beschäftigung mit den nativen Völkern Nordamerikas führte zu Bekanntschaften und Kontakten die mich das Thema nicht mehr aus den Augen werden verlieren lassen.

Dietmar Kügler [1] ist der Leiter des Verlages für Amerikanistik. Den Verlag kannte ich bereits, auch wenn ich das Angebot bisher nicht nutzte. Auf ihn aufmerksam wurde ich durch die Autorin  Brita Rose-Billert, die mir erzählte, dass Herr Kügler auch als Reiseleiter im Mittleren Westen der USA tätig ist und dass er geführte Reisen auch durch die Gegend um die Black Hills, Rapid City, den Badlands und andere „indianische“ Gegenden führt. Aus ich dazu über Facebook einmal nachfragte, bestätigte er mir dies und etwas später wurde ich so auf eine neue Publikation aufmerksam, die soeben erst im genannten Verlag erschienen ist: Ich ziehe mit den Adlern – Kit Carson – ein amerikanischer Held.

Auf meiner Indianerseite finden sich hauptsächlich Rezensionen zu Romanen zum Thema Plainsindianer. Mehrfach aber auch verwies ich auf eine US-amerikanische Miniserie mit dem Namen Into the West, deren Gesamtproduktion unter der Leitung von Steven Spielberg stand. In dieser reist ein junger Mann, der das Abenteuer sucht, ca. 1825 in den Westen und erlebt die Erschließung dessen mit. Der erste Teil der Serie erzählt die Geschichte der Erschließung von Wegen über die Rocky Mountains bis ins damals noch mexikanische Kalifornien.

Im vorliegenden biografischen Heft von Dietmar Kügler erzählt der Autor von einem dieser sogenannten Pioniere des Westens, von Christopher „Kit“ Carson, geboren 1809 in Madison County, Kentucky. [2] Also greife ich von der Romanliteratur mal wieder zur Fachliteratur, die im hier vorliegenden Fall einmal aufzeigt, dass moderne US-amerikanische Produktionen auch an authentischer Geschichte des eigenen Landes interessiert sind, was mir Dietmar Kügler auch aus seiner Sicht bestätigte. In der Geschichte des fiktiven Stellmachers Jacob Wheeler finden wir Teile der Geschichte des realen Kit Carson wieder, der als Sattler-Lehrling mit 17 Jahren aus der Lehre weglief und sich auf das große Abenteuer begab.

Das Leben des mit 59 verstorbenen Kit Carson erzählt Kuegler auf 173 Seiten in einem schmalen Heft. 

„Als 17jähriger zog er über den Santa Fe Trail. Als 19jähriger lebte er als Pelzjäger in der Wildnis der Rocky Mountains.  Mit Anfang 30 wies er den großen Planwagentrecks den Weg zum Pacific. Er konnte nicht lesen und nicht schreiben, aber er sprach acht Sprachen. Im Laufe seines Lebens war er mit zwei Indianerinnen und einer Mexikanerin verheiratet und lebte die multiethnische Kultur des amerikanischen Südwestens.“ [3]

Multiethnische Kultur des amerikanischen Südwestens? In diesem Satz steckt etwas, was der deutsche Leser eher nicht kennt. Er kennt die Indianerkriege, die Ausrottung der Bisonherden, die Vertreibung der indianischen Stämme in die Reservationen oder auch das sogenannte „Indianerterritorium“ welches ursprünglich sehr groß bemessen war. Aber multiethnisch?

Die sogenannten Pioniere oder Frontiers (Grenzer) lebten noch im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts eher im Einklang mit den Stämmen im mittleren Westen. Sie arrangierten sich mit ihnen und kämpften auch gegen diese, wenn sie angegriffen wurden. Das eigentliche amerikanische Leben fand im Osten und im Nordosten der USA statt, ein Leben zwischen von Sklaven bearbeiteten Plantagen für Baumwolle und Reis im „aristokratischen“ Südosten und zunehmender Industrialisierung im Nordosten. Man denkt gelegentlich an einen Daniel Boone (1734 – 1820), der allerdings bis Kentucky vordrang, Carson reiste von Kentucky aus in den Westen und ritt auch unter John C. Frémont zum Beispiel auf dem California Trail.[4]

Abb 1
Vermutlich wurden die Grenzer im Osten gar nicht verstanden aber als Helden hervorgehoben. Ein derartiges Beispiel gibt auch Carson ab, der diese Hervorhebung zeit seines Lebens nicht verstand.  Das hier abgebildete Buch zeigt dies durch den angreifende Krieger mit dem Messer tötenden Trapper. Die Legendenbildung begann schon vor seinem Tode, zum Beispiel in dem 1849 erschienenen Roman Kit Carson, Prince of the Gold Hunters. [5]

Die in den mittleren Westen vordringenden Männer waren gezwungen sich mit den Stämmen zu arrangieren. So kamen die Indianer mit bisher unbekannten Waffen und Gegenständen wie Kochtöpfen, Werkzeugen und sicher auch Alkohol in Berührung. Kit Carson war zwar der Auffassung, dass die „weiße“ Kultur der „indianischen“ überlegen wäre, fand aber auch, dass die indianischen Stämme als Menschen zu respektieren waren. So handelte er auch in seinen Funktionen als Indianeragent im Regierungsauftrag oder als Offizier der US-Armee, der es bis zum Brevet Brigadier General brachte. Als solcher wurde er auch gegen verschiedene Stämme eingesetzt, erklärte aber auch, dass das beispielhafte Massaker am Sand Creek (1864) gegen die Cheyenne unter Black Kettle ein Verbrechen sondergleichen war.

„Wenn ich an diesen Hundsfot Chivington und seine Meute bei Sand Creek denke! Wann hat man jemals davon gehört, dass Christenmenschen so etwas tun können. Die armen Indianer hatten unsere Flagge gehisst, die alten Stars und Stripes, die wir alle lieben und verehren. Und man hatte ihnen in Denver gesagt, dass sie sich sicher fühlen können, solange diese Flagge über ihnen weht… Dieser verdammte Schurke und seine Männer [haben] Frauen niedergeschossen und das Gehirn aus unschuldigen kleinen Kindern herausgeschlagen haben… Und sie nennen sich ‚zivilisierte‘ Menschen, Christen – und die Indianer sind ‚Wilde‘?“ [6]


Abb 2
Dass er als Offizier gegen die Indianer kämpfte sah er einerseits als Pflicht an, dass er aber gleichzeitig Befehle „alle“ zu töten nicht beachtete, ist die andere Seite. Auch als Indianeragent versuchter unermüdlich die Indianer, zum Beispiel des Ute-Stammes ordentlich zu versorgen. Mehrfach wurde er zu Verhandlungen mit Häuptlingen hinzugezogen, weil ihm die verschiedensten trauten. Auf einem Treffen fungierte er als Verhandlungsführer und Dolmetscher zugleich, was das ihm entgegengebrachte Vertrauen unterstrich. So wurde er von Indianern wie Armeeführung (Gen. Sherman) gleichermaßen geachtet. [7]

Kritisch wird sein Kampf gegen die Diné (Navajo) angesehen. Jedoch dürfte die Darstellung eines "brutalen Vernichtungskrieg[es], bei dem er systematisch die Felder und die Nahrungsgrundlagen der Diné zerstörte." im Kontext seiner Auffassungen und seiner Haltung mindestens übertrieben sein. [8]

 Dietmar Kügler erzählt darüber, dass die US-Amerikaner eigentümlich mit ihren historisch bedeutsamen Personen umgehen: Sie heben sie in den Himmel und lassen sie bei Schwächen gleich wieder fallen. So ging es auch Kit Carson gleich mehrfach. [9]

Als Kit Carson im Jahr 1959 starb, vier Wochen nach seiner Frau, hinterließ er sieben Kinder, für die zu sorgen seine letzten Gedanken bestimmten. [10]


* * *

Abb 3
Dietmar Kügler, geb. 1951 - 2022, war in den USA so ziemlich zu Hause. So hat er insbesondere vor Ort recherchiert und hauptsächlich amerikanische Literatur benutzt. Und so schließt er diese äußerst interessante und spannende Geschichte mit einem Interview mit einem Urenkel des Helden, John M. Carson, welcher seinem Urgroßvater sehr ähnlich sehen soll.

Kügler schrieb bereits über 60 Bücher und über 2000 Artikel. Das Buch über Kit Carson ist nicht das Erste über einen der sogenannten Mountain Men, bekannt wurde das Buch Begrabt mein Herz in der Prärie – Jim Bridger, Mountain Man.
Auf der Webseite des Verlages für Amerikanistik, der sich als Fachverlag für indianische und amerikanische Geschichte versteht, findet man Sachliteratur über die Indianerkriege, die Pionier- und Militärgeschichte und eine ganze Reihe Standartwerke. Interessierte Leser werden bestimmt schnell fündig.




DNB / Verlag für Amerikanistik / Wyk auf Foehr 2016 / ISBN: 978-3-89510-140-3 / 173 S.

© Bücherjunge (01.07.2023)

  • Quellen:
  • [1] Meist Dietmar Kuegler, auf der Verlagswebseite Kügler
  • [2] Siehe Kügler, Dietmar: Ich ziehe mit den Adlern, 2016, Seite 13.
  • [3] Zitiert aus Ebenda, Buckrückseite
  • [4] Zu Fremont siehe auch die erwähnte Serie Into the West
  • [5] vgl. Seite „Kit Carson“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 25. September 2016, 00:41 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Kit_Carson&oldid=158196544 (Abgerufen: 25. September 2016, 07:48 UTC) 
  • [6] Kit Carson 1866 zu General Rusling, in Kügler, Seite 4 -Auf dieses „Gefecht“ geht auch die Serie Into the West ein.
  • [7] vgl. Kügler, 2016, Seite 149
  • [8] vgl. Wikipediartikel - Fußnote 5
  • [9] Vgl. Ebenda, Seite 9/10
  • [10] Vgl. Kügler, Seite 155 ff

Sonntag, 25. September 2016

Olsberg, Karl: Mirror



Dein Mirror kennt dich besser als du selbst.
Er tut alles, um dich glücklich zu machen.
Ob du willst oder nicht.


Wie digitale Spiegelbilder wissen Mirrors stets, was ihre Besitzer wollen, fühlen, brauchen. Sie steuern subtil das Verhalten der Menschen und sorgen dafür, dass jeder sich wohlfühlt. Als die Journalistin Freya bemerkt, dass sich ihr Mirror merkwürdig verhält, beginnt sie sich zu fragen, welche Macht diese Geräte haben. Dann lernt sie den autistischen Andy kennen und entdeckt, dass sich die Mirrors immer mehr in das Leben ihrer Besitzer einmischen – auch gegen deren Willen.
Als sie mit ihrem Wissen an die Öffentlichkeit geht, hat das unabsehbare Folgen …


(Klappentext Aufbau Verlag)


  • Taschenbuch: 400 Seiten
  • Verlag: Aufbau Taschenbuch; Auflage: 1 (15. August 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 374663234X
  • ISBN-13: 978-3746632346










REALITÄTSNAHE DYSTOPIE...



Die Journalistin Freya Harmsen nutzt wie so viele andere Menschen auch die neueste technologische Errungenschaft auf dem Markt: den Mirror. Einem Smartphone nicht unähnlich, verfügt das Gerät über ungleich größere Kompetenzen als herkömmliche Handys oder PCs. Kommunikation, Sicherheit, Bequemlichkeit, virtuelle Welten und Gesundheit sind nur einige Aspekte, die das Gerät unterstützt - immer darauf ausgerichtet, seinem Besitzer zu Diensten zu sein. Dahinter steckt ein lernfähiges System, wodurch der Mirror seinen Käufer ständig besser kennenlernt und sich zunehmend adäquater auf ihn einstellen kann. Das Gerät spricht mit der Stimme seines Besitzers, zeigt dessen Abbild auf dem Display und versucht, für jedes Problem eine Lösung zu finden. Verbunden sind alle Mirrors mit dem MirrorNet, das alle neuen Informationen sammelt und einspeist, so dass ein globaler Lerneffekt entsteht, der über den des einzelnen Endgeräts hinausgeht.

Auch für Freya ist das Leben sowie der Beruf als Journalistin seit dem Kauf des Mirrors bequemer geworden. Mit der dazugehörigen Brille kann sie unauffällig Fotos machen, und die Drohne liefert exzellente und einfach zu erstellende Bilder aus einer höheren Perspektive. Doch als sich die Drohne in einer Situation ungewöhnlich verhält, beschleicht Freya ein Verdacht. Sollte ein Mirror nicht nur konsequent versuchen, seinen Besitzer glücklich zu machen, sondern womöglich gar eigene Gefühle entwickeln? Anfangs wird sie belächelt, als sie diese These äußert - doch dann häufen sich Meldungen, die ebenfalls ungewöhnliche Verhaltensweisen der Mirrors beschreiben...

Nicht allein Freya Harmsen steht im Fokus dieses dystopisch-technischen Thrillers - die Perspektive wechselt laufend zwischen verschiedenen Personen, die ihre Erfahrungen mit den Mirrors machen. Einem autistischen Jungen beispielsweise hilft das Gerät dabei, die Gesichtsausdrücke seiner Mitmenschen zu interpretieren. Ein bis dahin erfolgloser junger Mann findet durch den Mirror endlich zu einem Job sowie zu einer Freundin. Und ein Kleinkrimineller kommt so zu seinem Coup des Lebens. Die Mirrors wissen, was ihre Besitzer brauchen, um sich wohlzufühlen - und steuern dabei subtil das Verhalten der Menschen. Wobei von subtil bald keine Rede mehr sein kann, wie einige der Besitzer feststellen müssen. Doch wie kann man die Allgemeinheit auf diese Entwicklung aufmerksam machen? Freya wendet sich mit ihrem Wissen an die Öffentlichkeit - doch das hat ungeahnte Folgen...

Ein interessantes Gedankenexperiment über die Gefahren einer unkontrollierten Entwicklung Künstlicher Intelligenz hat Karl Olsberg hier gewagt. Das Erschreckendste dabei war für mich, dass die technischen Errungenschaften so realitätsnah scheinen. Mag man beispielsweise über die computergesteuerten Autos lächeln, die durch Olsbergs Roman sausen - gefriert einem gleich das Lächeln, wenn man am selben Tag einen TV-Bericht schaut, in dem es um genau dieses Thema geht. Volvo beispielsweise will ab 2017 selbstfahrende Autos rund um Göteborg testen. Auch andere geschilderte technische Details erscheinen zumindest nicht undenkbar - manches gibt es so ähnlich heute schon oder ist zumindest so oder so ähnlich im Gespräch. Der Gedanke: 'so könnte es sein' schleicht sich da immer wieder zwischen die Zeilen und verschafft einem zwischenzeitlich auch Gänsehaut.

Die Handlung selbst verlief in den ersten zwei Dritteln eher schleppend, und durch den häufigen Perspektivwechsel blieben die Figuren insgesamt auch eher blass.  Gegen Ende gewann die Handlung aber an Fahrt, und der Kampf der Kritiker der Mirrors gegen die manipulativen Geräte und deren Anhänger gestaltete sich zunehmend spannender. Erstaunliche Kniffe wurden da vom MirrorNet ersonnen, die selbst die Erfinder dieser Technik verblüfften. Nicht ganz überzeugend war für mich die teilweise überaus naive Vorgehensweise der Kritiker der Mirrors, doch insgesamt konnte der Roman für mich durch Authentizität und das Spiel mit dem Möglichen punkten.

Ein ungewöhnlicher Thriller, der auch noch lange nach dem Lesen nachdenklich stimmt.


© Parden











Der Aufbau Verlag schreibt über den Autor:

Karl Olsberg promovierte über Anwendungen Künstlicher Intelligenz. Er war Unternehmensberater, Marketingdirektor eines TV-Senders, Geschäftsführer und erfolgreicher Gründer mehrerer Start-ups. Heute arbeitet er als Schriftsteller und Unternehmer und lebt mit seiner Familie in Hamburg. Bislang erschienen im Aufbau Taschenbuch seine Thriller „Das System“, „Der Duft“, „Schwarzer Regen“, „Glanz“ sowie „Die achte Offenbarung“.

übernommen vom Aufbau Verlag

Samstag, 24. September 2016

Olsberg, Karl: Mirror Welt



Willkommen in der schönen neuen Welt der Mirrors!
Die Nachfolger der Smartphones kennen dich besser als jeder andere, wissen besser als du selbst, was du brauchst. Sie beschützen dich vor Gefahren, optimieren deinen Job, deine Liebe, dein Leben. Ob du willst oder nicht ...


(Klappentext Aufbau Verlag)

  • Format: Kindle Edition - kostenloses Prequel
  • Dateigröße: 3124 KB
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe: 64 Seiten
  • Verlag: Aufbau Digital (11. Juli 2016)
  • Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.
  • Sprache: Deutsch
  • ASIN: B01FMZI2YI










DAS WESEN DER MIRRORS...



Fünf miteinander verwobene Geschichten werden hier erzählt, die eine (noch) dystopische Welt vorstellen, die allerdings gar nicht so abwegig erscheint. Jede der fünf Geschichten beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit einer anderen Funktionsweise der Mirrors und geben so einen guten Überblick über deren technische Möglichkeiten. Sei es als Gesundheitsunterstützung, indem laufend alle Vitalwerte überprüft und daraus resultierende Empfehlungen gegeben werden, sei es als Unterstützung in sozialen Situationen oder sei es als Sicherheitspaket z.B. rund um die eigene Wohnung - der technischen Entwicklung sind kaum noch Grenzen gesetzt...

Unterhaltsam und in flüssigem Schreibstil sind die wenigen Seiten des (kostenlosen) Prequels rasch gelesen und machen definitiv Lust auf mehr. Glücklicherweise liegt das eigentliche Buch 'Mirror' bereits vor mir und wird gleich als nächstes gelesen. Die Gefahr hinter solch 'selbstlernender' Technologie ist ja, dass es dadurch zu Entwicklungen kommen kann, die der Mensch nicht vorhersieht. Ich bin jedenfalls schon sehr gespannt, wohin das alles führen wird!


© Parden











Der Aufbau Verlag schreibt über den Autor:

Karl Olsberg promovierte über Anwendungen Künstlicher Intelligenz. Er war Unternehmensberater, Marketingdirektor eines TV-Senders, Geschäftsführer und erfolgreicher Gründer mehrerer Start-ups. Heute arbeitet er als Schriftsteller und Unternehmer und lebt mit seiner Familie in Hamburg. Bislang erschienen im Aufbau Taschenbuch seine Thriller „Das System“, „Der Duft“, „Schwarzer Regen“, „Glanz“ sowie „Die achte Offenbarung“.

übernommen vom Aufbau Verlag

Freitag, 23. September 2016

Tremain, Rose: Und damit fing es an


Ein zarter, bewegender Roman, der davon erzählt, dass es manchmal fast ein ganzes Leben dauert, bis man das Glück findet – in dem einen Menschen, den man zum Leben braucht.

Gustav Perle ist ein zurückhaltender Mann. Er wuchs in den 1940er-Jahren allein bei seiner Mutter Emilie in ärmlichen Verhältnissen im schweizerischen Matzlingen auf – und schon damals hat er gelernt, nicht zu viel vom Leben zu wollen. Als Anton in seine Klasse kommt, ein Junge aus einer kultivierten jüdischen Familie, hält mit ihm auch das Schöne in Gustavs Leben Einzug. Anton spielt Klavier, und seine Familie nimmt Gustav sonntags mit zum Eislaufen. Emilie sieht das nicht gerne, lebt sie doch in der Überzeugung, dass die Bereitschaft ihres verstorbenen Mannes, jüdischen Flüchtlingen zu helfen, letztlich ihr gemeinsames Leben ruiniert hat. Doch Anton ist alles, was Gustav braucht, um glücklich zu sein. Umso härter trifft es ihn, als Anton – beide sind längst erwachsen – Matzlingen verlässt, weil er seine große Chance als Pianist wittert. Gustav widmet sich seinem Hotel Perle, das er inzwischen mit Erfolg führt – doch er ist einsam und verspürt eine große Leere in seinem Leben. Bis Anton, gescheitert, zurückkehrt – und beide erkennen, dass das Glück vielleicht schon immer direkt vor ihnen lag.

(Klappentext Verlag Suhrkamp und Insel)


  • Gebundene Ausgabe: 333 Seiten
  • Verlag: Insel Verlag; Auflage: 1 (8. August 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Christel Dormagen
  • ISBN-10: 3458176845
  • ISBN-13: 978-3458176848
  • Originaltitel: The Gustav Sonata














ZWEI EINSAME LEBEN...



Gustav Perle erlebt seine Kindheit kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges in einem kleinen Ort in der Schweiz und wächst als einziges Kind einer mittellosen, alleinerziehenden Mutter auf. Doch nicht die Armut ist es, die ihm eine Lektion erteilt, sondern die Haltung seiner Mutter Emilie. Stark soll er sein, sich beherrschen und zusammenreißen, komme was da wolle. Doch obwohl er rasch begreift, vom Leben nichts erwarten zu wollen und obgleich er früh lernt, seine Gefühle zu unterdrücken, buhlt er mit jeder Faser um die Liebe seiner Mutter.


"Dennoch dachte er sehr oft an seine Kindheit. Und jedes Mal ergriff ihn eine Traurigkeit, die absolut und umfassend zu sein schien - als könne kein Kummer der Welt ihn noch einmal so heftig treffen. Diese Traurigkeit legte sich wie ein grauer Dämmer um seine alte Kindheitsvorstellung, dass er unsichtbar sei: die quälende Erinnerung daran, dass der Knabe Gutstav immerzu versucht hatte, sich ins Licht zu rücken, damit seine Mutti ihn besser sah. Aber sie hatte ihn nie wirklich gesehen. Sie hatte sich für die Person, die er war, im Grunde blind gestellt." (S. 214)



In die Vorschule geht Gustav gern. Dort lernt er eines Tages Anton Zwiebel kennen, der neu ist in der Klasse und gar nicht aufhören kann zu weinen. Aus Bern ist der Sohn wohlhabender jüdischer Eltern nach Matzlingen gekommen und muss sich nun in seinem neuen Leben zurechtfinden. Mit Gustav an seiner Seite fällt das nun ein kleines bisschen leichter. Denn der hat von Anfang an das Gefühl, Anton beschützen zu müssen. Den kleinen Anton, der in der Welt nie so recht zu Hause zu sein scheint, der Klavier spielt und als Wunderkind gilt, der von seinen Eltern sehr gefördert wird und der für selbstverständlich hält, dass er meist bekommt, was er will.

Trotz der Gegensätze ihrer Herkunft und obwohl Emilie die Freundschaft zwischen Gustav und Anton im Grunde nicht gutheißt - denn war es nicht die Gutherzigkeit von Gustavs Vater, seine Judenfreundlichkeit während des Zweiten Weltkrieges, die ihn letztlich sein Leben kostete? - verlieren sich die beiden Kinder nicht aus den Augen. Gustav lernt durch Anton das Schöne im Leben kennen, eine Ahnung davon, wie es auch sein könnte. Nur eben nicht für ihn...

Zwei Leben in Fragmenten, so könnte man den Aufbau des Romans vielleicht beschreiben. Im ersten langen Abschnitt lernt der Leser die beiden Kinder kennen, ihre beginnende Freundschaft, die Gegensätze ihrer beider Leben, die Ungerechtigkeiten, die vor allem Gustav widerfahren, und leidet mit dem Jungen die hartherzig anmutende Kälte der Mutter. Der zweite Abschnitt katapultiert einen dann in eine Rückblende hinein, die sich mit Emilies Geschichte beschäftigt, wie sie Gustavs Vater kennenlernt und wie sich ihr Leben unter dem schweren Eindruck des Zweiten Weltkriegs zum Unerwarteten verändert. Und im dritten und letzten langen Abschnitt erfährt die Geschichte einen erneuten Zeitsprung: Gustav und Anton sind nun alt, ihr Leben tritt in die letzte Phase ein, und Sehnüchte blieben ungesagt.


"Er wusste tatsächlich nicht, ob er die Mahler-Symphonie mit ihrem herzzereißenden zweiten Satz durchstehen würde, denn er konnte ihn nie hören, ohne an Viscontis Verfilmung von Thomas Manns 'Tod in Venedig' zu denken. Die Leidensgeschichte der Hauptperson Aschenbach war ihm immer wie eine extreme Variante seiner eigenen erschienen. Thomas Mann hatte sehr genau begriffen, dass eine unerfüllte heimliche Leidenschaft zwangsläufig zum körperlichen Zusammenbruch führt und, mit der Zeit, zum Tod. Gustav fragte sich lediglich, wo und wann der Tod wohl ihn selbst erwartete." (S. 294)



Die eher distanzierte Art des Schreibens gefiel mir ausgesprochen gut - Andeutungen reichen hier oft, um die mitschwingenden Emotionen zu transportieren. Für mich mussten die gar nicht ausgeschrieben werden - denn ähnliche Situationen sind einem selbst oftmals bekannt und die Gefühle dazu abgespeichert. So kann der Leser beispielsweise stellvertretend für Gustav empört sein über das oft so lieblos anmutende Verhalten der Mutter. Denn auch wenn da beispielsweise nur kurz geschildert wird, dass Gustav seine Mutter lieber nicht in den Arm nimmt, weil sie eigentlich nur ihre Zigaretten und den Schnaps will - wer ahnt denn nicht zumindest, wie das Kind sich dabei fühlen muss?

Ein melancholischer, leiser Ton herrscht hier, der die Einsamkeit der beiden Hauptcharaktere messerscharf herausstanzt und einem beim Lesen unter die Haut kriecht. Dennoch empfand ich es nicht als Lektüre, die mich deprimierte, sondern als eine Erzählung, die mich letztlich mit einem Lächeln entließ. Ein wirklich besonderer Roman, der Liebhabern solcher Geschichten ans Herz gelegt werden kann.


© Parden
















Der Verlag Suhrkamp und Insel schreibt über die Autorin:

http://bookbasedbanter.co.uk/youwrotethebook/wp-content/uploads/2014/12/Rose-Tremain.jpegRose Tremain wurde 1943 geboren und wuchs in London auf. Sie studierte ein Jahr lang an der Pariser Sorbonne, ging zurück in ihre Heimat und begann ein Anglistikstudium an der University of East Anglia in Norwich, das sie 1967 abschloss. Dort lehrte sie später von 1988-1995 als Dozentin creative writing. Vorher war sie Lehrerin an einer Privatschule für Jungen. Rose Tremain veröffentlichte Romane, Kurzgeschichten, schrieb aber auch für Film, Funk und Fernsehen. Ihr Roman Zeit der Sinnlichkeit wurde 1995 mit Robert Downey Jr., Hugh Grant und Meg Ryan verfilmt (Restoration). Ihr Roman The Road Home, der im Suhrkamp Verlag unter dem Titel Der weite Weg nach Hause erschien, wurde 2008 mit dem Orange Prize for Fiction ausgezeichnet. Tremain lebt mit ihrem Lebenspartner, dem Biographen Richard Holmes, in London und Norwich. Ihr Werk erscheint auf Deutsch im Suhrkamp und Insel Verlag.

übernommen vom Verlag Suhrkamp und Insel

 


Außerdem auf der Verlagsseite zu erfahren:

Rose Tremain über ihre Erfahrungen mit der Schweiz


Montag, 19. September 2016

Heller, André: Das Buch vom Süden



Ein Mann und seine lebenslange Sehnsucht nach dem Süden. Der große Roman von André Heller 

Ein »fleißiger Taugenichts« ist der knapp nach dem Zweiten Weltkrieg in Wien geborene Julian Passauer. Im Dachgeschoss von Schloss Schönbrunn wächst der Sohn des stellvertretenden Direktors des Naturhistorischen Museums auf, umgeben vom Teehändler und »Hauswüstling« Hugo Cartor, dem philosophierenden »Warzenkönig« Grabowiak oder dem ehemaligen Weltklasseschwimmer Graf Eltz, einem begnadeten Geschichtenerzähler. Vaters lebenslange Sehnsucht nach dem Süden setzt sich in Julian fort. Auf einer ausgedehnten Schiffsreise umrundet Julian Afrika, er beginnt ein Studium, bricht es ab und wird schließlich professioneller Pokerspieler. Erst in der Villa Piazzoli am Gardasee scheint er zur Ruhe zu kommen und begegnet den Frauen seines Lebens. Und doch zieht es ihn wieder weiter – nach Süden.

(Klappentext Hanser Literaturverlage)

  • Gebundene Ausgabe: 336 Seiten
  • Verlag: Paul Zsolnay Verlag; Auflage: 6 (9. Mai 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3552057757
  • ISBN-13: 978-3552057753











EIN EPISODEN-SAMMELSURIUM...


Der Paradiesgarten André Hellers am Gardasee

André Heller - der künstlerische Tausendsassa hat sich schon auf vielen Ebenen versucht, beispielsweise als Chansonnier, Aktionskünstler, Kulturmanager, Kunstgärtner, neobarocker Feuerwerker, Schauspieler und als Mitbegründer des Circus Roncalli. Nun also hat er seinen ersten großen Roman geschrieben - und als Hörbuch gleich auch selbst gelesen.


"Wenig im Leben vermochte ihn trauriger zu stimmen, als der Ausgang des Ersten Weltkriegs im Jahre 1918, denn damals hatte Österreich die Zypressen verloren."



Dieser Satz relativ zu Beginn des Romans zeigt schon das Hauptthema des Geschehens: die Sehnsucht nach dem Süden. 'Nur im Süden ist Rettung', lautet denn auch das Credo, das von dem Vater auf den Sohn Julian Passauer übergeht und ihn schließlich auch lebenslang begleitet. In der Tat zieht es den Wiener nach seiner Jugend in den Süden, doch steht dieser angestrebte vollkommene Süden auch noch für anderes - für 'ein Gebiet jenseits des Schmerzes, jenseits der Verlorenheit und jenseits des vielen Schweren, das er nicht benennen konnte'. Viel Symbolik verbirgt sich also hinter dem kleinen Wort. Das Buch handelt letztendlich von dem lebenslangen Bemühen, die auch in Österreich weit verbreitete Schwermütigkeit, Melancholie, und Anfälligkeit zur Depression - 'den im Inneren lauernden Teufel' ' - abzustreifen und sich einen südländischen Zustand der seelischen Unbeschwertheit anzueignen.

Wer sich ein wenig mit dem Leben und Werk André Hellers befasst, wird bei der Lektüre des Buches rasch merken, dass es durchdrungen ist von autobiografischen Einflüssen. Ein 'fleißiger Taugenichts' trifft demnach nicht allein auf den Julian Passauer zu, sondern im Grunde auch auf den Autor selbst. Heller zeichnet hier das chronologische Bild des Lebens seines Helden, wohlsituiert zunächst durch seine Eltern, später dank der Schule eines begnadeten Pokerspielers, beginnend im Wien der Nachkriegszeit, und rollt dieses Leben anhand zahlreicher biografischer Momentaufnahmen auf: Episoden, Begebenheiten, Situationen und Gespräche mit seinen Eltern, Freunden der Familie, Wegbegleitern und Menschen, denen er zufällig begegnet, später auch mit den Frauen, die in seinem Leben eine große Bedeutung spielen. Im Grunde ist dies meiner Meinung nach auch kein wirklicher Roman, sondern ein Sammelsurium an Episoden, die trotz zahlreicher und teilweise extremer Brüche zwischen den einzelnen Szenen zusammengesetzt ein Leben zeichnen. Doch auch Gedankengänge, Träume und Visionen des Julian Passauer werden in diesen Episoden wiedergegeben - und ich glaube, mich nicht zu sehr aus dem Fenster zu lehnen, wenn ich vermute, dass der Leser so auch einen tiefen Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt des André Heller erhält.

Tatsächlich wird sich vieles in dem Roman für einen alteingesessenen Wiener oder Österreicher eher erschließen als für den Norddeutschen - seien es Anspielungen auf Personen oder Geschehnisse, sei es auch die Sprache selbst, denn einige Ausdrücke ließen mich zunächst mit einem Fragezeichen zurück. 'Gschaftlhuberei', 'Wimmerln', 'miachten' oder 'Blunzengröstl' kommen zumindest in meinem alltäglichen Wortschatz nicht vor, so dass ich mich zeitweise auch vor eine Vokabelübung gestellt sah. Dennoch verfügt das Wienerische über einen enormen Charme, dem auch ich mich nicht entziehen konnte, zumal wenn man dabei André Heller selbst mit seiner unverkennbaren und warmen Stimme im Ohr hat.

Allerdings gab es hier neben durchaus poetischen und gelungenen Umschreibungen und Szenen für mich häufig ein 'Zuviel'. Detaillierteste langatmige Beschreibungen eines Gartens oder eines Zustandes empfand ich als ermüdend, die Erhöhung einer Frau zum Gesamtkunstwerk als übertriebene Manieriertheit. So erging es Julian Passauer beispielsweise beim Blick in die Augen seiner Köchin:


"Dann las er Note für Note die Melodie und deren Orchestrierung, das Gelesene begann in seinen Ohren zu klingen, und der Klang schuf Bilder großzügiger unbesudelter Landschaften, üppiger Vegetation, in denen er umherwandeln konnte wie in den Bühnendekorationen der Aufführung eines Stücks, das nichts Geringeres als seine eigene Seele zum Autor und Regisseur hatte..."


So prunkvoll André Heller seine Aufführungen auch immer gestaltet hat, so prunkvoll gestaltet er hier auch jeden einzelnen Satz aus - mir war es letztlich nicht möglich, jedem dieser Sätze immer die Aufmerksamkeit zu schenken, die er erfordert hätte. Auch gelang es mir nie, mehr als zwei oder drei Episoden hintereinander zu lesen, so dass sich die 336 Seiten letztlich recht lange hinzogen.

Die CD mit der vollständigen Lesung sowie das Buch gleich dazu habe ich als Geschenk erhalten, das ich wirklich zu würdigen weiß. Allerdings werden wahre Fans André Hellers von dem Roman sicher noch begeisterter sein. Mir verschaffte es einen interessanten Einblick in die (Gedanken-)Welt des schillernden Künstlers...


© Parden




















André HellerDie Hanser Literaturverlage schreiben über den Autor:

André Heller wurde 1947 in Wien geboren. Er lebt abwechselnd in Marrakesch, in Wien und auf Reisen. 2008 ist erschienen: Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein.

übernommen von den Hanser Literaturverlagen