Samstag, 9. Juli 2016

Urbach, Stephan: Neustart - Aus dem Leben eines Netzaktivisten


Stephan Urbach wird als junger Hacker Mitglied der Netzaktivistengruppe Telecomix. Diese sorgt dafür, dass die Menschen in Krisenländern wie Syrien und Ägypten während des Arabischen Frühlings via Internet weiterhin ihre Stimme in die Welt tragen können. Von der anfänglichen Euphorie getrieben, ihm unbekannten Leuten helfen zu können, stürzt Stephan sich immer weiter in das Projekt – und vergisst darüber sich selbst und seine eigenen Bedürfnisse. Schlaf, Essen und soziale Kontakte werden durch Kaffee, Zigaretten und Onlinechatgruppen ersetzt, bis er schließlich zusammenbricht. Seinem Ruf als Superheld im Internet fühlt sich Stephan immer weniger gewachsen, bis ein radikaler Selbstmord ihm als einziger Ausweg erscheint. Nur durch die Hilfe seiner Onlinefreunde schafft er es, diesem Teufelskreis zu entkommen und ist heute, nur wenige Jahre später, ein erfolgreicher und vielgebuchter Spezialist für Netz- und Datenschutzfragen.

(Klappentext Verlagsgruppe Droemer Knaur)

  • Broschiert: 256 Seiten
  • Verlag: Knaur TB (1. Oktober 2015)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3426787296
  • ISBN-13: 978-3426787298













INTERESSANTE EINBLICKE...


Symbol der Telecomix

Wie um Himmels Willen komme ich an solch ein Buch? Ich, die ich gerade mal rudimentärste PC-Kenntnisse habe und spätestens beim zweiten Fachbegriff die Synapsen auf Durchzug stelle, lese ausgerechnet die Autobiografie eines jungen Mannes, der jahrelang im Untergrund anderen Menschen half, ihre Freiheit im Netz nicht ganz zu verlieren? Das kommt davon, wenn man vor dem spärlich bestückten Bücherregal eines Bekannten steht und neugierig forscht, welche der Bücher tatsächlich gelesen ausschauen. Als ich dieses Exemplar dann aus dem Regal zog und noch ein Kommentar hinzugefügt wurde, dass das Buch beeindruckend sei, musste ich es einfach aufschlagen und anlesen. Und dann blieb ich hängen.


"Ich war Mitglied der Internet-Aktivistengruppe Telecomix, die aus internationalen Hackern und Netzaktivisten bestand. Wir hatten beschlossen, den Demonstranten des Arabischen Frühlings zu helfen, indem wir beispielsweise das Internet über Modems wiederherstellten, nachdem es vom Mubarak-Regime abgeschaltet worden war. In Syrien halfen wir Oppositionellen, Videos von ungeheuren Grausamkeiten über das Internet zu verbreiten. Je mehr wir aber halfen, desto größer wurde unsere Verantwortung, desto größer wurde meine Verantwortung. Ich rotierte rund um die Uhr und vergaß darüber mein eigenes Leben..."



Was aber war es, das mich bewog, tiefer in diese Biografie einzutauchen? Sicher nicht die Hoffnung, den fachlichen Ausführungen bis ins Detail folgen zu können, in denen Urbach beschreibt, wie genau die Aktivisten es anstellten, das von einer Landesregierung abgestellte Internet in einem fernen Staat von außen wieder zu reaktivieren. Sicher auch nicht der zuweilen doch recht pathetisch-schwülstige Schreibstil, der anfangs auf mich sogar eher störend wirkte. Aber die ehrlichen und schonungslosen Einblicke in die Gefühls- und Gedankenwelt des oft einsamen Mannes hielten mich an den Zeilen fest. Denn da war etwas, das Urbach mit vielen Menschen teilt. Und was auch mir bekannt ist.


"Wie findet man seinen Platz im Leben? Was tut man, wenn man ihn nicht findet? Wann weiß man, dass man seinen Platz gefunden hat und ob dieser der richtige ist?"


Diese Frage kenne ich genauso. Und auch mich hat sie lange Jahre beschäftigt. Urbach beschreibt es als 'Leere' in seinem Leben, die er schon als Kind verspürt hat. Immer auf der Suche nach etwas, das diese Leere füllen würde - oder wenigstens betäuben. Bier, Zigaretten, Kaffee, Aktionismus, getrieben von einer ständigen Ruhelosigkeit. Die Beteiligung bei der Netzaktivistengruppe Telecomix verschafft ihm neben einem Dazugehörigkeitsgefühl endich auch die Vorstellung einer wirklichen Aufgabe, das Gefühl, etwas bewirken, etwas verändern zu können.


"In all den Jahren, die ich im Internet unterwegs war, hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass das Internet wirklich relevant war. In dem Sinne, dass es eine bedeutende Rolle beim Sturz eines politischen Systems und bei der Erlangung und Durchsetzung von Freiheit spielen konnte. Die äußere Welt und die Welt des Internets schienen sich ineinander zu schieben und sich so zu einer neuen Form der Wirklichkeit zu vermengen."


Die Welt verändern - ein hochgestecktes Ziel, für das Urbach alles gibt. Letztlich fast zu viel, denn als er merkt, dass es nicht mehr geht, ist er so weit, dass er beschließt zu sterben. Alles ist vorbereitet, doch als es zu einem Treffen einger Netzaktivisten kommt, kann sich der Autor dort plötzlich öffnen. Dieses 'Outing' rettet ihm letztlich das Leben. Dennoch hält ihn eine schwere Depression in seinen Klauen, und er braucht lange und muss seinem Leben erneut eine andere Richtung geben, bis er sich mit dieser psychischen Erkrankung, die einfach zu ihm gehört, zu arrangieren lernt.

Ein Buch, das der Autor nach eigener Aussage in erster Linie für sich geschrieben hat. Aber eben auch ein Buch, das zeigt, dass es sich zu kämpfen lohnt für was auch immer einem im eigenen Leben wichtig ist. Stellenweise für meinen Geschmack zu pathetisch geschrieben, aber in erster Linie absolut interessant. Ich freue mich über diese Entdeckung!


© Parden




















Stephan Urbach, geboren 1980 im hessischen Lauterbach, studierte erfolglos Deutsch und Geschichte auf Lehramt für Gymnasium in Frankfurt am Main, bevor er eine Lehre zum Bank- und Sparkassenkaufmann absolvierte. Von 2011 bis Februar 2014 arbeitete er als Referent der Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin für den Ausschuss für kulturelle Angelegenheiten, sowie den Ausschuss für digitale Verwaltung, Datenschutz und Informationsfreiheit. Er war bis 2013 Mitglied der Piratenpartei. 2010 bis 2013 war Stephan Urbach Mitglied der Aktivistengruppe Telecomix, die sich vor allem während der Proteste auf dem Tahrirplatz in Kairo und den Anfängen des Bürgerkrieges in Syrien einen internationalen Namen machte.

übernommen von der Verlagsgruppe Droemer Knuar



► Ein lebendigeres Bild des Autors bietet der Lebenslauf bei Lovelybooks

► Der Autor im persönlichen Gespräch bei Droemer Knaur

► Die Website von Stephan Urbach


2 Kommentare:

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