Freitag, 11. März 2016

Zitkala-Ša: Roter Vogel erzählt... Märchen



Das Buch Roter Vogel erzählt wurde bereits im letzten Monat besprochen. Hier in diesem Post geht es nun um die in ihm enthaltenen indianischen Märchen.

Es sind eine ganze Menge, die in Roter Vogel erzählt, enthalten sind. Natürlich sticht eines davon hervor. Es ist das Märchen vom Steinknaben, welches hier schon einmal besprochen wurde.  Doch darauf komme ich noch einmal zurück.

"Die hier aufgeschriebene Legenden entspringen dem einst unberührten Boden unseres Landes. Gemeinsam mit vielen anderen gehören sie zu jenen Geschichten, denen die kleinen, schwarzhaarigen Ureinwohner so gerne lauschen, wenn sie beim abendlichen Lagerfeuer beisammensaßen."

So schrieb Zitkala-Ša über die gesammelten Märchen und Legenden selbst in einem Vorwort. [1] Geister und Naturkräfte tummelten sich um die Feuerstellen der Tipis. Diese wurden personifiziert. Oftmals sind es den Tieren nachempfundene Gestalten, was an die bekannten Fabeln erinnert.

"Die Fabel (lateinisch fabula, „Geschichte, Erzählung, Sage“) bezeichnet eine in Vers oder Prosa verfasste kürzere Erzählung mit belehrender Absicht, in der vor allem Tiere, aber auch Pflanzen und andere Dinge oder fabelhafte Mischwesen menschliche Eigenschaften besitzen (Personifikation) und auch menschlich handeln (Bildebene). Die Dramatik der Fabelhandlung zielt auf eine Schlusspointe hin, an die sich meist eine allgemeingültige Moral (Sachebene) anschließt." [2]

Die Geschichten erinnern im weitesten Sinne auch an solche Werke wie Reineke Fuchs von J.W.v. Goethe, wobei ich annehme, das trotz weitgehender höherer Schulbildung der Lakota-Autorin dieser Dichter eher unbekannt war.


Ein Beispiel für die Gemeinsamkeiten ist ein Spinnenwesen namens Iktomi. Der ist gleichzeitig ein Schelm, ein Betrüger, ein Magier - ihm ist nicht zu trauen. Gleichwohl besitzt er eine Familie. Charakteristisch erscheinen die Züge der Figur, die Angela de Cora, eine Winnebago-Indianerin, in den Illustrationen zu "Old Indian Legends" gezeichnet hat und die hier wieder verwendet wurden. Diese Figur zieht sich durch eine Reihe von Geschichten. Der Charakter gleicht dabei durchaus einer Spinne, die ihre Netze webt und still wartet, bis sie zuschnappen kann. Er ist durchtrieben aber nicht weise, so heißt es in Iktomis Decke. In dieser gibt er seine Decke für Fleisch dem alten Urgroßvater Inyan (Stein). Bevor das Fleisch des Hirsches fertig gebraten ist geht die Sonne unter und dem indianischen Spiderman friert. Er holt sich die Decke zurück, findet aber nur noch das Gerippe am Feuer. "Und du wirst dich wundern, kleiner Leser, anstatt zu bereuen... begann er laut zu wehklagen: "Oh! Oh! Oh! Hätte ich doch nur zuerst das Fleisch verzehrt, und danach die Decke geholt." [3]

Andererseits haben die Märchenfiguren zwar Tiernamen und fabelmäßige Charakter und Eigenschaften, sie handeln aber wie menschliche Jäger. In der Geschichte Der Dachs und der Bär heißt es:

"Am Rande des Waldes lebte einmal eine große Dachsfamilie. Ihre Behausung hatte sie unter der Erde gebaut und die Wände mit Steinen und Stroh ausgekleidet. Der alte Vater Dachs war ein großartiger Jäger. Er kannte sich bestens darin aus, Hirschen und Büffeln nachzuspüren, und täglich trug er auf seinem Rücken erlegtes Wild nach Hause." [4]


Eine der Geschichten ist auch aus den Büchern der Liselotte Welskopf-Henrich bekannt. Es ist die Geschichte vom Steinknaben, die in Form eines Kinderbuches bereits hier beschrieben wurde. Die Geschichte wird von Zitkala-Ša allerdings etwas anders erzählt. Im Kinderbuch ist die Figur des Steinknaben  negativ besetzt. Der Jäger, welcher mehr Tiere als notwendig erlegt, wird am Ende zu Stein und versinkt im Erdreich. Bei Zitkala-Ša verwandelt sich der Steinknabe aus einem Stein zu einem Menschen, der Heldentaten vollbringt. Er kann sich verwandeln und Freunde retten. Er formt mit seinen Brüdern eine Nation (Sioux), nach vollbrachter Tat, wird er wieder zu einem Stein. So unterschiedlich können die Geschichten sein. [5]



Was der Blogger allerdings zum ersten Mal las, war das Wort Prügel. In der Geschichte Die Hexen-Frau bekommt ein Mädchen, welches weggelaufen war, weil es "unstandesgemäß" heiraten wollte, "eine Tracht Prügel." [6] In der Regel wurde in der Literatur betont, dass Indianerkinder keine Schläge erhielten. Eine Erklärung wird dafür leider nicht mit geliefert, obwohl die Geschichten und Erzählungen sonst durchaus kommentiert werden. [6]


* * *

Die von Zitkala-Ša aufgeschriebenen Texte sind wie andere Märchen auch lehrreich und sehr vielseitig. Wie in anderen Völkern auch, werden Märchen und Legenden abends am Feuer erzählt. Indianische Märchen mussten auf ihre schriftliche Überlieferung bis Ende des 19. Jahrhunderts warten, Autoren wie Zitkala-Ša kommt dabei eine hohe Bedeutung zu, relativ kurze Zeit nach den letzten Kämpfen zwischen den Ureinwohnern und den Eroberern erkannte die 1876 geborene Indianerin, dass zur Erhaltung ihrer Kultur Niederschriften der Erzählungen notwendig sind.

"Die alten amerikanischen Legenden gehören den Kindern der blauäugigen Patrioten ebenso wie denen der schwarzhaarigen Ureinwohner. Und ich hoffe, dass sie sich als Erwachsene weiterhin für die indianische Kultur interessieren werden, da das Studium derselben sehr deutlich unsere Verwandtschaft mit der übrigen Menschheit zeigt." [7]


DNB / Palisander Verlag / Chemnitz 2015 / ISBN 978-3-938305-70-6 / 400 S.

© KaratekaDD


Quellen:


Abb 1: Cover
Abb 2: Iktomi, Angela de Cora in: Zitkala-Ša, Roter Vogel erzählt, Seite 155

[1] siehe Vorwort von Zitkala-Ša aus "Old Indian Legends", 1901. In: Roter Vogel... Seite 147
[2] Seite „Fabel“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 1. März 2016, 11:44 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Fabel&oldid=152063716 (Abgerufen: 6. März 2016, 10:10 UTC)
[3] vgl. Ebenda, Seite 157 ff
[4] vgl. Ebenda, Seite 179
[5] vgl. Ebenda, Seite 287
[6] vgl. Ebenda, Seite 307
[7] siehe Zitkala-Ša: Roter Vogel... Seite 147f (FN 1)


2 Kommentare:

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