Montag, 29. Februar 2016

Erpenbeck, Jenny: Gehen, ging, gegangen


Entdeckungsreise zu einer Welt, die zum Schweigen verurteilt, aber mitten unter uns ist...


Wie erträgt man das Vergehen der Zeit, wenn man zur Untätigkeit gezwungen ist? Wie geht man um mit dem Verlust derer, die man geliebt hat? Wer trägt das Erbe weiter? Richard, emeritierter Professor, kommt durch die zufällige Begegnung mit den Asylsuchenden auf dem Oranienplatz auf die Idee, die Antworten auf seine Fragen dort zu suchen, wo sonst niemand sie sucht: bei jenen jungen Flüchtlingen aus Afrika, die in Berlin gestrandet und seit Jahren zum Warten verurteilt sind. Und plötzlich schaut diese Welt ihn an, den Bewohner des alten Europas, und weiß womöglich besser als er selbst, wer er eigentlich ist.

Jenny Erpenbeck erzählt auf ihre unnachahmliche Weise eine Geschichte vom Wegsehen und Hinsehen, von Tod und Krieg, vom ewigen Warten und von all dem, was unter der Oberfläche verborgen liegt.


(Klappentext Knaus Verlag)

  • Gebundene Ausgabe: 352 Seiten
  • Verlag: Albrecht Knaus Verlag (31. August 2015)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3813503704
  • ISBN-13: 978-3813503708















 BERÜHRUNGEN...


Richard ist seit kurzem emeritierter Professor für Altphilologie und bewohnt seit dem Tod seiner Frau am Rand von Ostberlin allein ein Haus an einem See. Richard hat eine Menge Zeit, und stellt sich zunehmend  Fragen über das Vergehen derselben sowie über den Verlust von geliebten Menschen. Als er zufällig Asylsuchenden auf dem Berliner Oranienplatz begegnet, kommt ihm die Idee, bei genau ihnen nach Antworten zu suchen - bei jungen, afrikanischen Flüchtlingen.  Immer häufiger und entschlossener nimmt er Kontakt zu ihnen auf, mischt sich unter die Asylbewerber, lässt sich auf die Afrikaner und ihre Schicksale ein, lädt einige zu sich nach Hause ein, kümmert sich, gibt Deutschunterricht – ein Pionier der 'Willkommenskultur'.


"Über das sprechen, was Zeit eigentlich ist, kann er wahrscheinlich am besten mit denen, die aus ihr hinausgefallen sind. Oder in sie hineingesperrt, wenn man so will."


Je intensiver Richard Einblick in die Welt der Flüchtlinge erhält, aus deren Alltag jede Selbstverständlichkeit gekippt ist, desto aktiver wird er: Einerseits versorgt er die Flüchtlinge mit Notwendigkeiten wie Kleidung und Nahrungsmitteln und begleitet sie zu anstehenden Behördenterminen; andererseits arbeitet er sich, zunehmend fassungslos, durch den europäischen Paragrafendschungel:


"Es geht in dieser Verordnung gar nicht darum zu klären, ob diese Männer Kriegsopfer sind. Zuständig für den Inhalt ihrer Geschichte ist einzig das Land, in dem sie zum ersten Mal europäischen Boden betreten haben. Nur dort dürfen sie um Asyl bitten, nirgends sonst ... Mit Dublin II hat sich jedes europäische Land, das keine Mittelmeerküste besitzt, das Recht erkauft, den Flüchtlingen, die übers Mittelmeer kommen, nicht zuhören zu müssen. Ein sogenannter Asylbetrüger ist also auch jemand, der eine wahre Geschichte dort erzählt, wo man sie nicht anhören muss."


Neben dem bürokratischen Hindernisparcours, der letztlich oftmals auf ein großes 'Nein' hinausläuft, versucht Jenny Erpenbeck, der Masse von Flüchtlingen hier ein Gesicht zu geben.  Stark ist das Buch in den dialogischen Passagen, wenn Richards Begegnungen und Unterhaltungen mit den Flüchtlingen dargestellt werden, das Berühren und Aufeinanderprallen der Kulturen, dieses Crossover von Freundlichkeit und Befremden. Die Gedankengänge Richards dagegen zu den verschiedensten Themen geraten oft ein wenig langatmig und wirken angesichts der dringlichen Problematik oft eher nebensächlich. Überhaupt ist Richard keine besonders tief herausgearbeitete Romanfigur. Er bleibt weitestgehend blass, hat jedoch die Aufgabe, in oftmals kindlich anmutender Naivität nachzufragen, damit der Leser an seiner Stelle die Antworten bekommt.


„Ist nun der schon so lange andauernde Frieden daran schuld, dass eine neue Generation von Politikern offenbar glaubt, am Ender der Geschichte angekommen zu sein, glaubt, es sei möglich, all das, was auf Bewegung hinausläuft, mit Gewalt zu unterbinden? Oder hat die weite räumliche Entfernung von den Kriegen der anderen bei den unbehelligt Bleibenden zu Erfahrungsarmut geführt, so wie andere Menschen an Blutarmut leiden? Führt der Frieden, den sich die Menschheit zu allen Zeiten herbeigesehnt hat und der nur in so wenigen Gegenden der Welt bisher verwirklicht ist, denn nur dazu, dass er mit Zufluchtsuchenden nicht geteilt, sondern so aggressiv verteidigt wird, dass er beinahe schon selbst wie Krieg aussieht?“


Die Autorin konnte beim Schreiben noch nicht wissen, dass all diese Dinge nun in der breiten Öffentlichkeit diskutiert werden. Umso erstaunlicher ist es, wie sehr bereits in ihrem Buch genau jene Vorurteile zum Tragen kommen, die auch jetzt immer wieder zu hören sind - z. B. jenes, dass es ein widersinnig sei, dass arme Flüchtlinge sich teure Smartphones leisen können. Durch die Zuspitzung der Flüchtlingsproblematik in Europa gerät 'Gehen, ging, gegangen' zu einem überaus dokumentarischen Roman dieser Zeit und dieser Tage. Kein flammender Aufruf zur Weltverbesserung, kein vordergründiger Appell an das Mitleid des Lesers. Sondern ein literarischer Versuch des Verstehens, dass das Eigene und das Fremde zwei Seiten eines Zusammenhangs sind. Beeindruckende Berührungen.


© Parden


























Jenny ErpenbeckDer Knaus Verlag schreibt über die Autorin:

Jenny Erpenbeck wurde 1967 in Berlin geboren. 1999 debütierte sie mit der Novelle »Geschichte vom alten Kind«, der weitere literarische Veröffentlichungen folgten, darunter Romane, Erzählungen und Theaterstücke. Ihr zuletzt erschienener Roman »Aller Tage Abend« wurde von Lesern und Kritik gleichsam gefeiert und vielfach ausgezeichnet, unter anderem 2013 mit dem Joseph-Breitbach-Preis und 2015 mit dem Independent Foreign Fiction Prize.
übernommen vom Knaus Verlag

Samstag, 27. Februar 2016

Blogpost Nr. 63: TinSoldiers Bücherstapel, Ausgabe 01/2016






Lieber Leserinnen und Leser unseres Bücher - Blogs Litterae-Artesque!
Es ist viel Zeit vergangen, seitdem ich meinen letzten "Bücherstapel" hier veröffentlicht habe. Genau genommen war es die Ausgabe 01/2015, Blogpost Nr. 45, die einzige, die ich 2015 vorgestellt habe.
Ich setze die Reihe nunmehr fort mit der Ausgabe 01/2016 in der festen Absicht, dass es in diesem Jahre nicht die einzige bleiben soll! Natürlich ist die Vorstellung neuer Bücher auch abhängig von interessanten Neuerscheinungen. Also, lasst uns mal sehen, was 2016 da so alles auf uns wartet...

Mein heutiger Bücherstapel enthält ausschließlich Neuerscheinungen der Büchergilde Gutenberg, Die Bücher dieses Verlags bzw. dieser Buchgemeinschaft erscheinen regelmäßig in besonders schönen Aufmachungen und sind sehr oft schön illustriert. Mitglieder erhalten sie zu einem gegenüber den Originalausgaben reduzierten Preis.

Nachdem der "Club Bertelsmann" mit Beginn des Jahres aufgehört hat zu existieren, scheint die Ära der Bücherklubs in Deutschland beendet zu sein. Dies ist ein Zeichen der Zeit, die offenbar andere Konzepte für den Buchhandel erfordert. Schade ist es trotzdem!
Wie gut, dass es noch die Büchergilde Gutenberg gibt, die sich durch die Wandlung in eine "Genossenschaft" offenbar in das neue Zeitalter retten konnte. Übrigens: Ich bin zwar Mitglied in der Büchergilde, aber keineswegs Genossenschafter - soll heißen: Meine Vorliebe für die Bücher dieser Büchergemeinschaft entspringt keinerlei (wirtschaftlichen) Eigeninteressen!

Ich nenne übrigens für alle hier vorgestellten Lizenzausgaben der Büchergilde, soweit möglich, jeweils den Verlag und den Preis der Originalausgaben. So können auch Nichtmitglieder der Büchergilde sich die Originalausgaben dieser Bücher im Buchhandel besorgen.

Und nun viel Spaß beim Schmökern!


Sachbuch:

Ein bemerkenswertes Sachbuch ist "Zeit" von Rüdiger Safranski.


"Obwohl wir sie ständig spüren und wahrnehmen, bleibt sie uns doch ein Rätsel. Rüdiger Safranski spürt den schillernden Facetten der Zeit gekonnt nach. Ausgangspunkt ist dabei immer die Art und Weise, wie die Zeit auf uns wirkt. In der Langeweile ist sie bleiern schwer, im Spiel verfliegt sie. In der Sorge scheinen wir uns immer schon einen Schritt voraus (auf das, was uns treffen könnte, gerichtet). In jedem Anfang vollzieht sich eine schöpferische Magie, die doch immer wieder im Gewohnten verwurzelt ist. Safranski nimmt die beschleunigte Zeit der Finanzmärkte und das Termingetriebe der vergesellschafteten Zeit ebenso kritisch in den Blick, wie er sich der Weltzeit, der Mythologie und den Rhythmen des Körpers zuwendet. 


Immer daran orientiert, was die Zeit mit uns macht und welche Erfahrungen wir mit ihr machen, führt er uns auch durch die Geschichte der Philosophie und Literatur – voller Neugier und Leichtigkeit, ohne je trocken oder belehrend zu sein. Ein Sachbuch mit dem Spannungsbogen eines Romans."
(Die Inhaltsangabe wurde der Website der Büchergilde Gutenberg entnommen, der Link lässt sich HIER aufrufen!)

Ich finde, es ist lohnend, sich mit diesem Thema einmal auseinanderzusetzen. Und wenn es zugleich unterhaltsam ist, um so mehr...


Zeit
Was sie mit uns macht und was wir aus ihr machen
von
Rüdiger Safranski
Ausgabe der Büchergilde Gutenberg
Leinen geprägt, Schutzumschlag, Lesebändchen
272 Seiten, 21,- Euro (nur für Mitglieder)

Originalausgabe:
ISBN, Einband/Preis: 978-3-446-23653-0 Pp. : EUR 24.90 (DE), ca. EUR 25.60 (AT)
3-446-23653-8erschienen bei
Carl Hanser, München
DNB


Ungläubiges Staunen 
Über das Christentum
von Navid Kermani

Navid Kermani auf der
Frankfurter Buchmesse 2015
(Bildquelle: Lesekreis, )
Aus: Wikimedia Commons, dem freien Medienarchiv
Etwas ungläubiges Erstaunen und damit zugleich Interesse weckt die Tatsache, dass mit Navid Kermani ausgerechnet ein muslimischer Autor sich mit dem Christentum befasst. Noch dazu unter dem durchaus doppeldeutigen Titel "Ungläubiges Staunen. Über das Christentum".

Wer ist Navid Kermani?

Navid Kermani ist ein deutsch-iranischer SchriftstellerPublizist und schiitischer Moslem. Er wurde mit zahlreichen renommierten Kultur- und Literaturpreisen ausgezeichnet. Im Jahre 2015 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.                                                                                                                                              "Es gibt viele Bücher über das Christentum. Dieses ist anders: Unter dem Blick von Navid Kermani, Schriftsteller, Muslim und habilitierter Orientalist, wird die Bilderwelt des Christentums neu erfahrbar. Diesem Buch gelingt, was selten geschieht: Es ermöglicht uns, das vermeintlich Gewohnte anders zu sehen. ...                                 Mit herausragendem Intellekt gelingt es Kermani in den Bildern Botticellis, Caravaggios oder Rembrandts auch die Fragen unserer heutigen Existenz zu erkennen – ohne kunsthistorische oder theologische Attitüden, dafür aber mit konzentriertem Blick für die wesentlichen Details und die untergründigen Bezüge. Dieses Buch ist ein außergewöhnliches Glück, für das Abendland wie für das Morgenland, für alle, die Kunst und Kultur lieben."

Navid Kermani
Ungläubiges Staunen 
Über das Christentum
Ausgabe der Büchergilde Gutenberg
Schutzumschlag, Lesebändchen, farbig, fester Einband, Umschlaggestaltung von Angelika Richter, mit 49 farbigen Abbildungen, 304 Seiten. Preis für Mitglieder 21,95 €

Originalausgabe:
ISBN: 978-3-406-68337-4 Festeinband, Originalverlagspreis: 24,95 
erschienen bei: C.H. Beck, München


Belletristik:


Roman über die Historische Begegnung zweier großer Geister der deutschen Literatur- und Kunstgeschichte

Der Dichterfürst Goethe und der deutsche Maler Caspar David Friedrich trafen sich im Jahre 1810.
Beide interessierten sich (was sonst??) für die gleiche Frau. Diese arrangiert dann ein Treffen der beiden so unterschiedlichen Rivalen. Dichterfürst Goethe, gebildet und gut betucht und der eher ungehobelte Maler Caspar David Friedrich. Doch beide hegen zumindest ein gemeinsames Interesse:
Sie wollen die Wolken erforschen.
Goethe und Friedrich, Weimarer Klassik trifft auf die Romantik.
Ein interessantes Thema und ein schöner Roman:

Ein intelligenter historischer Roman, der die Weimarer Klassik und Romantik raffiniert gegeneinander ausspielt und einfach Lust auf zwei große Persönlichkeiten macht. (Büchergilde Gutenberg).

Lea Singer:
Anatomie der Wolken
Roman
Ausgabe der Büchergilde Gutenberg:
Schutzumschlag, Lesebändchen, fester Einband, Umschlaggestaltung Angelika Richter, 256 Seiten.
Preis für Mitglieder 16,95 €

Originalausgabe:
erschienen bei Hoffmann und Campe, Hamburg
Preis: 20,- Euro


Zeitgeschichte: 
Ein Roman über die Wiedervereinigung Deutschlands; 
kurz davor und danach:

„Als der Sommer kam, der die Welt verändern sollte, drapierte ich mein Bettzeug so, dass es aussah, als läge jemand darin, öffnete das Fenster und sprang in die Nacht. Das war keine große Sache; wir wohnten im Hochparterre. Unter dem Fenster wuchs schon kein Gras mehr deswegen.“

Sie sind die Letzten, die noch „vormilitärischen Unterricht“ bekamen. Und Sie sind die ersten, die dieses Wissen im Herbst 89 gegen die Staatsmacht einsetzten – und schließlich gegeneinander, als spätere Postkommunisten und Neonazis. 

(Quelle: Büchergilde Gutenberg)


Peter Richter:
89/90
Roman, 416 Seiten

Ausgabe der Büchergilde Gutenberg:

Schutzumschlag, Lesebändchen, Leinen, Umschlaggestaltung von Jörg Hülsmann, 416 Seiten.
Preis für Mitglieder 17,95 €
Originalausgabe:
erschienen bei Luchterhand, München (Originalverlagspreis: 19,99,-)

Märchen und Sagen (für Erwachsene): 
Griechische Mythologie im modernen Gewand


"Hier kommt die griechische Mythologie im modernen Gewand! Ganz im Sinne unserer neuen Reihe „Graphic Experience“ lässt Nadine Prange die alten Götter aus dem Pantheon hinabsteigen und in ihren ironisch-frechen Illustrationen in unseren Alltag einbrechen."
(Büchergilde Gutenberg)

Altes im neuen Gewand:
Die griechische Mythologie einmal anders.
Wer Freude hat an schön illustrierten Buchausgaben, dem wird dieses Buch sicher gefallen!
Ausgezeichnet von der Stiftung Buchkunst als „eines der schönsten deutschen Bücher“ 2009


Nadine Prange; Katja Barthel
Neon Pantheon
Die Welt der griechischen Götter
Ausgabe der Büchergilde Gutenberg:  Farbig, Halbleinen, bedruckt, durchgehend illustriert von Nadine Prange, mit aufklappbaren Innenseiten, 70 Seiten.
Preis für Mitglieder 17,95 €

DNB



Kinder-/Jugendbuch: 

Lesen macht Spaß und bildet!

 Inhalt
– Der kleine Häwelmann (Theodor Storm)
– Der Nussknacker (E.T.A. Hoffmann)
– Das Geschenk der Weisen (O. Henry)
– Das Gespenst von Canterville (Oscar Wilde)
– Die Retter des Landes (Edith Nesbit)
– Wie das Kamel zu seinem Höcker kam (Rudyard Kipling) 

Lisbeth Zwerger
"Lisbeth Zwerger hat sechs Meisterwerke der Weltliteratur illustriert und einen magischen Sammelband geschaffen."



Kindern und Jugendlichen das Lesen nahe bringen und ihnen zugleich Zugang zu großen Autoren zu verschaffen: Wie könnte es besser gelingen als mit einem solchen Buch!


Ab 8 Jahren, illustriert von Lisbeth Zwerger, fester Einband, 172 Seiten, (Ausgabe NordSüd Verlag).

Preis für Mitglieder 24,95 €

Originalausgabe:
Nord-Süd, Zürich
170 Seiten, 24,95 Euro







Hörbuch:

Zu guter Letzt: DEUTSCHLAND - Erinnerungen einer Nation 
ist ein tolles Buch des britischen Autors Neil MacGregor, das KaratekaDD und ich bereits rezensiert haben. Zu den Rezensionen geht´s 

hier: 

KaratekaDD
TinSoldier

Das Hörbuch ist eine wunderbare Ergänzung zur Buchausgabe!

DNB

gelesen von Burghart Klaußner
Erschienen bei: Der Hörverlag, München
Preis: 29,99





























Mittwoch, 24. Februar 2016

McFarlane, Mhairi: Vielleicht mag ich dich morgen


Der Spiegel-Bestseller von Mhairi McFarlane! 

Wiedersehen macht nicht immer Freude. Schon gar nicht Anna, die nach 16 Jahren beim Klassentreffen mit genau jenem Typen konfrontiert wird, der ihr damals den Schulalltag zur Hölle machte. Damals, als sie noch die ängstliche, pummelige und so gern gehänselte Aureliana war. Wie wenig sie heute als schöne und begehrenswerte Frau mit dem Mädchen von einst gemein hat, wird klar, als James sie nicht erkennt. Er ist fasziniert von der schönen Unbekannten. Anna kann es kaum glauben und wittert ihre Chance: Endlich kann sie ihm alles heimzahlen. Beide ahnen nicht, wie sehr sie das Leben des anderen noch verändern werden. Nicht heute. Aber vielleicht morgen. 


»Vielleicht mag ich dich morgen«: ein spritzig-warmherziger und romantischer Liebesroman!


(Klappentext Verlagsgruppe Droemer Knaur)


  • Taschenbuch: 496 Seiten
  • Verlag: Knaur TB (4. Mai 2015)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Karin Dufner, Ulrike Laszlo
  • ISBN-10: 3426516470
  • ISBN-13: 978-3426516478
  • Originaltitel: Here's Looking at You










Ich danke der Verlagsgruppe Droemer Knaur ganz herzlich für die Möglichkeit, dieses Buch als Rezensionsexemplar lesen zu dürfen!










KEINE ÜBERRASCHUNGEN...




Anna weiß nicht, wie schön sie ist. Als Schülerin hieß sie noch Aurelia und beeindruckte vor allem durch ihren Leibesumfang und die selbstgenähten Klamotten - beides sicherte ihr die Rolle als beliebtes Mobbing-Opfer. Deswegen wird Anna auf keinen Fall bei dem Klassentreffen aufkreuzen. Anna weiß noch nicht, dass ihre Freundin sie überreden wird hinzugehen, damit sie sich endlich ihrer größten Angst stellt.
James weiß, dass seine Frau ihn betrügt. Er weiß nicht, wie er damit umgehen soll, und ist liechte Beute, als sein Kumpfel ihn zum verhassten Klassentreffen schleppen will. James wird dort Anna treffen und sie nicht erkennen. Er wird nicht wissen, dass die schöne Unbekannte diejenige ist, die er zu Schulzeiten bloßgestellt hat.

Beide wissen nicht, dass sie das Leben des anderen verändern werden. Nicht heute. Aber vielleicht morgen.

Ich und eine solche Liebesgeschichte? Ein Aschenputtel-Verschnitt, bei dem man schon auf der ersten Seite weiß, wie es ausgehen wird? Nein, eigentlich nicht. Aber der Verlag schickte mir das Buch eines Tages einfach so zu, und nun war mir einfach mal nach etwas Leichtem.

Ehrlich gesagt sind 496 Seiten für solch ein Buch eine Menge - und in meinen Augen gab es hier auch einige Längen, die mich mehrfach vom Weiterlesen abhielten. So hatte ich länger etwas davon und las immer mal ein kleines Häppchen. Und auch wenn es selten zu schnulzig wurde und warmherziger Humor dafür sorgte, dass ich über die Vorhersagbarkeiten hinwegsehen konnte - mehr als eine kleine Portion am Tag verträgt sich davon mit mir nicht. Diese Art Romane ist wie mit der Schablone geschrieben: klischeehafte Figuren, die aufeinanderprallen, dann gerät die Antipathie allmählich zur Sympathie, etwas kommt dann noch dazwischen, so dass es doch wieder hoffnungslos ausschaut - und am Ende: das berühmte Happy End. Ich hoffe, ich verrate damit nicht zu viel - aber erwartet hier ernsthaft jemand etwas anderes?

Für verregnete Tage und zum Abschalten, nichts wobei man nachdenken muss, sondern wo man sich einfach fallen lassen kann - für Fans dieses Genres sicherlich empfehlenswert...


© Parden















Die Verlagsgruppe Droemer Knaur schreibt über die Autorin:

Mhairi McFarlane wurde 1976 in Schottland geboren. Ihre geographischen Lebensdaten in Kurzform lauten Falkirk – Afrika – Milton Keynes – Nottingham und entsprechen in etwa dem Weg, den ein Designerkleidungsstück zurücklegt, bevor es in einem Laden zur Ruhe kommt. Mhairis Ruhepol ist Nottingham, wo sie mit einem Mann und einer Katze lebt. Bereits ihrem ersten Roman "Wir in drei Worten" gelang der Sprung auf die Spiegel-Bestsellerliste. Mit ihrem zweiten Roman "Vielleicht mag ich dich morgen" eroberte sie nicht nur die Herzen der Leser im Sturm, sondern auch Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste.

übernommen von der Verlagsgruppe Droemer Knaur

Montag, 22. Februar 2016

Zitkala-Ša: Roter Vogel erzählt




Abb 1
„Roter Vogel“ heißt auf Lakota Zitkala-Ša. Zitkala-Ša wure im Jahr 1876 geboren. In diesem Jahr wurde durch die vereinten Stämme der „Sieben Ratsfeuer“ – Dakota – und der Cheyenne unter Führung von Tȟašúŋke Witkó, Tȟatȟáŋka Íyotake[1] und Matohinshdar, besser bekannt als Grazy Horse, Sitting Bull und Gall, die Schlacht am Little Bighorn gewonnen und das 7th. Kavallerieregiment unter Lt. Col. Custer geschlagen.[2]

Doch ist ihr Geburtsjahr wohl weniger ausschlaggebend für ihren späteren schriftstellerischen, politischen und musikalischen Einsatz für die Rechte und die Kultur der Indianer.[3] Gertrude Simmon Bonnin besuchte als junges Mädchen eine Boarding School, eine Internatsschule und lernte dort wohl hervorragend Englisch. Dies bewies sie 1896 auf einem Rede-Wettbewerb mit dem Vortrag „Seite an Seite“.[4] Dieser ist in Roter Vogel erzählt abgedruckt und wird hier noch näher behandelt werden.

Später unterrichtete sie zwei Jahre an der Carlisle Indian Industrial Border School.[5]
Diese Schule war eine der ersten und ihr Gründer Richard Pratt hatte den Standpunkt, dass „man den Indianer in den Kindern töten muss, um Amerikaner aus ihnen zu machen.“[6]
Mit  Zitkala-Ša ist dies überhaupt nicht gelungen, diese Art von „Lehr- und Lernziel“ veranlasste die talentierte Halbindianerin die Schule wieder zu verlassen.


Abb 2

Im ersten Teil von des Buches gibt es einen Abschnitt der mit „Schultage eines Indianermädchens“ überschrieben ist. Darin erzählt sie, die ja unbedingt auf die Schule wollte, in das „Land der Roten Äpfel“, wie ihr die Haare geschnitten werden sollten:

„Auf Händen und Füßen kroch ich unter das Bett und kauerte mich in den dunklen Winkel.

Ich spähte aus meinem Versteck hervor, vor Furcht bebend, wenn ich in der Nähe Schritte vernahm. Obgleich im Saal laute Stimmen meinen Namen riefen… öffnete ich nicht den Mund, um zu antworten. Die Schritte wurden immer schneller und die Stimmen aufgeregter. Die Geräusche kamen immer näher. Frauen und Mädchen kamen in das Zimmer. Ich hielt den Atem an und beobachtete, wie sie Schranktüren öffneten und hinter große Koffer spähten. Jemand zog die Vorhänge auf, und plötzlich war der Raum von Licht durchflutet… Ich erinnere mich daran, wie ich darunter hervorgezogen wurde, obgleich ich mich mit Tritten zur Wehr setzte und wild kratzte. Gegen meinen Willen wurde ich die Treppen hinabgetragen und fest an einen Stuhl gebunden.

Ich schrie laut, warf die ganze Zeit meinen Kopf hin und her, bis ich die kalten Klingen der Schere an meinem Hals spürte und das Geräusch hörte, mit dem sie einen meiner dicken Zöpfe abfraßen. Ich war außer mir. Seit ich von meiner Mutter weggeführt worden war, hatte ich die schlimmsten Demütigungen erdulden müssen. Leute hatten mich angestarrt. Ich wurde in die Luft geworfen wie eine Holzpuppe. Und jetzt wurde mir mein langes Haar abgeschnitten wie bei einem Feigling! In meiner Seelennot wimmerte ich nach meiner Mutter, aber niemand kam, um mich zu trösten. Nicht eine einzige Seele sprach ruhig mit mir, wie meine Mutter dies zu tun pflegte. Von nun an war ich nur noch eines von vielen kleinen Tieren, die von einem Hirten getrieben wurden.“[7]


In der US-amerikanischen Miniserie „Into the West“ wird im fünften Teil gezeigt, wie eine Gruppe Indianerkinder in die Schule des Capt. Pratt kommt. Es ist, als ob der Regisseur Zitkala-Ša´s Beschreibungen gelesen hätte. Und auch die Darstellungen der Liselotte Welskopf-Henrich von den Schulbedingen achtzig Jahre später zeigen Parallelen auf. Das Verbot „indianisch“ zu sprechen war auch zu dieser Zeit, als Zitkala-Ša bereits mehr als zwanzig Jahre vorher starb, immer noch präsent.

 5 Teil von Into the West - YouTube

Die Autorin erzählt auch von ihrem ersten Tag als Lehrerin an der genannten Indianerschule und ihrer Begegnung mit Richard Pratt. 


Abb 3 Capt. Pratt
„Ich sah vor mir die eindrucksvolle Gestalt eines stattlichen grauhaarigen Mannes. In seiner Linken hielt er einen leichten Strohhut, und die rechte Hand streckte er mir zur Begrüßung entgegen. Er lächelte mich freundlich an. Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich eingeschüchtert von seiner bemerkenswerten Größe und seinen starken. quadratischen Schultern, die sich, wie es mir schien, knapp oberhalb meinen Kopfes befanden. Mir war klar, dass es sich um den Schulleiter handeln musste…

‚Aha! Sie sind also das kleine Indianermädchen, das für so viel Aufregung bei den College-Rednern gesorgt hat!‘ sagte er mehr zu sich selbst als an mich gerichtet- Ich glaubte, einen leichten Unterton von Enttäuschung in seiner Stimme wahrzunehmen.“[8]

Wer sich für die Indianerliteratur nicht nur der Professorin Welskopf-Henrich interessiert, findet in Zitkala-Ša eine Augenzeugin der besonderen Art, denn trotz der oben angedeuteten Erziehungsmethoden passieren mit ihr zwei Dinge: Zum einen wird sie wirklich Amerikanerin. Sie behält ihre Identität als Lakota, als die sie aufgewachsen und hält die Vereinigten Staaten für das fortschrittlichste, freiheitlichste und demokratischste Land der Welt. Genau wie die vielen irischen, polnischen, russischen, spanischen, italienischen Amerikaner auch. Sie sieht die vielen Unlänglichkeiten, die in extremer Rassendiskriminierung ihren Höhepunkt finden und kämpft als Lehrerin, Musikerin und Politikerin in der   Society of American Indians und gründet später die National Council of American Indians gemeinsam mit ihrem Ehemann. Gegen die Politik des Bureau of Indian Affairs kämpft sie an ohne ihren amerikanischen und indianischen Standpunkt zu verlassen.

Wie weit die junge Indianerin hierbei bereits mit ungefähr zwanzig Jahren war, zeigt der Vortrag „Seite an Seite“, mit dem sie den zweiten Preis in einem Wettbewerb gewann.

Diesen Vortrag beginnt sie mit „Das Universum ist das Ergebnis der Evolution.“ Die Eroberung Britanniens durch die Sachsen und die Magna Carta Libertatum führt sie weiter zu den Eingeborenen Amerikas und die Ankunft einer „bleicheren Rasse“.
Sie ergreift Partei für „ihr Volk“ mit „Einer Nation im langsamen Lauf von Jahrhunderten das Leben zu nehmen, ist wohl kein geringeres Verbrechen, als sie in einem Augenblick mit einem tödlichen Schlag zu zerschmettern."

Am Ende des 19. Jahrhunderts zeugt der Vortrag von großem Wissen und großer Reife, wenn sie trotzdem ausführt:

„Amerika begann seine Laufbahn von Freiheit und Wohlstand mit der Erklärung, dass ‚alle Menschen frei und gleich geboren sind‘. Sein Wohlstand ist in dem Maße gewachsen, wie es seinen Bürgern das Geburtsrecht auf Freiheit und Gleichheit bewahrt hat. Abgesehen von der Forderung nach allgemeiner Menschlichkeit, könnt ihr als konsequente Amerikaner es denn einem amerikanischen Volk verwehren, dass es die gleichen Chancen wie ihr selbst hat bei seinem Kampf darum, sich aus Unwissenheit und Erniedrigung zu erheben? Der Anspruch auf Brüderschaft. Auf Liebe und späte Gerechtigkeit, die einer benachbarten Rasse zustehen, kann doch von eurem Herzen und eurem Bewusstsein nicht völlig unverstanden bleiben.“[9]

* * *
 

Abb 4
Das Buch besteht aus drei Teilen. Der erste Teil ist mit Indianische Erzählungen überschrieben. Hier erzählt Zitkala-Ša auch von ihrer Kindheit und Jugend. Im zweiten Teil geht es um Mythen, Märchen und Legenden.[10] Der dritte Teil beinhaltet Vorträge und Essays, er spiegelt die politische Tätigkeit der Autorin wieder. Mehrere Bücher wurden hier in der Auflage des Palisander-Verlages verwendet. Bereits im Jahr 1901 brachte Zitkala-Ša das Buch Old Indian Legends heraus. Dieses wurde von Hinook-Mahiwi-Kilinaka (Angel de Cora 1871 – 1919), einer Winnebago-Indianerin illustriert. Von ihr finden sich in der hier vorgestellten Ausgabe ebenfalls Zeichnungen (2. Teil) wieder, außerdem wurden zwei Erzählungen und eine autobiografische Skizze im Anhang mit aufgenommen.[11]

In dieser erzählt sie, dass sie im Jahr 1906 vom Kommissar für Indianerangelegenheiten auf Talentsuche u.a. in die Carlisle Indian School gesendet wurde. „Es besteht kein Zweifel daran, dass junge Indianer ein Talent für bildliche Darstellung besitzen, und das künstlerische Verständnis der Indianer verdient es sehr wohl, anerkannt zu werden.“[12]

Ein weiteres Buch mit dem Titel American Indian Stories erschien mit autobiografischen Texten und weiteren Geschichten im Jahr 1921. [11]

Zitkala-Ša selbst hat im Jahr 1913 „The Sun Dance Opera“ aufgeführt, eine Oper, an der Ute-Indianer beteiligt waren. Unter Leitung eines hundertjährigen Indianers führten sie Lieder und Tänze auf, die allerdings nicht in der Partitur standen.[13]


Sun dance opera (Doku)  YouTube


Hier schließt sich ein Kreis. Zitkala-Ša, Angel de Cora und die Romanfigur Queenie Tashina King aus der Pentalogie Das Blut des Adlers von Liselotte Welskopf-Henrich: ebenfalls eine an einer indianischen Kunstschule ausgebildete Indianerin, die ihre „Vorbilder“ in den beiden bewundernswerten Indianerinnen „findet“, welche in einer Zeit, da Bürger- und Indianerkrieg noch sehr lebendige Erinnerungen waren, bereits hörbar für die Rechte und die Kultur der Indianer eintraten.


Abb 5
Dem Palisander-Verlag ist ein weiteres Mal zu danken für die Auflage eines großartigen Werkes von und über die nordamerikanischen Ur-Amerikaner. Frank Elstner und Ulrich Gräfe haben das Werk aus dem Englischen übersetzt.

Die Hinweise auf das ebenfalls im Palisander-Verlag herausgegebene belletristische Gesamtwerk der Liselotte Welskopf-Henrich sind dem Blogger hier ein Bedürfnis. Die Herausgabe von Büchern wie Roter Vogel erzählt oder Das Wunder vom Little Bighorn von John Okute Sica ergänzen Welskopf-Henrichs Werk hervorragend, sie führt zu einer bisher kleinen aber sehr interessanten Bibliothek eines Verlages, der damit ein anderes Zeichen in Sachsen setzt als der "große sächsische Lügenbold" - Karl May. [14]

DNB / Palisander Verlag / Chemnitz 2015 / ISBN 978-3-938305-70-6 / 400 S.


© KaratekaDD (23.03.2016)



Abbildungen und Quellen:

Samstag, 20. Februar 2016

Cobert, Harold: Ein Winter mit Baudelaire



Vom Glück, im Unglück nicht einsam zu sein.


Es wird Herbst in Paris, als Philippe den Boden unter den Füßen verliert. Nach der Trennung von seiner Frau zwingt sie ihn, die gemeinsame Wohnung zu verlassen, und verwehrt ihm den Kontakt zu seiner Tochter. Als wenig später sein Arbeitsvertrag nicht verlängert wird, ist das der letzte Schritt, der ihn in den Abgrund stürzen lässt. Das Leben auf der Straße droht ihm den Rest seiner Würde zu nehmen. Doch dann begegnet er Baudelaire, der ihn mit beständigem Optimismus und treuem Hundeblick auf vier Pfoten zurück ins Leben führt. Dank ihm und mithilfe des einfallsreichen Kebabverkäufers Bébère und der weisen Toilettenfrau Sarah findet Philippe den Mut für einen Neuanfang. Und auf einmal scheint der Tag, an dem er seine Tochter wieder in die Arme schließen kann, gar nicht mehr so fern.

(Klappentext Piper Verlag)

  • Taschenbuch: 288 Seiten
  • Verlag: Piper Taschenbuch (1. November 2011)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Sabine Schwenk
  • ISBN-10: 3492273432
  • ISBN-13: 978-3492273435
  • Originaltitel: Un hiver avec Baudelaire














GANZ UNTEN...





"Auf der Straße ist es menschenleer. Dabei ist die Luft noch mild. Die Abende und Nächte bleiben frisch, aber die laue Lichtfülle des Tages klingt immer deutlicher in ihnen nach. Es ist ein Abend im Mai, Anfang Mai, eine zarte Dämmerung. Der Sonntag neigt sich dem Ende zu. Die Schatten werden länger, sie strecken und räkeln sich in der Melancholie eines Wochenendes, das diesem Vorort mit seinen kleinen Einfamilienhäusern am Stadtrand von Paris den Rücken kehrt." ( S. 9)


Dieses Zitat stammt vom Beginn des Romans und umschreibt den Abend, an dem Philippe zum letzten Mal seine kleine Tochter Claire zu Bett bringt und ihr ihre Lieblingsgeschichte erzählt. Danach nimmt er seinen Koffer, der bereits gepackt an der Tür steht, und geht. Seine Frau wirft ihn aus der Wohnung, ab diesem Maiabend werden ihre Wege getrennte sein. Und Philippe tritt seinen neuen Weg an, von dem schnell klar wird, dass es einer ist, der immer weiter abwärts führt, und dass Philippe keine Chance hat, auch nur irgendwo abzubiegen.

In Paris sind freie Wohnungen rar und kaum bezahlbar, und Philippe mit seinem Zeitvertrag und ohne vorweisbare Bürgschaft hat keine Chance, eine neue Unterkunft zu finden. Als dann der Arbeitsvertrag auch noch nicht verlängert wird, hat Philippe das Gefühl, dass ihm der Boden ganz unter den Füßen weggezogen wird. Er landet in billigen Hotels, solange das Geld reicht - danach bleibt ihm nur noch die Straße. Eine Umhängetasche mit ein paar wenigen Dingen ist alles, was ihm noch geblieben ist. Er lebt von der Hand in den Mund und versucht, sich den letzten Rest seiner Würde zu erhalten. Doch der Winter kommt, und Philippe beginnt zu ahnen, wie hart das Leben  tatsächlich sein kann.


"Dazu die Geräusche, eine Vielfalt von Geräuschen - Autos, Passanten, knallende Türen, Absätze, die vom Asphalt der Bürgersteige widerhallen, Gespräche, die näher kommen und sich entfernen, auf seiner Höhe angelangt, manchmal verstummen -, alles und zugleich nichts, doch es reizt den Gehörsinn, weckt die Aufmerksamkeit, hält ihn in einem unsteten, brüchigen Halbschlummer gefangen. Als fahl der Morgen anbricht, hat er nur ein paar Stunden geschlafen, Stunden so zersplittert wie zerschlagenes Glas." (S. 125)


Ohne festen Wohnsitz verwehrt ihm seine Frau zudem den Umgang mit seiner Tochter, was Philippe härter trifft als alles andere - und schließlich reißen auch noch die letzten Kontakte zu seinem altem Leben ab. Doch als er vollends ins Elend zu stürzen scheint, läuft ihm der kleine Streuner Baudelaire zu, wodurch das Leben ganz allmählich wieder Farbe erhält.

Der Leser begleitet Philippe auf seinem Weg in die Obdachlosigkeit, setzt sich mit ihm den abwertenden, verächtlichen Blicken der Mitmenschen aus und spürt die wachsende Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Immer wenn das Gefühl entsteht, schlimmer könne es jetzt nicht mehr kommen, dreht Harold Cobert die Schraube der Abwärtsspirale gnadenlos noch ein Stück weiter. Die kurz gehaltenen Kapitel werfen schattenlose Spotlights auf das Leben Philippes - und bezaubern gleichzeitig durch einen poetisch-zärtlichen Schreibstil, der von viel Einfühlungsvermögen und herzerwärmendem Charme zeugt.

Kein Roman schwerer Hoffnungslosigkeit, sondern eine zutiefst menschliche Erzählung um die Eigenwilligkeit des Lebens, um die Zerbrechlichkeit des Glücks - und um das unbezahlbare Geschenk, in den schwersten Stunden nicht in Einsamkeit zu versinken.

Für mich eine wundervolle Entdeckung...


© Parden











Harold-COBERT-photo-Sandrine-Roudeix.jpgDer Piper Verlag schreibt über den Autor:

Harold Cobert, 1974 in Bordeaux geboren, hat Literatur studiert. Nach einem Surfunfall im Alter von zwanzig Jahren begann er zu schreiben. Er ist Theater-, Film- und Fernsehautor und hat in Frankreich unter anderem eine Reihe Essays über Mirabeau veröffentlicht. Nach »Ein Winter mit Baudelaire« erschien zuletzt auf Deutsch »Ein Sommer mit Hugo«.

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