Montag, 10. August 2015

Donskich, Aleksander: Gottes Welt

Anfang Juni schrieb mich ein Mitarbeiter des Elena Plaksina Verlages an und machte mich auf eine Novelle des russischen Schriftstellers Aleksander Donskich aufmerksam. Dieser gelte "in der Literaturkritik Russlands als Fortsetzer der modernen Klassik." Nun sei das Buch im Univers-Verlag erschienen. Es freut den Blogger ja im allgemeinen, wenn Verlage auf den Blog aufmerksam werden. Allerdings fragte ich erst einmal nach, wie er denn auf unseren Blog gekommen wäre. Er verwies auf die unmittelbar vorher veröffentlichte Rezension zu Amos Oz Eine Geschichte von Liebe und Finsternis (► hier) und meinte, man suche vor allem nach Blogs, "die Literatur als solche besprächen."

Okay, dachte ich, nimmst du das halt an und so liegt nun das schmal Bändchen vor mir.

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Russland - Sibierien. Eine Rahmenhandlung, eine Novelle. Katja, eine junge Frau, die Anfang der fünfziger Jahre nach absolviertem Kulturstudium in die Nähe von Irkutsk gesendet wird, zieht nach der entsprechenden Wohnungszuweisung in zwei Zimmerchen eines alten Holzhauses ein.

"Ganz nach dörflicher Art war es gebaut - mit geschnitzten Fenstereinfassungen, Garten, einem kleinen Hof. Es steht am Steihang, fast am Ufer des Irkut, unweit von dessen Mündung in die Angara. Noch näher lagen zwei Brücken des Irkut - eine niedrige aus Holz, pber die sich majstätisch das geometrische Stahlgerüst der eisenbahnbrücke erhob." (Seite 3)

Sie zieht bei einer alten Frau, einer ehemaligen Grundschullehrerin ein, die einen ziemlich unfreundliche, wenn auch nicht vollkommen abweisenden Eindruck macht. Eines Tage "klopft" es lautstark an der Tür und die alte verabschiedet sich von der jungen Mieterin. "Das ist nicht schwer zu erraten. Sie holen mich ab. Meinen Mann haben sie umgebracht und meine Söhne, doch mich haben sie vergessen? Was für eine Unordnung! Also bitte, tötet mich, schneidet mich in Stücke - ich bin bereit. Habe gelebt - nun ist es genug. Zeit, dass ich zu meinen Lieben komme. Wozu soll ich hier ganz allein mein Leben fristen?" (Seite 8).

Doch niemand holt die alte Frau ab. Aber Katja und Jewdokija Pawlowna kommen ins Gespräch. Jewdokija erzählt aus ihrem Leben und vor allem von ihrem Mann, dem Offizier Platon Andrejewitsch Jelistratow, Teilnehmer am russisch - japanischem Krieg und am ersten Weltkrieg, später dann Offizier der Roten Armee. Und von sich, der von Bauern abstammenden Lehrerin, Absolventin des Instituts adliger Mädchen Ostsibiriens. Auch von ihren Kindern. Und von der Zeit des Bürgerkrieges in der noch jungen Sowjetunion.

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Donskich erzählt an sich eine bekannte Geschichte: Der Terror des NKWD unter dem "Genossen" Berija und unter Stalins Fittichen machte auch vor seinen treuesten Verteidigern nicht halt, den Offizieren der Roten Armee. In den Jahren 1936 - 38 gab es wohl kein Regiment, in dem nicht Kommandeur, Stabschef oder Politstellvertreter (Kommissar), vielleicht gar alle drei angeklagt, verbannt oder gar erschossen wurden. Der bekannteste war wohl Marschall Tuchatschewski. Dies erzählt in seiner Trilogie Die Lebenden und die Toten* schon Konstantin Simonow, der nun wirklich ein literarischer Vertreter der UdSSR war. Allerdings gehen die Schicksale der Offiziere und Generäle bei Simonow gelegentlich positiv aus, wie bei General Serpilin aus dem genannten Zyklus, der als Bataillonskommandeur ins Arbeitslager kommt, später dann Regimentskommandeur wird und als Armeeoberbefehlshaber im Krieg fällt.**

Hier nun wird die tragische Seite hervorgehoben, der Massenmord an "Abweichlern", "Trotzkisten", "imperialistischen Spionen und Verrätern" am Beispiel des Offiziers Jelsistratow. Die Ermordung des Ehemanns sehen Jewdokija und der älteste Sohn mit eigenen Augen an, sie kann nichts dagegen tun, standhaft geht der Offizier in den Tod und wird von den Schergen erschlagen. Sie werden ihn aber begraben - heimlich. Später sind auch ihre Söhne vom innerstaatlichen Terror betroffen, einer fällt im Krieg in einer Strafeinheit, der andere fällt auch dem NKWD zum Opfer.

Dosnskich beschreibt diese Szene der Ermordung Jelistratows sehr detailliert, die Grausamkeit der Mörder springt den Leser förmlich an, aber sonst ist die Sprache, wohl dank des Übersetzers Peter Dehmel, typisch "russisch". Das lässt sich nicht richtig beschreiben, erinnert aber auch an die Novelle Ein Menschenschicksal von Scholochow***, oder an Tschingis Aitmatow. Literaturwissenschaftler sehen dies sicherlich differenzierter. Die Sprache ist gefühlvoll, von Trauer durchzogen und trotzdem, die junge Katja betreffend, optimistisch. Novellen, in denen die Haupthandlung in einen Rahmen eingebettet ist, scheinen irgendwie eben "typisch russisch" zu sein. Es enstanden auch Bilder im Kopf, durchaus inspiriert von Pasternacks Dr. Schiwago.

"Es gibt in Russland, so sehr sie uns auch bedrängen und quälen, immer wieder gute Menschen. Daran kannst du glauben Katjuscha, so schwer es dir manchmal auch sein mag..." (Seite 72)

Gottes Welt heißt die Novelle und dies weist auf den wohl ziemlich tiefen christlich orthodoxen Glauben im russischen Volk hin, der auch während der sowjetischen Zeit letztlich nicht vollkommen unterdrückt konnte.

* * * 

Donskich hat, so liest man auf dem Buchdeckel, viele Jahre die stalinsche Willkürherrschaft untersucht. Er hat mit Opfern gesprochen und korrespondiert, aber auch mit Tätern (Henkern). hier  allerdings konstatierte er, dass letztere sich als "überzeugte Kämpfer für die Sache Lenins und Stalins sahen".


"Aleksander Donskich ist 1959 im Dorf Malaja Cheta der Halbinsel Taimyr geboren. Seine Kindheit verlief im Ikrutsker Gebiet. In der Sowjetischen Armee diente er in Chabarowsk, da begann auch seine literarische Kariere. Nach der Armee arbeitete er im Norden Russlands und dann studierte er die russische Philologie auf Lehramt in Irkutsk (am Baikalsee). Arbeitete später aus Lehrer für russische Sprache und Literatur, später auch als Korrespondent für Regionalzeitungen. Seit 1987 publizierte er seine Werke. Besonders aktiv ist er seit 2003 in literarischen Zeitschriften wie „Aurora“, „Sibir‘ “, „Dal’nij Wostok“. Momentan ist er Mitglied des Schriftsteller Vereinigung Russlands und leitet die literarisch-publizistische Abteilung der Zeitschrift „Sibir‘ “. Es gibt bisher sehr positive literarische Kritik zu seinem Werk: „Rodovaja Semlja“ und „Lev“

In der Literaturkritik Russlands gilt er als Fortsetzer der modernen Klassik und Fortsetzer der Tradition aus Sibirien von Viktor Astafjev, Valentin Rasputin, Fjodor Abramov, Vasilij Belov , Evgenij Nosov ua..." (Verlagsinfo)

Der Elena Plaksina Verlag bzw der Univers-Verlag**** ist an sich ein Verlag zur Verbreitung der russischen Sprache, er verlegt eher didaktisches Lehrmaterial aber auch belletristische Literatur. Ich jedenfalls bedanke mich für die Aufmerksamkeit betreffend unseres Blogs und bin froh, das Angebot, diese Novelle zu rezensieren, genutzt zu haben.

DNB / Univers - Verlag / Schöneiche bei Berlin 1.2015 / ISBN: 978-3-944934-24-2 / 90 S.

© KaratekaDD


* Die Lebenden und die Toten umfasst drei Kriegsromane. (Leie Lenden und die toten, Man wird nicht als Soldat geboren und Der letzte Sommer. Die ersten beiden wurden verfilmt.
** Vielleicht würde dem Autor Donskich dieser Vergleich weniger gefallen.
*** Auch dieser Vergleich ist insofern ungünstig, da man inzwischen dem Nobelpreisträger Scholochow (Der Stille Don) vorwirft, dass seine Wekre von NKWD-Ghostwritern gechrieben worden wären.
**** Universverlag ist ein Imprint des Elena Plaksina Verlages


3 Kommentare:

  1. Die antwirt des Verlages nach Anzeige der Rezension.

    Sehr geehrter Herr Rennicke, für die Rezension bedanken wir uns. Wir sehen, dass Sie sich mit der "Materie" auskennen. Momentan ist noch ein Werk von Donskich in Übersetzung. Wenn Sie möchten, würden wir Ihnen ein Exemplar zuschicken.
    herzliche Grüße
    E. Plaksina und S. Afonin

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  2. ich weiß aber noch nicht, ob ich wirklich will.

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