Montag, 6. April 2015

Ryan, Donal: Die Sache mit dem Dezember


In einer Kleinstadt in Irland soll die Investition eines riesigen Konzerns alle Bewohner zu Millionären machen. Wenn da nicht Johnsey Cunliffe wäre, der seltsame und stille Johnsey, der kaum je ein Wort sagt. Die Farm seiner kürzlich verstorbenen Eltern ist das Kernstück des geplanten Bauprojekts. Gerade als sich ihm das Glück zuwendet, wird Johnsey von allen Seiten unter Druck gesetzt. Er soll verkaufen. Doch genau das will er nicht.


  • Gebundene Ausgabe: 272 Seiten
  • Verlag: Diogenes; Auflage: 1 (25. Februar 2015)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Anna-Nina Kroll
  • ISBN-10: 3257069278
  • ISBN-13: 978-3257069273
  • Originaltitel: The Thing about December











DIE KUNST DES LEBENS...




"Leute wie Johnsey, die kaum einen Satz herausbekamen, ohne einen hochroten Kopf zu bekommen und ohne dass ihr Gehirn aus Protest die Arbeit niederlegte, hatten doch keine Chance gegen Leute, die Wörter derart in eine Reihenfolge bringen konnten, dass sie eine stabile Mauer ergaben, von Widerreden unmöglich zu erklimmen." (S. 177 f.)


Johnsey Cunliffe ist ein schweigsamer junger Mann, der sehr zurückgezogen lebt und dem die Menschen Angst machen. Nach dem Tod beider Eltern lebt er alleine auf dem alten Bauernhof, ohne Vieh, das Land verpachtet, und arbeitet aus Gewohnheit weiter in dem Laden des Dorfes, unterbezahlt, wie er wohl weiß, aber im Grunde zufrieden. Ihm fällt es schwer, Worte zu einem geraden Satz zusammenzufügen, und deshalb schweigt er meistens. Dabei wirkt er einfältig auf die anderen Dorfbewohner, Mitleid und Verachtung für ihn halten sich die Waage. Johnsey hat selbst keine hohe Meinung von sich, wundert sich fast, wie seine Eltern ihn hatten lieben können. Dabei ist Johnsey ein Mensch, der keiner Fliege etwas zuleide tut, der niemandem im Weg stehen will, der noch nicht einmal wirkliche Träume hat - er will einfach nur in Ruhe gelassen werden.
Doch wie so oft, sind gerade solche Menschen leicht das Opfer von gelangweilten, frustrierten Jugendlichen. Hohn und Spott sind noch das mindeste, dem Johnsey oft auf seinem Heimweg ausgesetzt ist, Schubsen, Bestehlen und Schlagen muss er auch immer wieder erdulden. Und er erduldet. Wortlos. Sprachlos. Wehrlos. Und eines Tages wird er derart zusammengeschlagen, dass es ein Wunder ist, dass er überlebt. Doch so ist es - und damit beginnt unerwartet ein Wandel in seinem Leben.


"Was war eine Lüge überhaupt? Musste man wissen, dass etwas nicht der Wahrheit entsprach, oder reichte es aus, sich einfach nicht um Wahrheit oder Unwahrheit zu scheren, damit es eine Lüge wurde? Und log man, wenn das, was man sagte, nicht wahr war, man aber glaubte, es wäre wahr?" (S. 178)



Im Krankenhaus freundet sich Johnsey mit seinem Bettnachbarn an, Nuschel-Dave, der ihn schließlich auch zu Hause besucht. Und auch die Krankenschwester Siobhán hält über den Krankenhausaufenthalt hinaus Kontakt zu Johnsey. Zum ersten Mal in seinem Leben hat er Freunde. Und zum ersten Mal versucht er herauszufinden, wie das wirklich geht: das Leben. Und auch, wenn er immer noch nicht wirklich aus seiner Schweigsamkeit herausfindet - es fühlt sich gut an, so viele neue Erfahrungen machen zu können.
Da kommt es gar nicht recht, dass ständig Leute an ihn herantreten, die ihn überreden wollen, sein Land an einen Konzern zu verkaufen, der die Zukunft des Ortes sichern soll: Arbeitsplätze, steigende Einwohnerzahlen, Wohlstand für alle. Doch Johnsey will das Land gar nicht verkaufen. Das Land, auf dem sein Vater sich krumm geschuftet hat, für das er gelebt hat, das er seinem Sohn vermacht hat. Johnsey nennt keine Argumente - er schweigt. Ob das reichen wird, um die fordernden Stimmen zum Verstummen zu bringen?


"Er fühlte jede Sekunde von der Uhr über dem Schrank tropfen und auf seinem Kopf landen. Man musste das Gehirn manchmal austricksen, um es von den Tropfen abzulenken, sonst wurden sie zu Hammerschlägen..." (S. 66)


Kennt nicht jeder von uns so einen Typ, so ein geborenes Opfer? Jemanden, dem die Dinge einfach passieren, der dem nichts entgegenzusetzen hat? Und hat sich einer von uns schon einmal die Mühe gemacht, sich in so jemanden hineinzuversetzen?
Nun, Donal Ryan hat es mit diesem Buch getan. Aus der Perspektive Johnsey Cunliffes werden die Geschehnisse geschildert, einerseits ganz nahe, weil auch die Gedankenwelt Jonseys darin eingeschlossen ist - eine sehr lebendige Gedankenwelt, die seine sonstige Sprachlosigkeit Lügen straft -, andererseits aber auch distanziert, weil durch die Er-Perspektive und die komplett fehlende wörtliche Rede eine rein beschreibende Ebene eingehalten wird.

Ein kleines menschliches Drama hat uns Donal Ryan hier beschert, erzählt in zwölf Kapiteln, von Januar bis Dezember. Zu Beginn jedes Kapitels erfolgt in Retrospektive ein Einblick in die Geschehnisse von Johnseys Kindheit, in das Leben auf dem Bauernhof, das von den Jahreszeiten geprägt war. Und diese Rückblicke machen deutlich, wie behütet Johnsey damals war, als seine Eltern noch für ihn da waren. Und so wie sich die Jahreszeiten wandeln im Fluss der Zeit, wandelt sich auch Johnnys Leben im Verlauf des geschilderten Jahres. Der Krankenhausaufenthalt ein Wendepunkt - doch ein Wendepunkt wohin?
Traurig, bitter, zynisch, komisch und zuweilen philosophisch - eine wortgewaltige Erzählung mit vielen Nuancen und einem unerwarteten Tiefgang erwartet den Leser. Einfühlsam und authentisch schildert Donal Ryan das Schicksal Johnseys - ein beeindruckendes Buch!


© Parden






















Donal RyanDonal Ryan, geboren 1976 in Nenagh, im Süden Irlands, studierte Bauingenieurwesen und Jura in Limerick, wo er bei der Staatlichen Behörde für Arbeitnehmerrechte beschäftigt ist. Für seinen zweiten Roman ›The Spinning Heart‹ (2012) wurde Ryan mit dem Irish Book Award und dem Guardian First Book Award ausgezeichnet. Der Roman stand außerdem auf der Longlist des Man Booker Prize 2013. Donal Ryan lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Castletroy, Limerick.
► Quelle Text und Bild 



2 Kommentare:

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