Freitag, 13. Februar 2015

Zhao Jie: Kleiner Phönix

Kleiner Phönix - Eine Kindheit unter Mao.

Ihre Eltern waren Schauspieler im Dienste der Armee und nie zu Hause. So wuchs die kleine Zhao Jie, genannt Cui, in den frühen 60er-Jahren mit ihrer Großmutter und den Nachbarn in einem engen Hof in unmittelbarer Nachbarschaft zum Platz des Himmlischen Friedens auf. Das Zentrum des Riesenreiches ist ihr Spielplatz, hier lernt sie Fahrrad fahren und schwenkt Papierblumen für die Revolution. Mao wird für das Mädchen zur unerreichbaren Vaterfigur, der sie wie Millionen andere Kinder ihrer Generation gläubig folgt. Ihre Großmutter schenkt ihr die Liebe, Mao ein Lebensideal. Mit neun Jahren trägt sie die ordensgeschmückte Uniform der Rotgardisten. Mit dreizehn marschiert sie bis zum Zusammenbruch. Erst als sie fern von daheim als Erntehelferin in einem armen Bauerdorf lebt, wird ihr klar, dass sie ihre Kindheit einer Lüge geopfert hat.
Zhao Jies erstaunliche Erinnerungen eröffnen einen großartigen und nie gesehenen persönlichen Blick in ein bis heute rätselhaftes Land. Zhao Jies Lebensgeschichte ist ein Dokument des Optimismus und Lebensmutes. Sie erzählt von der Befreiung aus der Unmündigkeit und von kindlicher Liebe, Freundschaft und Kraft, die kein Staat brechen kann.


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Ein China, das betroffen macht.

Was verbindet uns mit China? Eher doch Schlagwörter wie MENSCHENRECHTE, LIZENZBETRUG, GLOBALISIERUNG, TODESURTEILE, TAIWAN & ROTCHINA, WELTMACHT. MAO ZEDONG (Tse-Tung). KULTURREVOLUTION, VIERERBANDE ist da schon weit weg, auch der Tian’anmen-Platz, oder: Platz (am Tor) des Himmlischen Friedens (天安門廣場 / 天安门广场) ist ebenso weit weg, seit dem er 1989 in aller Munde war, weil die Chinesische Volksbefreiungsarmee die Studentenproteste mit Waffengewalt brutal auseinanderschlug.

Quelle: wiki
Das Tor des Himmlischen Friedens, immer noch mit dem Bild des Vorsitzenden Mao behangen, hinter dem sich die Verbotene Stadt verbirgt, ist der Platz an dem fast unmittelbar Zhao Jie, Kleiner Phönix, genannt Cui aufwuchs. Geboren wurde sie 1957. Der Zufall will es, dass sie später in der Schule einen Lehrer hat, der sie (ein wenig) in Deutsch unterrichtet, Ende der siebziger Jahre kann sie dann studieren und kommt später an die Freie Universität Berlin um Germanistik zu studieren. Wäre dies nicht so gewesen, dann würde uns ihre Autobiografie hier nicht vorliegen.

Zhao Jie hat das Buch KLEINER PHÖNIX – Eine Kindheit unter Mao genannt. Bitter arm war das Land zu ihrer Geburt und im Aufstreben begriffen. Was man im Sozialismus der 50ziger Jahre so unter Aufstreben in China und anderswo verstand. Wahr ist aber wohl, dass in den ersten Jahren der 1949 gegründeten Volksrepublik ein großer Aufschwung vorherrschte, da die Sowjetunion viel investierte, um China in das sozialistische Weltsystem einzuordnen. Bis Mao Zedong auf die Idee kam, dass das kommunistische Moskau „revisionistische“ Ideen vertrat und wohl meinte, dass „das Reich der Mitte“ seinen eigenen Weg finden müsste, während sich die „Papiertiger“ Sowjetunion und USA schon gegenseitig aufreiben würden. Vorsitzender Mao, so wird er genannt, verkündet den Großen Sprung im Jahr 1958, Cui wird da gerade ein Jahr alt. Gekennzeichnet ist die Kampagne z.B. von den vielen kleinen Stahlöfen, jedes Dorf hatte seinen und erzeugt minderwertigen Stahl durch Verhüttung.Daraus entstand eine ihres gleichen suchende Hungersnot.

Als dann 1966 die Kulturrevolution beginnt, ist Cui neun Jahre alt und damit ein echtes Kind dieser sogenannten Kulturrevolution, der sie begeistert folgt. Als „Kleine Rotgardistin“, das Bildnis des „Großen Steuermanns“ am Tian’anmen vor Augen, vertritt sie dessen (vermeintliche) Ideen, während jugendliche Banden jegliche Kultur vernichtend durch das Land ziehen, bis sie, einige Jahre später zur „Umerziehung“ an die „Graswurzeln“, also auf das Land geschickt werden. Das rote Büchlein mit den Mao - Zitaten, das der Junge auf dem Bild hochhält, ist immer mit dabei.

"Fest entschlossen sein! Keine Opfer scheuen und alle Schwierigkeiten überwinden, 
um den Sieg zu erringen!"

Eine Losung, an der sich Cui immer wieder festhalten wird.


Quelle: wiki
Ihr Eltern, welche einem Kulturensemble (Agitationsensemble) der Luftwaffe der VBA angehören, sind oft auf Tournee, Cui wird mit ihrem jüngeren Cousin Shitou und dann ihrer Schwester Qun von der Großmutter aufgezogen. Später entschließt sie sich selber an den Zielort des Langen Marsches zu gehen und „als Abiturientin auf das Land zu gehen“ nach Yan´an und von „den Bauern zu lernen“.

Es ist erschreckend zu lesen, unter welchen Bedingungen die Bauern im „kleinen Tal“ arbeiten und leben müssen, hungernd, ohne Schulbildung, in einem Land, dass inzwischen Staudämme baut und eine Atombombe gezündet hat. Cui beschreibt dies so bildlich genau, weil sie und ihre Freunde unmittelbar betroffen sind, sie sind freiwillig dort. Auch die Kinderjahre in Peking lassen einen staunen. Die Verbotene Stadt - und in unmittelbarer Nähe solche Elendsquartiere. Doch langsam, mit 19 - 20 Jahren beginnt sie zu ahnen, dass sie wohl indoktriniert wurden. (Wieso kommt der Feind Chinas, der US-Präsident Nixon nach Peking? – Später dann, was hat die sogenannte Viererbande verbrochen?)

Es gibt aber auch ganz viele Szenen, von denen wir durchaus was lernen könnten: Der Zusammenhalt der Familien, die sie trotz jahrelanger Trennung und Armut finanziell unterstützen und da sind, wenn sie gebraucht werden: Diese Geschichten sind berührend und zeigen eine Selbstverständlichkeit, die es hier bei uns so wohl nicht gibt.

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Quelle
Das Buch beginnt, wie Zhao Jie in Deutschland erfährt, dass ihre Großmutter gestorben ist, und so fliegt sie im Sommer 1989 nach Peking. Als Cui in Peking 1989 ankommt, tauschen Verwandte und Freunde die unterschiedlichen Wahrnehmungen zum Thema „Himmlischer Frieden“ aus. Cui hat in Berlin ganz andere Bilder gesehen – ihr Vater, jahrzehntelang stolzer Angehöriger der Armee, die nun die Proteste unterdrückte, schämt sich für diese erstmals und erkennt, dass die Methoden Maos immer noch wirken:

„Seit dem 4. Juni muss sich jeder einer Untersuchung durch die Partei unterziehen.‘ Vater rang um Fassung und sprach weiter: ‚Die Leute sollen sich gegenseitig anzeigen und diejenigen benennen, die an der Bewegung teilgenommen haben. Dafür wurden sogar Hotlines eingerichtet. Alle, die dabei waren, müssen in schriftlicher Form Selbstkritik üben und sich von den Ideen der Studentenbewegung distanzieren. Aber es sind doch Studenten, keine Staatsfeinde! Auf ihren Schultern ruht doch Chinas Hoffnung! Wie soll ich die Welt noch verstehen?“ (Seite 684)

In der Kulturrevolution waren es die Wandzeitungen mit Kritiken und Selbstkritiken gegen „Revisionisten“ wie Künstlern, Wissenschaftlern, Lehrern aber auch „Machthabern in der Partei auf kapitalistischem Weg“. 1989 sind es Hotlines für die Denunzierung von Kritikern des Regimes. Chinesisch – könnte man sagen, wenn es nicht in den kommunistischen Parteien anderer Länder, insbesondere in den sozialistischen Ländern, ebensolche ähnlichen Dinge gegeben hätte.

 Zhao Jie, genannt Cui nimmt uns mit auf einen Rückblick in ein Land, dessen Rolle in der Welt keine geringe ist. Sie öffnet uns die Augen dafür, warum trotz dieser unglaublich unterschiedlichen Bedingungen, eine solche Wirtschaftskraft entstehen konnte, auch wenn ihre Autobiografie schon vor 25 Jahren endet. Gleichzeitig ist es ein sehr warmherziges, ein sehr familiäres Buch, eben eine Geschichte, die berührt. Die Geburt des Phönix hat sie den ersten Teil genannt - Das Sterben des Phönix beginnt in  Yan´an.

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Der chinesische Weg zum „Kommunismus“, ist noch nicht beendet. Er führte bisher trotz unbestreitbarer wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Erfolge zu einer mit keiner westlichen Industriemacht vergleichbaren Schere zwischen Arm und Reich. „Laut einer Studie der Peking-Universität verdienten die reichsten 5 Prozent der chinesischen Bevölkerung im Jahr 2012 das 34-fache der ärmsten 5 Prozent. Die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung verdienen somit 18-mal mehr als die ärmsten 10 Prozent; in Deutschland beträgt das gleiche Verhältnis zum Vergleich 6,9.“wikipedia - Die Kommunistische Partei hat eine Art von extremen Kapitalismus globalen Ranges errichtet, der seines gleichen sucht.


Es ist viel geschrieben wurden über China. Vor einiger Zeit las ich das Buch CHINA von Henry Kissinger, dem Mann, der den Besuch des amerikanischen Präsidenten beim Vorsitzenden Mao organisierte. Über  dieses Buch wird an anderer Stelle noch zu sprechen sein. Cuis Autobiografie ist ein sehr interessantes Gegenstück zu Kissingers großen Weltpolitik – von „oben“. Es ist die Schilderung einer Frau mit dem Blick von „unten“. Der Gegensatz erklärt mehr, als viele andere Bücher.

Als in der DDR Geborener werde ich mich einerseits hüten, große Vergleiche anzustellen, erstens, weil diese sowieso hinken, zweitens weil selbst die diktatorischen „Gemeinsamkeiten“ weit auseinander klaffen. Da kann zum Beispiel Hannah Arendt noch so Recht haben mit ihren Lehren zum Totalitarismus.

Andererseits kann ich verstehen, wie von Kindheit an gelehrte Auffassungen, selbst auch gelebte Auffassungen, den Bach runter gehen, weil dahinter eine Regierung, eine Partei, eine Politik stehen, dies das Land letztlich zu Grunde richteten.

Aber China? Das China, welches Zhao Ji beschreibt, stammt irgendwie aus einem anderen Zeitalter. Rein klassische Rezensionen sind nicht so mein Ding und darum zitiere ich noch einen anderen Publizisten:

Der im August 2014 verstorbenen Peter Scholl-Latour schreibt in seinem vorletztem Buch DIE WELT AUS DEN FUGEN (2013/2014):
"Die ungeheure Dynamik Chinas, seine kommerzielle Präsenz, ja Dominanz in allen Erdteilen, die ungezügelten Ambitionen dieser gigantischen Nation geben der übrigen Welt manches Rätsel auf. Da das Land keine Religion mehr anerkennt und der Buddhismus nur als Aberglaube des Volkes geduldet ist, richten sich die fragenden Blicke auf die Vollversammlungen der kommunistischen Partei, in derem höchsten Gremium alle Entscheidungen getroffen werden. Von einer Wiederbelebung des Konfuzianismus kann nicht die Rede sein, obwohl die Lehre von der Harmonie... von den roten Mandarinen in Peking als eigene politische Richtschnur der Streitkultur der westlichen Demokratien entgegengesetzt wird.  
Wie weit sind wir doch von den wütenden Exzessen der Kulturrevolution entfernt, als die jungen Rotgardisten... den Konfuzianismus für den Niedergang Chinas verantwortlich machten. Was die Cheinesen aller Schichten zu einen scheint, ist das Gefühl der eigenen Überlegenheit und ein unbändiger Nationalismus, der auf die Ursprünge des Reiches der Mitte zurückgeht...." (Seite 243)  

Jahrzehntelanger Maoismus, die Ausrichtung von mindestens zwei Generationen hunderter Millionen Chinesen auf eine Partei, auf einen Staat hat seine Wirkung hinterlassen. 

China geht einen beängstigenden Weg. Die Politik, Innen wie Außen, früher und heute ist eine auf besondere Art extreme Politik. Eine Politik, die wir  noch nicht richtig verstehen. Kissinger, Scholl-Latour, vor allem aber Zhao Jie können uns dabei helfen.

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Das Buch endet endet mit den berührenden Worten der Enkelin an Großmutters frischem Grab. Trotz inzwischen jahrelanger Trennung sagt sie ihr:

Cui mit Großeltern / Quelle
„Du fehlst mir. Du fehlst mir so sehr, meine liebste Großmutter, dass ich dieses Fehlen gar nicht erklären kann. Das ist wie ein Loch in der Seele, das nicht zu stopfen ist. Mit dir verbinde ich meine Kindheit, meine Jugend, mein Erwachsenwerden. Durch deinen Tod bin ich jetzt von allem abgeschnitten. Auch deshalb ist mir so schmerzhaft. Nach dem Erwachen aus dem Traum von dir muss ich ins Leben zurück, in ein Leben ohne dich. Das Leben muss weiter gehen. Das Leben geht weiter. In meinem Körper entsteht gerade ein neues Leben. Es wird die Fortsetzung von mir sein, und von dir, meiner liebsten Großmutter. Es wird dein Urenkelkind, das ich dir versprochen habe…“ (Seite 697)





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Ich bin froh, in der kleine Buchhandlung Wilke in Neustrelitz das Buch nicht im Regal stehen gelassen zu haben.


Spezial zur Autorin
DNB / Karl Blessing Verlag / München 2013 / ISBN: 978-3-89667-498-2 / 720 Seiten


PS: Unter YouTube gibt es die Reportage Mao Zedong und seine fanatischen Anhänger. Viele Dinge, die Zhao Jie anspricht, findet am in den vier Teilen wieder.

© KaratekaDD


2 Kommentare:

  1. Ein besonderes Buch scheint da den Weg zu Dir gefunden zu haben...

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    1. Nun ja, vielleicht wäre das ja ausnahmsweise mal was für dich. Die Biografie einer Frau, deren Leben, deren Kindheit irgendwie weit weg von unserem Leben war. Noch mehr sogar von deinem, denn Pioniere & Co im real existierenden Sozialismus waren ja mir zumindest bekannt. ;)

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