Sonntag, 2. März 2014

Ein Loch ist im Eimer - ein Text zum Nachdenken


Liebe Leser,

zwischen Wollen und Können besteht ja oft ein gravierender Unterschied, und "gut gemeint" ist leider nur zu oft das Gegenteil von "gut gemacht".

Den folgenden Text "Ein Loch ist im Eimer" habe ich bereits vor einigen Jahren geschrieben. Er ist experimenteller Natur. In einer etwas überarbeiteten Fassung veröffentliche ich ihn hier nun in der "Schreibstube" und überantworte ihn damit dem Urteil der Leser. Man sieht schnell: Dies ist kein gewöhnlicher Text sondern der Versuch, nicht nur Wörter, sondern die gesamte Sprache als solche zu benutzen, um Gefühls- oder Sinneszustände auszudrücken. Hier geht es um Verwirrung, um Verarbeitung und um die Zurückgewinnung einer verlorenen Identität. Gewohnte Wege zu verlassen und etwas Neues zu wagen, erfordert immer etwas Mut: Muß man doch erwarten, nicht nur Zustimmung zu ernten. Ich wage es trotzdem und hoffe, wenn schon nicht auf Begeisterung, so zumindest auch nicht auf komplette Ablehnung meines Textes zu stoßen. Somit sollen Sie, die Leser also, entscheiden, ob es nur "gut gemeint" oder auch "gut gemacht" war!


Ein Loch ist im Eimer


Welt verrückte!
Damals.                                                                                                    Damals hatte die Welt einen Riss bekommen.                                                                                   Einen Riss, längs durch den Kontinent, längs durch Deutschland und… 
längs durch die Köpfe. Etwas war durcheinander geraten.              
In Unordnung.                                                                                  Verwirrt:                                                                                    
Ein Wiss, der die Relt teilte. In Ost und West. In Wost und Oest.
In but und göse.
Auch sprachlich.                                                                                                   

Manverstandsichnichtmehrplötzlich.
Gegenseitig. Kannitverstan. 
In Wost und Oest.                                                                
Als spräche man plötzlich Kauderwelsch babylonisches:
Kapitalistisch hüben, sozialistisch drüben:
Natodoppelbeschluss und Jahresendzeitfigur. Stalinismus, Klassenfeind und Republikflucht. Antiimperialistischer Schutzwall.                                      Kapitasozialistisch.
Aber mit gründlicher Deutschlichkeit!
Und mit Tretschussanlagen und Selbstminen!                                                                                    "Den Sozialismus in seinem Lauf 
hält weder Ochs noch Esel auf"!                                                                            

Oh Erich, du konsequenter politischer Poet: 
                                                     Deine „Lyrik“ so bescheiden wie deine Weltanschauung! 
Ein richtiger Pöt warst du - begnadet schlecht! 
Mit erstarrter Ideologie statt Hirn im Kopf.                                                                                                                                     Der gute alte Geheimrat Goethe hyperventilierte währenddessen rotierend in seinem Sarg in Weimar: Dass Dichtung und Wahrheit, Genie und Wahnsinn  
so  nahe beieinanderliegen könnten, hätte selbst er sich nicht träumen lassen!                                                                                                                                                    Der Krieg hatte offenbar so in den Köpfen gewütet und gedröhnt, dass die nachfolgende Stille die Menschen taub zurückließ, taub an Seele und Geist. Traumatisiert. Betäubt.
Vereist: Wiewenndirderzahnarzteinebetäubungsspritzeindeinzahnfleischgegebenhat: 

Deine Lippen sind plötzlich aus Schaum- und deine Wangen aus Knetgummi. Und alles gefühllos:                                                       
Musserstauftauen.                                                                                        So wie dein großer Zeh, wenn du kalte Füße bekommen hast. Das juckt und kribbelt, wenn langsam das Gefühl zurückkehrt…
Langsam scheint sich nach Jahrzehnten lebendes Normalisieren zu verbreiten, noch mit kribbelhaftem Schmerz in den autfauenden Gliedern.

NeinneiN! 

So schnell geht es nicht, eine Welt, die auf dem Kopf steht, zu drehen. Kopfstand. Trauma. Standkopf.                                       
Obenistuntenunduntenistoben.                                                                                                                                    Welt verkehrte. Alles dreht sich im Kreis. Ewiger Kreis. Endlosschleife.
Ein Hund lief in die Küche und stahl dem Koch ein Ei
Alles wiederholt sich. Ständig. Schwindelständig.                                                                      

Der ganze Kreislauf eine ewige Welt.
Kreislaufwelt. Weltkreislauf.                                                                                                    

Die Welt:                                                                                                                Ein großes Hamsterrad und wir die Hamster darin:                                                                                                        Ein Loch ist im Eimer, oh Henry!
Fasziniert war ich als Kind von jenem Nonsense-Lied, das wie eine endlose Schleife, nie endend, immer von vorne begann. Die auf dem Kopf stehende Welt drehte sich und darin wiederum drehte sich das Hamsterrad beständig zur Melodie des nie enden wollenden Liedes mit dem endlos sich wiederholenden Refrain:   
                                      
Ein Loch ist im Eimer, oh Henry, oh Henry, ein Loch!

NeinneiN!

Die Welt dreht sich weiter. Was auch geschieht.
Aber der Eimer, der deutsche Eimer hat ein Loch bekommen! Und all das Stroh in den Köpfen ist zu lang und die Axt ist zu stumpf und der Schleifstein hat kein Wasser und Karl-Otto kann kein´s holen weil: 

EinLochistimEimerohHenry.                                                              
Jawoll.
Ganz Schschschwindelig ist mir davon.
Schwinkschwankschwindelig!
Besoffendrehschwinkschwankschwindelig!                                   
Trauma.
Alles verdreht, alles fremd. Eine ganze Nation sich selbst entfremdet. Wahrnehmung verbogen. Verzerrt.
Nichts ist, wie es war. Nichts wird wieder so sein.

Niemehr.

Aber:
Früher war gestern.
Morgen ist anders.
Nur der Mond scheint immer noch wie gestern. Verlässlich.
Lausche einlullend fremdvertrauten Versen und hoffe,  die Welt wird heile davon:



Der Gang ist aufgemondet



Der Gang ist aufgemondet 
Die Prangen golden Sternlein 
Am Hellen him und klar
Der Schweig steht schwarz und waldet, 
Und aus den Wiesen steiget 
Der weiße Wunder nebelbar.


Wie ist die Still so welte 
 Und in der Hüllrung Dämme 
 So holdlich und so trau! 
 Als eine Kammer Stille 
 Wo ihr des Jammer Tages 
 Verschlafen und vergessen sollt.

Seht ihr den Steh dort monden? 
 Er ist nur seh zu halben, 
 Und ist doch rön und schund! 
 So sind wohl Sanche Machen, 
 Die wir betrost gelachen, 
 Weil unsre Sehen sie nicht augen…

(Claumatt Hiasdius)


Ja, der Eimer hat ein Loch bekommen. 

Mach´s zu Henry, mach´s zu!


Copyright: TinSoldier










Medium Terzett: Ein Loch ist im Eimer


Einen hab´ich noch:


Dunkel war´s...

Dunkel wars der Mond schien helle
Schneebedeckt die grüne Flur
als ein Wagen blitzeschnelle,
langsam um die Ecke fuhr

Drinnen saßen stehend Leute
schweigend ins Gespräch vertieft
als ein totgeschossener Hase
auf der Sandbank Schlittschuh lief

Und der Wagen fuhr im Trabe
rückwärts einen Berg hinauf
Droben zog ein  weißer Rabe
grade eine Turmuhr auf

Und auf einer roten Bank,
Die blau angestrichen war
Saß ein blond gelockter Jüngling
Mit kohlrabenschwarzem Haar.

Ist dat wahr wat da war 
oder war da wat da war gelogen?

Ringsumher herrscht tiefes Schweigen
und mit fürchterlichem Krach
spielen in des Grases Zweigen
zwei Kamele lautlos Schach

Und zwei Fische liefen munter
durch das blaue Kornfeld hin
Endlich ging die Sonne unter
und der graue Tag erschien

Ist dat wahr wat da war 
oder war da wat da war gelogen?

Droben auf dem Apfelbaume,
der sehr süße Birnen trug,
hing des Frühlings letzte Pflaume
und an Nüssen noch genug.

Dies Gedicht von Wolfgang Goethe
schrieb Schiller in der Abendröte
als er auf dem Nachttopf saß
und die Morgenzeitung las

Ist dat wahr wat da war 
oder war da wat da war gelogen? 

(Altes Kinderlied)


.... und mehr von dieser tollen Musik gibt´s HIER


3 Kommentare:

  1. Das ist schwere Kost, aber irgendwie auch amüsant. Wie kommt man darauf im Jahre 24 nach "Auf in die blühenden Landschaften?" Bei mir ist gerade irgend ein Programmteil abgestürzt, daher kann ich YouTube erst später bemühen.

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    1. Tja mein lieber, manche Sachen trägt man halt lange mit sich ´rum, bis man sie verarbeitet. Und Wiedervereinigung hin und Wiedervereinigung her: Ich glaube, wir haben das Trauma von Krieg und Schuld noch längst nicht verarbeitet!

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