Montag, 31. März 2014

Eco, Umberto: Der Friedhof in Prag



"Ich habe ein paar Worte mit ihr gewechselt (seit zehn Tagen lebe ich so in meiner Höhle vergraben, dass ich sogar im Gespräch mit einer Frau Trost finden kann)[...]"

"Der Friedhof in Prag" ist das aktuelle Buch Umberto Eco´s.
Es ist die fiktive Geschichte des fiktiven Advokaten und Fälschers Simon Simonini. Dieser, von Geburt ein Italiener aus dem Piemont (jener intalienischen Provinz, die auch die Heimat Eco´s ist) ist vieles, nur kein Ehrenmann. Von Hause aus antisemitisch sowie erzkatholisch erzogen und Frauenhasser, avanciert er zum Gehilfen eines Winkeladvokaten, den er bald zu überflügeln trachtet und dessen Geschäft und Vermögen er sich durch eine Intrige aneignet.
In die Fußstapfen seines ehemaligen Mentors tretend, widmet er sich im Auftrag seiner Mandanten vornehmlich der Herstellung von gefälschten Testamenten und Urkunden. 
Umberto Ecos neuestes Werk ist, wie könnte es anders sein, wieder ein historischer Roman, der uns diesmal in das 19.Jahrhundert führt und uns u.a. vor dem historischen Hintergrund der Staatenwerdung Italiens eine phantastische Geschichte erzählt, deren Hauptfigur, Simon Simonini, zwar fiktiv ist, die erzählten historischen Ereignisse einschließlich vieler der handelnden Personen es jedoch keineswegs sind.
Guiseppe Garibaldi war
ein ital. Freiheitskämpfer
Quelle: Wikipedia
Simonini verstrickt sich, als zunächst der italienische und dann später der französische Geheimdienst auf seine Qualitäten als Intrigant und Fälscher aufmerksam werden, immer mehr in Intrigen und geheimdienstliche Aktivitäten, die sich gegen Freimaurer und Juden richten.
Die Geschichte, die Umberto Eco nach und nach vor uns ausbreitet, beginnt im Paris Mitte des 19. Jahrhunderts. Hier geht Simonini mittlerweile, getarnt als Trödler bzw. Antiquitätenhändler, seinen zweifelhaften Geschäften nach. 
Aber Eco wäre nicht Eco, würde er uns nur eine einfache, lineare Geschichte erzählen.
Nein, die Sache ist ein wenig komplizierter, denn Simonini leidet an einer Art Schizophrenie, die ihn mal als Simonini, mal als den Abbé Dalla Piccola agieren lässt, wobei der eine nichts von der Existenz des anderen weiß. So ist Simonini gezwungen, ein Tagebuch zu führen, um so seiner Doppelexistenz auf die Spur zu kommen und seine temporären Gedächtnislücken auszugleichen. Neben Simonini und dem Abbé Dalla Piccola begegnet dem Leser ein "Erzähler", der das Geschehen um die gespaltene Persönlichkeit Simonini/Dalla Piccola auf einer metaphysischen Ebene kommentiert. 
Freimaurer
Quelle: Wikipedia

So enthüllt sich vor dem Leser, teilweise in Rückblicken, eine phantastische Geschichte voller Verleumdung, Intrige und Gewalt bis hin zum Mord. 
Eco macht deutlich, wie die Mechanismen funktionieren, die Vorurteile und Erscheinungen wie den Antisemitismus erzeugen. Es wird demonstriert, wie Minderheiten zum Sündenbock für alles Mögliche gestempelt werden können und wie die Gesellschaft dazu verführt werden kann, selbst den unwahrscheinlichsten Verleumdungen kritiklos Glauben zu schenken.
Der jüdische Friedhof in Prag
Quelle: Wikipedia
Der (jüdische) Friedhof in Prag war der Legende nach ein geheimer um nicht zu sagen geheimnisvoller Treffpunkt von Weltverschwörern. Genau diesen Umstand macht sich Ecos Hauptfigur, Simon Simonini zunutze und kreiert die Geschichte einer jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung, die ihren Kristallisationspunkt in einer geheimen Versammlung der Verschwörer auf dem Prager Friedhof findet und der die sog. "Protokolle der Weisen von Zion" zugrunde liegen. Bei diesen ominösen "Protokollen der Weisen von Zion" handelt es sich um ein reales, gefälschtes antiseminitisches Pamphlet.
Dabei wird im Roman immer wieder auch auf die schriftlichen Elaborate und antijüdischen Pamphlete zweifelhafter Publizisten des 19. Jahrhunderts Bezug genommen, so dass der Realitätsbezug der fiktiven Handlung dem Leser stets vor Augen geführt wird.

"Der Friedhof in Prag" ist ein ungewöhnlicher, äußerst vielschichtiger Roman, der die Entstehung und die Natur des Antisemitismus zum Thema hat. Gleichzeitig erzählt Eco uns die Geschichte eines skrupellosen Betrügers, eines Meisters der Manipulation und Verleumdung, der zur Erreichung seiner Ziele über Leichen zu gehen bereit ist.
Das Buch zeigt einen historisch versierten Umberto Eco in erzählerischer Bestform, hat aber durchaus auch seine Längen. Wie bei Eco eigentlich obligatorisch, setzt die Lektüre die Bereitschaft voraus, zu bestimmten historischen Details Informationen bei Wikipedia oder durch einen Blick in Sekundärliteratur nachzuschlagen. Dies ist jedoch in diesem Falle nicht nur nützlich, sondern unerläßlich zum Verständnis der Handlung.

Mein Fazit: 
Ein interessantes, aber sicher nicht Ecos stärkstes Buch.


Copyright: TinSoldier


5 Kommentare:

  1. Das der Professor historisch versiert ist, lieber Rudi, nehme ich doch mal an ;)
    Gleichzeitig inspiriert mich deine Rezension, die viel kürzer als das Buch lang ist, vielleicht nun doch in den nächsten Monaten zum Gruff nach diesem Buch, welches schon lange vor sich hin "subt".

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  2. Herrje, ich fühle mich gleich wieder in die Welt des Baudolino versetzt. "...hat aber durchaus auch seine Längen" - jaja.
    Ich glaube, alle drei Jahre ein Eco, das reicht mir. Also habe ich noch ein wenig Zeit.

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    1. Die Buchvorstellung ist allerdings sehr informativ und ansprechend. Trotzdem hält sich bei mir die Verlockung in Grenzen... ☺

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  3. Buchbesprechungen sollten m.E. den Leser derselben in die Lage versetzen, zu beurteilen, ob das vorgestellte Buch dem eigenen Gusto entspricht und ob man es lesen möchte oder nicht. Im Falle von euch beiden scheint mir das gelungen zu sein...

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