Sonntag, 29. September 2013

Modiano, Patrick: Im Café der verlorenen Jugend


Paris in den 60er Jahren: Schon als junges Mädchen ist Louki aus der Wohnung der Mutter, einer Platzanweiserin im Moulin Rouge, immer wieder weggelaufen. Den Vater hat sie nie gesehen. Ihren Mann, einen wohlsituierten Immobilienmakler, verließ sie ein Jahr nach der Heirat wieder. Mit ihrem Geliebten, dem angehenden Schriftsteller Roland, streift sie tagelang durch die große Stadt. Im Café Le Condé, dem 'Café der verlorenen Jugend', glaubt Louki Zuflucht zu finden, während der Detektiv ihres Mannes schon ihre Spur aufgenommen hat. 

Mit 'Im Café der verlorenen Jugend' hat Patrick Modiano einen seiner schönsten Romane geschrieben. Die Kritik feierte ihn als 'den größten zeitgenössischen Schriftsteller Frankreichs' (Lire).





Une mélancolie en français...

(zuerst veröffentlicht von parden auf Buchgesichter.de am  25.09.2013)


Im Mittelpunkt des Geschehens steht das Café Le Condé, das eigentlich ein ganz gewöhnliches Café ist, wäre dort nicht eines Tages wie aus dem Nichts eine junge Frau aufgetaucht: Louki. Der Zauber ihrer Anwesenheit legt sich auf alle, die sie kennenlernen, doch sie bleibt wenig greifbar. Jacqueline Delanque mit bürgerlichem Namen, ist diese Louki eine Suchende - eine Suchende nach ihrem Platz im Leben. Immer wieder flüchtet sie aus ihren Lebensumständen, getrieben von der Sehnsucht nach einer Zuflucht, einer Heimat, sich selbst.
Sie schildert selbst: "Ich habe eine Ausrede erfunden, um an die frische Luft zu gehen. Dann bin ich losgerannt (...) Ich ließ mich von einem Rausch überwältigen (...) Später habe ich den gleichen Rausch immer dann verspürt, wenn ich die Brücken zu jemandem abbrach. Ich war nur dann ich selbst, wenn ich ausriss."

 
 
Verlorene Jugend, verlorene Zeit. Das ist nich Modianos "Condé", sondern das Pariser "Select"  in den sechziger Jahren.


Die Geschichte des Buches wird aus vier unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Durch einen namenlos bleibenden Studenten erhält der Leser die ersten oberflächlichen Eindrücke der Besucher des Cafés, darunter auch Louki, die schüchterne Unbekannte, die jedoch bald vertraut scheint. Danach erfährt der Leser durch den vom Ehemann Loukis angeheuerten Privatdetektiv einige Informationen über das Vorleben der jungen Frau, jedoch ohne dass sich bereits ein wirkliches Bild herauszeichnen würde. Im Anschluss berichtet Louki selbst über ihre Erfahrungen und Empfindungen als Jugendliche und heute, und dieser Einblick in ihr Gefühlsleben skizziert die Person Loukis nun wesentlich deutlicher. Im letzten Abschnitt übernimmt der Geliebte Loukis, Roland, die Schilderung ihrer gemeinsamen Zeit. "Unsere Begegnung erscheint mir, wenn ich heute zurückdenke, wie die Begegnung zweier Menschen, die keine Verankerung hatten im Leben. Ich glaube, wir waren alle beide alleine auf der Welt."
Obschon die Person Loukis zu keinem Zeitpunkt wirklich greifbar scheint, kristallisiert sich nach und nach doch eine große, fast schon verzweifelte Suche heraus. "Sie wollte ausbrechen, fliehen, immer weiter, kompromisslos Schluss machen mit dem Alltagsleben und in freier Luft atmen." Sehnsuchtsvoll und melancholisch-orientierungslos, immer schon das Scheitern implizierend, so erscheinen die Personen in diesem an sich handlungsarmen Roman.

 
Wer sich an Patrick Modiano wagt, sollte wissen, dass er mit einem hochgelobten französischen Schriftsteller und Romancier zu tun hat, der bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. Literaturkritiker und Leserschaft müssen da in ihrer Beurteilung nicht immer unbedingt übereinstimmen, wie ich in der Vergangenheit auch schon mehrfach feststellen musste.
Doch auch wenn dieses schmale Buch sicherlich ein Stück anspruchsvolle Literatur darstellt und die Melancholie das Geschehen für meinen Geschmack ein wenig zu sehr überlagert, kreiert der Autor mit seiner Sprache einen ganz eigenen zärtlichen Zauber, dem auch ich mich nicht entziehen konnte.

 
Ich freue mich, dass ich auf dieses Werk gestoßen bin. Auf diese kleine mélancolie en français...

 
© Parden 







Patrick Modiano
Patrick Modiano, 1945 geboren, einer der bedeutendsten französischen Schriftsteller der Gegenwart, erhielt zahlreiche Auszeichungen, darunter den großen Romanpreis der Académie française und den Prix Goncourt. 2012 wurde ihm der Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur verliehen. Bei Hanser erschienen zuletzt Place de l'Étoile (Roman, 2010), Im Café der verlorenen Jugend (Roman, 2012) und Der Horizont (Roman, 2013).


3 Kommentare:

  1. Da hast du ja wieder mal ein Buch mit dem Untertitel NICHTS FÜR U... gelesen. Scheint mir zumindest so. Aber wieder eine gute Rezension.

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    1. Vermutlich hast Du Recht. Aber wir lesen ja immer wieder mal Bücher, die nicht jedermanns Geschmack sind. Das liefert doch die große Bandbreite hier... :)

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  2. Schau mal einer an... Gerade hat Patrick Modiano den Literatur-Nobelpreis gewonnen. Und ich kenne ein Buch von ihm. Das ist für mich Premiere - sonst lerne ich die Autoren frühestens NACH der Preisverleihung kennen... ;)

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