Montag, 2. September 2013

Kressmann Taylor, Kathrine: Adressat unbekannt

"Adressat unbekannt", erstmals 1938 im New Yorker Story Magazine veröffentlicht, ist ein literarisches Meisterwerk von beklemmender Aktualität. Gestaltet als Briefwechsel zwischen einem Deutschen und einem amerikanischen Juden in den Monaten um Hitlers Machtergreifung, zeichnet dieser kurze Roman in bewegender Schlichtheit die dramatische Entwicklung einer Freundschaft. 











Gänsehaut...

(zuerst veröffentlicht von parden auf Lovelybooks.de am  02.09.2013)




"Geh nicht so fügsam in die dunkle Nacht..." (Dylan Thomas) 
 
 
Martin Schulse beschließt im Jahre 1932, mit seiner Familie nach Deutschland zurückzukehren. Max Eisenstein, sein jüdischer Freund und Geschäftspartner, bleibt in den USA und führt dort ihre gemeinsame Kunstgalerie weiter. Der Abschied fällt beiden schwer, und die ersten Briefe der Freundschaft nach ihrer Trennung könnten inniger nicht sein.
Doch die politischen Veränderungen in Deutschland hinterlassen ihre Spuren. Jeder folgende Brief verändert die Nuancen des Verhältnisses der beiden Freunde - in den USA der eine, der verzweifelt fragt, bittet, mahnt, in Deutschland der andere, der immer kühler zurückweist - bis Martin sich schließlich jeden weiteren Briefwechsel verbittet. Doch als ein persönliches Ereignis dem Drama einen Höhepunkt versetzt und Max schier verzweifeln lässt, schlägt dieser zurück, etwas, was man nicht erwartet hätte. Subtil, perfide, gewaltlos - nur mit der Macht der Worte. Bis der letzte Brief an Martin schließlich zurückkommt: "Adressat unbekannt". 


 
Der letzte Brief kehrt zurück: "Adressat unbekannt"



So kurz dieses Büchlein auch sein mag, die 19 Briefe ziehen den Leser in ihren Bann. Gerade die anfängliche Gewöhnlichkeit des Briefwechsels und die stilistische Raffung des Zeitgeschehens macht die Dynamik des Buches aus. Und obwohl der Text selbst nur 44 Seiten beansprucht, schafft es die Autorin, einen Spannungsbogen aufzubauen, der den Leser veranlasst, von Brief zu Brief immer gespannter
Ein Briefwechsel als Roman
weiterzulesen.
Mir persönlich hat der Briefwechsel einige Male eine Gänsehaut beschert. Durch die Gerafftheit der Darstellung kann vieles nur angedeutet und angerissen werden, das Geschehen spricht jedoch in seiner Dramatik für sich.

 

"Adressat unbekannt" wurde erstmals 1938 in der New Yorker Zeitschrift "Story" veröffenticht und erregte sogleich ungeheures Aufsehen. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt hat der fiktive Briefwechsel das zersetzende Gift des Nationalsozialismus erzählerisch dargestellt. Die gesamte Auflage dieser Ausgabe war innerhalb von zehn Tagen ausverkauft. 1939 erschien der Briefwechel erstmals als Buch und verkaufte sich 50000 mal - eine unglaublich hohe Zahl in diesen Jahren. 1992 druckte "Story" die Geschichte noch einmal ab - angesichts der grassierenden Fremdenfeindlichkeit in vielen Ländern der Welt war
Kathrine Kressmann Taylor
die Bedeutung des Buches von neuem augenfällig.
Kathrine Kressmann Taylor verfasste "Adressat unbekannt" auf der Basis einiger tatsächlich geschriebener Briefe, auf die sie gestoßen ist. Doch erst im Gespräch mit ihrem Mann hat die Geschichte ihre endgültige Form gefunden.

 

Der Nationalsozialsismus hält Einzug
Elke Heidenreich schreibt in ihrem Nachwort (und es ist gut, dass der Verlag dies nicht länger als Vorwort voransetzt, denn es würde in der Tat viel zu viel vorwegnehmen):
"Nie wurde das zersetzende Gift des Nationalsozialismus eindringlicher beschrieben. "Adressat unbekannt" sollte Schulllektüre werden, Pflichtlektüre für Studenten, es sollte in den Zeitungen abgedruckt und in den Cafés diskutiert werden. (...) Ich träume von einer morgendlichen vollen U-Bahn in Berlin, in der Hunderte von Menschen Kressmann Taylor lesen, aufsehen und sich mit Blicken gegenseitig versichern: nie wieder. Ja, das ist sentimental. Aber ich vertraue auf die Kraft von Büchern..."

 

Die Botschaft des Buches ist zeitlos und deutlich und hat deshalb einen Platz in jedem Bücherregal verdient!
Absolut empfehlenswert!


 
© Parden

7 Kommentare:

  1. Ich würde es eigentlich nicht für möglich halten, in dieser Kürze das Problem anzugehen. Irgendwie würde ich meinen, dass zu viele kleine Leerstellen, also die zwischen den Briefen bestehen könnten.
    Aber ich würde das Büchlein gern selbst in die Hand nehmen...

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  2. Es hat in Deutschland auch so einen Briefwechsel gegeben. Zwischen einem liebenden Paar. Ich habe eine Lesung mit angehort. Das war Gänsehaut pur. Hier ist der link:
    http://www.amazon.de/Abschiedsbriefe-Gef%C3%A4ngnis-Tegel-September-Januar/dp/3406613756/ref=pd_bxgy_b_text_y


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    1. Der Briefwechsel zwischen Helmuth James von Moltke und seiner Frau Freya kann meiner Ansicht nach nicht so einfach als Vergleich herangezogen werden. Denn die beiden schrieben sich von Liebe, Vergangenheit unf Zukunft, die von Moltke nicht mehr erleben wird.
      Aber als Briefwechsel, wie sie gegenteiliger wohl nicht sein können, betrachtet man zumindest das Ende, sind sie als Zeugnis auf jeden Fall sehr zu empfehlen.
      Auch ich danke dem anonymen Sender für diesen Link.

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  3. Danke für die gute Rezension und vor allem für den Hinweis auf dieses Buch, dass ich mir unbedingt zulegen und sehr bald lesen werde!

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  4. Ich habe das Buch zufällig in der Bibo gefunden und sehe es als eines der besten Bücher über diese Zeit - schade, dass es nicht mehr beachtet wird. Denn während andere das Grauen zeigen, entsteht es hier im Kopf des Lesers - und das ist gruslig. Das Buch ist kurz und prägnant... ich find's toll xD

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    1. Wie schön, dass noch jemand dieses Buch kennt. Und ja: das Grauen entsteht im Kopf. Und dafür reichen tatsächlich diese paar Seiten...

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